Streit um Kramp-Karrenbauers Syrien-Plan
SPD verärgert über Vorstoß der Verteidigungsministerin – Waffenruhe verlängert
BERLIN/GENF (AFP/sz) - Lob aus den eigenen Reihen, ein verärgerter Koalitionspartner sowie viel Kritik der Opposition – mit ihrem Vorstoß für eine international kontrollierte Sicherheitszone in Nordsyrien hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ein geteiltes Echo ausgelöst. Der Vorstoß habe „eine gewisse Irritation bei unseren Partnern“verursacht, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD), der über den Vorschlag zunächst nur per SMS informiert worden war. „Von SMS-Diplomatie halte ich wenig“, erklärte er am Dienstag in Berlin. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte den Vorstoß eine „offensichtlich sehr persönlich gehaltene Idee eines Kabinettsmitglieds“.
Zustimmung kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Idee sei es „allemal wert, dass man versucht, sie umzusetzen“. Voraussetzung sei aber ein Mandat der Vereinten Nationen. Ähnlich argumentierte CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter aus Aalen.
Derweil wurde bekannt, dass die Türkei die zunächst bis Dienstagabend angesetzte Waffenruhe für Nordsyrien um weitere 150 Stunden oder mehr als sechs Tage verlängern wird. Außerdem vereinbarten Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen in Sotschi gemeinsame Patrouillen in Nordsyrien.
ISTANBUL - Russlands Präsident Wladimir Putin ist die bestimmende Macht im Krieg in Syrien: Beim einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan stoppt er den Vormarsch von dessen Truppen in dem Kriegsland. Doch der Besucher aus Ankara bekommt seine „Sicherheitszone“– und spricht von einer „historischen Vereinbarung“.
Putin begrüßte seinen Gast mit einem freundlichen Lächeln. „Kaum sind Sie hier, wird das Wetter schön“, sagte der russische Staatschef, als Erdogan kurz nach Mittag am Dienstag die Treppe zu Putins Residenz in Sotschi heraufstieg. Vom Sonnenschein bekamen die beiden Politiker anschließend aber nicht mehr viel mit. Sechs Stunden lang saßen Putin und Erdogan zusammen und berieten über die Lage in Nordsyrien nach dem türkischen Einmarsch. Als sie am Abend ihre Vereinbarung verkündeten, war die türkische Offensive gestoppt – doch Erdogan erhält trotzdem seine „Sicherheitszone“. Die USA spielen in Nordsyrien endgültig keine Rolle mehr: Die Russen übernehmen die Kontrolle.
Putin wollte seinen Gast Erdogan unter Druck setzen. Russland hatte schon zu Beginn des Treffens am Schwarzen Meer warnende Signale an die türkischen Gäste geschickt. Während Putin den türkischen Staatschef begrüßte, ließ das Außenministerium in Moskau verlauten, der türkische Einmarsch in Syrien verletze die territoriale Integrität des Bürgerkriegslandes.
Auch aus Washington gab es Druck auf die Türkei. Noch während Putin und Erdogan konferierten, gab die mit den USA verbündete syrische Kurdenmiliz YPG – der Gegner der Türkei in Nordsyrien – ihren vollständigen Abzug aus einem rund 100 Kilometer langen Streifen entlang der türkischen Grenze zwischen den Städten Tel Abyad und Ras al Ain bekannt. Die USA ließen verlauten, jeder weitere türkische Vorstoß werde amerikanische Sanktionen gegen Ankara zur Folge haben.
Rücksiedelung soll bald beginnen
Dabei hatte Erdogan vor seiner Reise nach Russland mit einer Fortsetzung des Vorstoßes gegen die YPG gedroht. Mit US-Vizepräsident Mike Pence hatte Erdogan vorige Woche eine fünftägige Kampfpause ausgehandelt, um den Rückzug der YPG zu ermöglichen. Die Frist sollte am Dienstagabend um 21 Uhr MESZ ablaufen – doch sie wurde von den Ereignissen in Sotschi überholt.
Am Ende der Verhandlungen meldeten beide Präsidenten einen Erfolg für die jeweils eigene Sache. Erdogan sprach von einer „historischen Vereinbarung“und von der Rücksiedlung von einer Million syrischer Flüchtlinge, die jetzt bald beginnen solle – doch er musste auch Federn lassen.
Laut der Einigung von Sotschi behält die Türkei die Kontrolle über den Gebietsstreifen zwischen Tel Abyad und Ras al-Ain, aus dem die YPG bereits abgerückt ist. Westlich und östlich dieser Zone sollen ab diesem Mittwoch russische Militärpolizisten und syrische Grenzsoldaten sicherstellen, dass sich die YPG auch dort zurückzieht.
Für Moskau und Damaskus ist das ein Erfolg, während die Türkei eine Rolle der syrischen Regierung bei der Grenzsicherung hinnehmen muss. Ursprünglich hatte Erdogan die alleinige türkische Kontrolle über die gesamte 400-Kilometer-Zone angestrebt. Die bekommt er nun nicht. Zudem wird sich die von der Türkei angestrebte „Schutzzone“in den Gebieten westlich und östlich der bisher besetzten Region nur zehn Kilometer tief auf syrisches Gebiet erstrecken – und nicht 30 Kilometer, wie die Türkei das wollte.
Sobald die YPG aus den beiden Gebieten abgezogen ist, sollen russische und türkische Truppen die Patrouillen übernehmen. Gleichzeitig will sich Putins Regierung darum bemühen, eine Kooperation zwischen der Türkei und der syrischen Regierung bei der Grenzsicherung zu organisieren. Erdogan lehnt bisher jede Zusammenarbeit mit der Regierung seines Erzfeindes Assad ab – doch unter dem Druck von Putin musste er zumindest die Möglichkeit einer Kooperation zulassen.
Die zwei großen Verlierer vom Dienstag saßen in Sotschi nicht am Tisch. Die YPG hatte sich erst vor wenigen Tagen mit Assads Regierung gegen die Türken verbündet und ist zu schwach, um sich gegen den verordneten Rückzug aus weiteren Gebieten zu wehren. Und die USA sind in Nordsyrien seit Dienstag wohl endgültig aus dem Spiel. Russland startet gemeinsame Patrouillen mit dem Nato-Mitglied Türkei – während die US-Soldaten aus Syrien abziehen.