Fliegenlarven ersparen den Chirurgen
Wie am Ravensburger Elisabethen-Krankenhaus Maden in der Wundheilung eingesetzt werden
RAVENSBURG - Grün schillernde Schmeißfliegen gehören nicht gerade zu den beliebtesten Tieren. Im Gegenteil: Sie erzeugen Ekel, wenn sie an schönen, warmen Sommertagen über das Essen herfallen. Aber „Lucilla sericata“, wegen ihrer roten Augen auch „Goldfliege“genannt, ist tatsächlich zu etwas nutze. Ihre Larven werden in der Wundheilbehandlung eingesetzt, weil sie ausschließlich krankes Gewebe fressen. Am Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg hat man in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen damit gemacht.
Hildegard Kerler ist Pflegerin am Gefäßzentrum im ElisabethenKrankenhaus. Dorthin kommen oft Patienten mit infizierten Wunden und offenen Geschwüren, zum Teil voller nekrotischem, also abgestorbenem Gewebe. „Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, sie zu behandeln: den chirurgischen Eingriff, bei dem der Arzt aber unweigerlich auch gesundes Gewebe wegschneiden muss und der sehr teuer ist, den konventionellen Wundverband oder eben die Madentherapie“, erklärt Kerler. Im Vergleich zu herkömmlichen Wundverbänden, mit denen eine Behandlung vier bis acht Wochen dauert, ist die Madentherapie in sieben bis zehn Tagen vorbei – mit beachtlichen Ergebnissen, denn eine einzige Fliegenlarve frisst pro Tag 0,3 Gramm nekrotisches Gewebe. Und zwar nur das. Gesundes Fleisch interessiert die Nachkommen dieser speziellen Schmeißfliege nicht. Daher entscheiden sich zahlreiche Patienten für diese Methode, nachdem sie über die Vorteile aufgeklärt wurden und ihre Skepsis überwunden haben.
Was trotzdem irgendwie eklig klingt, läuft tatsächlich sehr hygienisch ab. Die Larven werden von einer Spezialfirma gezüchtet und sterilisiert. Danach werden sie in eine Art Teebeutel verpackt und an die Oberschwabenklinik geliefert. Diese sogenannten „Biobags“sind verschieden groß, damit sie auf jede Art von Wunde passen. Der kleinste Beutel enthält 50, der größte 300 Maden. Der Arzt legt das Säckchen auf die Wunde, das mit einer feuchten Kompresse leicht umwickelt wird, und die Larven beginnen zu fressen. Allerdings beißen sie nicht, denn sie haben keine Zähne. Stattdessen sondern sie Speichel mit einem Verdauungssekret ab, welches das tote Gewebe mit speziellen Enzymen verflüssigt, sodass die Maden es anschließend als Nahrung durch den porösen Sack hindurch aufsaugen können. Der Patient spürt dabei laut Hildegard Kerler maximal ein Kribbeln oder Stechen. Ist die Wunde vom abgestorbenen Gewebe befreit, kann die Heilung einsetzen.
„Die Methode kommt aus der Kriegschirurgie. Man hat dort entdeckt, dass Wunden, auf denen Fliegen saßen, schneller heilten und seltener zu Fieber und Sepsis führten“, sagt Kerler. Mit Erfindung der Antibiotika sei die Methode allerdings in Vergessenheit geraten und erst in Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenz wieder in Mode gekommen. Ein bis zwei Madentherapien pro Woche werden am EK durchgeführt, die Beutel werden dabei immer erst kurz vor dem Anlegen des Verbands bestellt, damit sich die Larven nicht zu Fliegen entwickeln können. Auch während der Behandlung sei das ausgeschlossen. Nach drei bis vier Tagen wird der Verband abgenommen, mit dem restlichen Klinikmüll vernichtet – also verbrannt – und bei Bedarf ein neuer angelegt.
Eine zweite Methode der Madentherapie – mit frei herumkrabbelnden Larven – wird am EK nicht praktiziert. Geeignet ist die Madentherapie überdies nicht für alle Wunden, zum Beispiel im Gesicht oder gar am Auge. Auch besonders tiefe Wundhöhlen sind ungeeignet, weil dort durch die Reibung des Beutels eine Blutung entstehen könnte.
Zwar ist die Therapie nicht ganz billig – wegen des aufwendigen Herstellungsverfahrens kostet eine einzelne Made im Schnitt einen Euro – aber immer noch viel günstiger als eine Operation zur Wundreinigung. Und schonender. „Das Ergebnis“, sagt Kerler, „überzeugt in den allermeisten Fällen.“