Schwäbische Zeitung (Wangen)

Auf der Suche nach dem großen Ganzen

Maja Lunde erzählt in ihrem neuen spannenden Roman „Die Letzten ihrer Art“vom Artensterb­en

- Von Steffen Trumpf

Vor wenigen Tagen wurden in London die besten Tierfotos des Jahres gekürt. Das Siegerfoto aus China zeigt ein Murmeltier, das gerade aus dem Winterschl­af erwacht ist und direkt mit den Gefahren der Natur konfrontie­rt wird: Eine Tibetfüchs­in beäugt es mit voller Konzentrat­ion, das Murmeltier starrt entsetzt und mit weit geöffnetem Mund zurück, die Todesangst steht ihm ins Gesicht geschriebe­n. Was das mit der Erfolgsaut­orin Maja Lunde zu tun hat? Die Norwegerin hat sich in ihrem neuen Buch „Die Letzten ihrer Art“genau wie der siegreiche Fotograf mit dem so spannenden wie sensiblen Artenreich­tum dieses Planeten auseinande­rgesetzt. Zwar geht es bei Lunde nicht um Murmeltier­e und Füchse, ihre Botschaft ist aber eine ganz ähnliche: Schaut her, wie grandios diese Natur sein kann. Und wie fragil.

Lunde hat sich mit ihrem millionenf­ach verkauften Roman „Die Geschichte der Bienen“internatio­nal einen Namen gemacht. Sie zählt längst zu den Schwergewi­chten der norwegisch­en Literatur, die sich gerade auf der Frankfurte­r Buchmesse von ihrer besten Seite zeigte. In Zeiten der internatio­nalen Klimaprote­ste und einem langsam, aber stetig wachsenden Umweltbewu­sstsein passt Lunde mit ihren Büchern: In der „Geschichte der Bienen“zeichnete sie das Bild eines Planeten, dem die Bienen abhandenge­kommen sind, im Nachfolgew­erk „Die Geschichte des Wassers“wurde dann das Trinkwasse­r knapp.

Auch in „Die Letzten ihrer Art“droht die Welt etwas zu verlieren: das Przewalski-Pferd, das letzte echte Wildpferd, ein Schatz der Natur. Lunde schildert die abenteuerl­iche Suche nach ihm in der Mongolei des 19. Jahrhunder­ts, lässt eine deutsche Tierärztin in den 1990er-Jahren ebenso um seinen Erhalt kämpfen wie eine Norwegerin im Jahr 2064. Wie in den ersten beiden Werken verwebt Lunde Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft zu einer großen Geschichte. Alles kulminiert am Ende zu einem großen Ganzen.

Besonders spannend ist dabei erneut Lundes Ausblick in die Zukunft. Das Klima ist kollabiert, die Wissenscha­ft hat mit ihren Erkenntnis­sen, auf die in der Realität junge Aktivisten wie die Schwedin Greta Thunberg immer wieder hinweisen, recht behalten. Die Folge ist eine Massenfluc­ht und ein jahrelange­r Krieg.

Viele resigniere­n, Lundes Romanfigur Eva dagegen nicht. Trotz der prekären Lage ringt sie um den Erhalt ihrer beiden Wildpferde – die Letzten ihrer Art. Dass Eva dabei ihre eigene Art aus dem Blick verliert, fällt ihr erst im Nachhinein auf. Solche tieferen Details machen Lundes Romane so wertvoll: Die Kleinigkei­ten im großen Ganzen, die die Menschen in Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft eint. Menschen machen Fehler. Menschen lieben sich. Menschen wollen Kinder zeugen und für sie da sein, schaffen es aber dann doch nicht. Lunde hält der Menschheit im Jahr 2019 somit einen Spiegel vor: Wer sind wir? Warum sind wir so? Und wie wollen wir eigentlich sein? (dpa)

Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art, btb Verlag, München, 640 Seiten, 22 Euro.

 ?? FOTO: JENS KALAENE ?? Schriftste­llerin Maja Lunde zeigte im Literaturz­ug zur Frankfurte­r Buchmesse ihr neues Buch „Die Letzten ihrer Art“.
FOTO: JENS KALAENE Schriftste­llerin Maja Lunde zeigte im Literaturz­ug zur Frankfurte­r Buchmesse ihr neues Buch „Die Letzten ihrer Art“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany