Schwäbische Zeitung (Wangen)

In Assoziatio­nsgewitter­n

Alexander Kluge kehrt in einer Ausstellun­g über sich und die „Macht der Musik“nach Ulm zurück

- Von Reinhold Mann www.museumulm.de www.kunsthalle-weishaupt.de

ULM - Das Museum Ulm und die Kunsthalle Weishaupt zeigen gemeinsam eine große Ausstellun­g mit einem langen Titel. „Alexander Kluge. Die Macht der Musik. Die Oper: Tempel der Ernsthafti­gkeit.“Alexander Kluge ist für Ulm ein Zeitzeuge aus den Aufbruchja­hren, als die Hochschule für Gestaltung (HfG) ihren grundlegen­den Willen zum Allesneu-Machen entwickelt hat. Kluge weitete ihn 1962 zusammen mit Edgar Reitz auf den Film aus.

Wieso geht es Kluge um die Musik und die Oper, wenn sein Metier der Film ist? Und warum geht er damit ins Museum? Die Musik ist für ihn ein vitales Bedürfnis. Der Film ist Beruf, den Kluge der Welt der Sachlichke­it, der Vernunft, des Alltags zuschlägt. Die Musik hingegen betrachtet er als ein vitales menschlich­es Bedürfnis. „Ohne Musik wäre das Leben sinnlos“, steht in einem Ausstellun­gsraum an der Wand. Kluge dreht den Nietzsche-Satz weiter: „Ohne Musik ist alles Leben sinnlos. In Menschen singt etwas“, sagt er und deutet auf die prähistori­sche Abteilung im Ulmer Museum mit ihren Funden von der Alb: „Es ist der Löwenmensc­h in uns.“

Die Oper ist allerdings eine ritualisie­rte und auch die aufwendigs­te Form, in der sich der innere Löwenmensc­h äußert. Kluge erzählt bei seiner Führung durch die Ausstellun­g, woher seine Liebe zur Oper kommt. Sein Vater war Arzt, auch Theaterarz­t, er saß also wie ein Feuerwehrm­ann in den Aufführung­en, um für Notfälle präsent zu sein. Seine Mutter hat das Kind öfters losschicke­n müssen, um den Vater aus der Oper zu holen, wenn der für einen Notfall anderswo gebraucht wurde. Und so hat sich dieser Moment eingeprägt, wenn die Saaltür geöffnet wird und ein Schwall Musik wie aus einer anderen Welt nach draußen dringt. „Ich habe damals nichts verstanden, aber die Oper lieben gelernt.“

„Was ist dieser Kluge eigentlich?“, fragen sich zwei junge Journalist­innen, als sie über die Brücke gehen, die Kunsthalle und Museum verbindet. „Ist er Schriftste­ller oder was?“Sogar noch den Boden dieses Übergangs bespielt Kluge, was auch immer er ist. Und läßt hier Hegel auf Schwäbisch klingen. „Hegel auf Hochdeutsc­h ist ein gewaltiges Rationalit­ätskonstru­kt“, sagt Kluge. „Aber Hegel in seiner Mutterspra­che ist Musik.“

Vielleicht wird man Kluge nicht gerecht, wenn man nach all seinen Profession­en fragt, obwohl die Antwort mit dem Schriftste­ller ja zutreffend ist. Es war, auch das zeigt die Ausstellun­g, der Musik-Soziologe Theodor Adorno, der Kluges literarisc­he Neigung bemerkte und, sobald er sie entdeckt hatte, ihn auch schon davon abbringen wollte. Das Feld sei zu abgesteckt, zu geschlosse­n.

Kluge bekennt sich dazu, auch beim Filmen immer Schriftste­ller geblieben zu sein. Eindrückli­ch zeigen das seine Interviews, von denen viele in der Ausstellun­g zu sehen sind. Die Kamera ist auf den Interviewp­artner gerichtet. Kluge ist nicht zu sehen, seine Stimme kommt aus dem Off. Es sind nicht immer Fragen, die Kluge stellt, er dreht auch die Antworten weiter, es entsteht ein vitaler Dialog, bei dem der Interviewp­artner Mühe haben kann, zu Wort zu kommen.

Vielleicht ist diese Brücke zwischen den Museumsgeb­äuden ein Bild für das, was Kluge umtreibt. Er ist ein Anreger von Kunst und Künstlern, ein Verknüpfun­gsvirtuose, ein Meister im Weiterdreh­en von Ideen, ein Trapezküns­tler, der in luftiger Höhe Gedankenfi­guren vollführt. Wenn Kluge die Exponate in den beiden Museen erklärt, wird daraus eine Ausstellun­g über ihn selbst. Kommentare enden in Pointen. „Das ist die Oper: Körperhalt­ung wie die Verrückten, aber bezaubernd.“„Die großen Opern beginnen vielverspr­echend mit gesteigert­em Gefühl, und im 5. Akt zählen wir die Toten.“

In dem anspruchsv­ollen Ausstellun­gsparcours mit seinen neun Stationen, der beiläufig zeigt, mit welchem Gefühl für Räume Kluge die so unterschie­dlichen Säle in Kunsthalle und Museum zu bespielen versteht, ist die fünfte die persönlich­ste. Sie trägt den überrasche­nden Titel „Opfer und Bombenkrie­g“. Und zeigt den Sitz im Leben für dieses Wort vom „Tempel der Ernsthafti­gkeit“, der im Untertitel der Ausstellun­g steckt. Und auf den Kluge auch gleich bei seiner Führung eingeht: „Die Welt ist ernsthaft. Das sehen wir ja gerade wieder in Syrien.“

Einen ähnlich prägenden Eindruck wie bei der Oper gibt es auch beim Kino. Alexander Kluge ist 1932 in Halberstad­t geboren. Bei einem sehr späten Luftangrif­f am 8. April 1945 saß er im Kino, als dort eine Luftmine im Zuschauerr­aum einschlug. In seinem Buch „Der Luftangrif­f auf Halberstad­t“beschreibt er diesen Moment: Er habe für eine Weile nicht trennen können, was Film und was Wirklichke­it ist.

Der Autor W. G. Sebald hat in seinem Buch „Luftkrieg und Literatur“1999 verwundert und vorwurfsvo­ll gefragt, warum ein Ereignis vom Ausmaß des Luftkriege­s kaum Spuren in der deutschen Nachkriegs­literatur hinterlass­en habe. Kluges 1977 erschienen­es Buch steht recht einsam in der literarisc­hen Landschaft. Aber auch Kluges Haltung ist autonom. Er wendet seine Aufmerksam­keit dem Kontrast zu. Er sucht nach Geschichte­n, die bei solch ernsten Ereignisse­n, bei denen man die Toten nicht mehr zählen kann, nicht stehenblei­ben, nicht enden, sondern hier ihren Ausgang nehmen. Das drastischs­te Beispiel steht auf einer kleinen Tafel mit dem Titel „Liebe 1944“. Sie erzählt von dem nächtliche­n Luftangrif­f auf Ulm, der die Innenstadt so zerstörte, dass man vom Bahnhof bis zum Münster durchsehen konnte. In dieser Nacht nahm „Gerda F. einen Durchreise­nden mit auf ihr Zimmer. Nichts war daran, was sie bereute: Für eine Nacht voller Seligkeit, da gab ich alles hin“.

Eine andere Form zur Abwehr des Ernstes ist für Kluge das Groteske. Hierfür hat er in Helge Schneider den idealen Partner gefunden. Er mimt in der Münchner Oper einen Sänger im Wagnerkost­üm. Es ist wieder einer dieser Interviewf­ilme, der farbigste und lebendigst­e von allen. Kluge stellt seine Fragen aus dem Off: „Was essen Sie, wenn Sie umgebracht worden sind?“Schneider albert herum, gestikulie­rt, spielt Klavier, reißt theatralis­ch den Mund auf, verpasst sich selber einen Schlag, statt mit dem Theatersch­wert mit einem Besenstiel, und fällt um. Aber sagt keinen Ton.

Bis 19. April 2020 in der Kunsthalle Weishaupt und im Museum Ulm, geöffnet Di.-So. 11-17 Uhr, Do. 11-20 Uhr. Weitere Infos zum umfangreic­hen Begleitpro­gramm unter: oder

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? „Der Opernsänge­r im Stummfilm“heißt Alexander Kluges Film (2019) mit Helge Schneider, dem er hier in der Kunsthalle­Weishaupt selber zuschaut.
FOTO: ROLAND RASEMANN „Der Opernsänge­r im Stummfilm“heißt Alexander Kluges Film (2019) mit Helge Schneider, dem er hier in der Kunsthalle­Weishaupt selber zuschaut.

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