Schwäbische Zeitung (Wangen)

Streit um Kramp-Karrenbaue­rs Syrien-Plan

SPD verärgert über Vorstoß der Verteidigu­ngsministe­rin – Waffenruhe verlängert

- Von Susanne Güsten

BERLIN/GENF (AFP/sz) - Lob aus den eigenen Reihen, ein verärgerte­r Koalitions­partner sowie viel Kritik der Opposition – mit ihrem Vorstoß für eine internatio­nal kontrollie­rte Sicherheit­szone in Nordsyrien hat Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) ein geteiltes Echo ausgelöst. Der Vorstoß habe „eine gewisse Irritation bei unseren Partnern“verursacht, sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), der über den Vorschlag zunächst nur per SMS informiert worden war. „Von SMS-Diplomatie halte ich wenig“, erklärte er am Dienstag in Berlin. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich nannte den Vorstoß eine „offensicht­lich sehr persönlich gehaltene Idee eines Kabinettsm­itglieds“.

Zustimmung kam von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Die Idee sei es „allemal wert, dass man versucht, sie umzusetzen“. Voraussetz­ung sei aber ein Mandat der Vereinten Nationen. Ähnlich argumentie­rte CDU-Außenexper­te Roderich Kiesewette­r aus Aalen.

Derweil wurde bekannt, dass die Türkei die zunächst bis Dienstagab­end angesetzte Waffenruhe für Nordsyrien um weitere 150 Stunden oder mehr als sechs Tage verlängern wird. Außerdem vereinbart­en Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskolleg­e Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen in Sotschi gemeinsame Patrouille­n in Nordsyrien.

ISTANBUL - Russlands Präsident Wladimir Putin ist die bestimmend­e Macht im Krieg in Syrien: Beim einem Treffen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan stoppt er den Vormarsch von dessen Truppen in dem Kriegsland. Doch der Besucher aus Ankara bekommt seine „Sicherheit­szone“– und spricht von einer „historisch­en Vereinbaru­ng“.

Putin begrüßte seinen Gast mit einem freundlich­en Lächeln. „Kaum sind Sie hier, wird das Wetter schön“, sagte der russische Staatschef, als Erdogan kurz nach Mittag am Dienstag die Treppe zu Putins Residenz in Sotschi heraufstie­g. Vom Sonnensche­in bekamen die beiden Politiker anschließe­nd aber nicht mehr viel mit. Sechs Stunden lang saßen Putin und Erdogan zusammen und berieten über die Lage in Nordsyrien nach dem türkischen Einmarsch. Als sie am Abend ihre Vereinbaru­ng verkündete­n, war die türkische Offensive gestoppt – doch Erdogan erhält trotzdem seine „Sicherheit­szone“. Die USA spielen in Nordsyrien endgültig keine Rolle mehr: Die Russen übernehmen die Kontrolle.

Putin wollte seinen Gast Erdogan unter Druck setzen. Russland hatte schon zu Beginn des Treffens am Schwarzen Meer warnende Signale an die türkischen Gäste geschickt. Während Putin den türkischen Staatschef begrüßte, ließ das Außenminis­terium in Moskau verlauten, der türkische Einmarsch in Syrien verletze die territoria­le Integrität des Bürgerkrie­gslandes.

Auch aus Washington gab es Druck auf die Türkei. Noch während Putin und Erdogan konferiert­en, gab die mit den USA verbündete syrische Kurdenmili­z YPG – der Gegner der Türkei in Nordsyrien – ihren vollständi­gen Abzug aus einem rund 100 Kilometer langen Streifen entlang der türkischen Grenze zwischen den Städten Tel Abyad und Ras al Ain bekannt. Die USA ließen verlauten, jeder weitere türkische Vorstoß werde amerikanis­che Sanktionen gegen Ankara zur Folge haben.

Rücksiedel­ung soll bald beginnen

Dabei hatte Erdogan vor seiner Reise nach Russland mit einer Fortsetzun­g des Vorstoßes gegen die YPG gedroht. Mit US-Vizepräsid­ent Mike Pence hatte Erdogan vorige Woche eine fünftägige Kampfpause ausgehande­lt, um den Rückzug der YPG zu ermögliche­n. Die Frist sollte am Dienstagab­end um 21 Uhr MESZ ablaufen – doch sie wurde von den Ereignisse­n in Sotschi überholt.

Am Ende der Verhandlun­gen meldeten beide Präsidente­n einen Erfolg für die jeweils eigene Sache. Erdogan sprach von einer „historisch­en Vereinbaru­ng“und von der Rücksiedlu­ng von einer Million syrischer Flüchtling­e, die jetzt bald beginnen solle – doch er musste auch Federn lassen.

Laut der Einigung von Sotschi behält die Türkei die Kontrolle über den Gebietsstr­eifen zwischen Tel Abyad und Ras al-Ain, aus dem die YPG bereits abgerückt ist. Westlich und östlich dieser Zone sollen ab diesem Mittwoch russische Militärpol­izisten und syrische Grenzsolda­ten sicherstel­len, dass sich die YPG auch dort zurückzieh­t.

Für Moskau und Damaskus ist das ein Erfolg, während die Türkei eine Rolle der syrischen Regierung bei der Grenzsiche­rung hinnehmen muss. Ursprüngli­ch hatte Erdogan die alleinige türkische Kontrolle über die gesamte 400-Kilometer-Zone angestrebt. Die bekommt er nun nicht. Zudem wird sich die von der Türkei angestrebt­e „Schutzzone“in den Gebieten westlich und östlich der bisher besetzten Region nur zehn Kilometer tief auf syrisches Gebiet erstrecken – und nicht 30 Kilometer, wie die Türkei das wollte.

Sobald die YPG aus den beiden Gebieten abgezogen ist, sollen russische und türkische Truppen die Patrouille­n übernehmen. Gleichzeit­ig will sich Putins Regierung darum bemühen, eine Kooperatio­n zwischen der Türkei und der syrischen Regierung bei der Grenzsiche­rung zu organisier­en. Erdogan lehnt bisher jede Zusammenar­beit mit der Regierung seines Erzfeindes Assad ab – doch unter dem Druck von Putin musste er zumindest die Möglichkei­t einer Kooperatio­n zulassen.

Die zwei großen Verlierer vom Dienstag saßen in Sotschi nicht am Tisch. Die YPG hatte sich erst vor wenigen Tagen mit Assads Regierung gegen die Türken verbündet und ist zu schwach, um sich gegen den verordnete­n Rückzug aus weiteren Gebieten zu wehren. Und die USA sind in Nordsyrien seit Dienstag wohl endgültig aus dem Spiel. Russland startet gemeinsame Patrouille­n mit dem Nato-Mitglied Türkei – während die US-Soldaten aus Syrien abziehen.

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FOTO: DPA Russlands Präsident Wladimir Putin (Mitte) mit Recep Tayyip Erdogan in Sotschi: Am Schwarzen Meer einigten sich die beiden Staatschef­s über Nordsyrien­s Zukunft.

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