„Wer austritt, verändert nichts“
Ravensburgs Erster Bürgermeister Simon Blümcke kandidiert für evangelisches Kirchenparlament
RAVENSBURG - Wenn alle evangelischen Kirchenmitglieder in Württemberg am 1. Dezember ein neues Kirchenparlament wählen dürfen, steht in Ravensburg ein prominenter Name auf der Liste: Der Erste Bürgermeister der Stadt, Simon Blümcke, kandidiert für die sogenannte Synode. Im Interview mit Lena Müssigmann erzählt der mit einem Mann verheiratete 44Jährige, dass er dafür einen sehr persönlichen Grund hat. Dabei war er schon kurz davor, aus der Kirche auszutreten.
Herr Blümcke, wer oder was hat Sie zur Kandidatur bewegt?
Vor gut einem Jahr hat die Synode die Segnung homosexueller Paare in fürchterlicher Art und Weise nicht entschieden, sondern diskutiert. Ich fand diese Diskussion enorm verletzend. Damals wurde Homosexualität mitunter als Krankheit bezeichnet. Das kann man heute so nicht stehen lassen. Ich habe zu meinem Mann gesagt: Ich denke zum ersten Mal daran, aus der Kirche auszutreten. Ich war über diesen Gedanken erschüttert und er noch mehr. Er sagte dann: Wenn du austrittst, veränderst du nichts. (Anmerkung der Redaktion: Nachdem die Synode die öffentliche Segnung homosexueller Paare 2017 abgelehnt hatte, brachte Landesbischof Otfried July 2018 einen Kompromiss ins Gespräch: Demnach sind öffentliche Segnungen ab 2020 möglich, aber dürfen in maximal einem Viertel der Gemeinden in Württemberg vorgenommen werden. Damit eine Gemeinde sich derart öffnen darf, muss der Gemeinderat mit einer Dreiviertelmehrheit zustimmen, der Pfarrer einwilligen, und der Oberkirchenrat muss die Gemeinde entsprechend ermächtigen.)
Von 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland sind die württembergische Landeskirche und die Landeskirche Schaumburg-Lippe in Niedersachsen die letzten, die keine öffentliche Segnung oder gar Trauung homosexueller Paare zulassen.
Genau. Man ist hierzulande sowieso schon spät dran. In dieser Zeit, in der ich haderte, kam Kurt König, Altbürgermeister von Altshausen, auf mich zu, der früher selbst Synodaler war, und fragte mich, ob eine Kandidatur für mich infrage komme. Bei meiner Vorstellung im Gesprächskreis Evangelium und Kirche, für den ich jetzt kandidiere, habe ich gesagt: Erst wollte ich austreten, jetzt bin ich hier.
Was sagen Sie den Gegnern der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die mit Bibelstellen argumentieren?
Ich bin gegen die ausschließlich wörtliche Auslegung der Bibel. Würde man Bibelstellen immer wörtlich nehmen, könnte man zum Beispiel auch jede feministische Bewegung ersticken. Im Bezug auf das Alte Testament ist diese theologische Haltung übrigens
Konsens.
Auf Ihrer Homepage simon-bluemcke.de stellen
Sie sich vor, man findet dort aber nichts über Ihre Kirchenzugehörigkeit. Wie wichtig ist Ihnen Kirche?
In meiner Jugend hat Kirche unhinterfragt immer eine Rolle gespielt. Ich habe sechs Jahre lang eine freie evangelische Schule besucht, die durchaus pietistisch beeinflusst war. Ich war im CVJM. Aber es gibt Phasen im Leben. Heuchelei liegt mir nicht, deshalb muss ich klar sagen: Heute bin ich ein schwacher Gottesdienstbesucher. Aber ein interessierter Zeitgenosse. Seit ich Bürgermeister bin, spüre ich, welche Rolle Kirche spielt: Da hängt viel mehr dran als der Gottesdienstbesuch. Ich bin zur Zeit viel im Osten Deutschlands unterwegs. Auch da werden Alte versorgt und wird Jugendarbeit gemacht. Aber da fehlt irgendetwas. Bei anderen Trägern, die nichts mit der Kirche zu tun haben, gibt es dieses Werteband oder diese Beseeltheit in der Arbeit nicht immer. Ich finde das aber wichtig. Und wenn man Dinge für wichtig hält, muss man sich dafür engagieren.
Gut 19 000 Menschen haben der evangelischen Landeskirche Württemberg im Jahr 2018 den Rücken gekehrt. Die Anzahl der Austritte ist damit im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Warum verliert Kirche ihre Anziehungskraft?
Viele Menschen sind heute auf Sinnsuche. Ich meine, die Kirche bietet viele Antworten. Aber die Frage ist, ob die bei den Menschen ankommen, ob die Form noch stimmt. Ich glaube, man muss nicht zurückgehen zu irgendwas, sondern vorwärtsgehen zu den Menschen. Und da sehe ich hier in Ravensburg tolle Formate. Zum Beispiel wie Kirche bei der Vesperkirche auf Menschen zugeht. Und wie sie in der Stadtgesellschaft Wirkung entfaltet – unaufgeregt und nachhaltig. Ohne Vesperkirche hätten wir zum Beispiel kein Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Ravensburg. Auch das Angebot „Einfach essen“der katholischen Kirche, das es das ganze Jahr über gibt, gehört in diese Kategorie.
Der Gesprächskreis Evangelium und Kirche, für den Sie kandidieren, ist sozusagen die Mitte-Partei in der Synode. Es gibt aber auch noch konservativere und offenere Gesprächskreise. Warum haben Sie sich für diesen entschieden?
Kurt König, der mich angesprochen hatte, warb mich für diesen Gesprächskreis. Gesellschaftlich sehe ich eine Renaissance des Randes. Ich bin aber ein Fan des Kompromisses und der Mitte.
Die evangelische Kirche Württemberg soll von unten mitregiert werden, deshalb die Direktwahl. Welche Themen bringen Sie „von unten“mit?
Von den Herausforderungen, vor denen Kirche steht, wie demografischer Wandel bin ich im kommunalen Kontext täglich konfrontiert. In der Synode ringt man nicht nur um Glaubens-, sondern auch um knallharte Verwaltungsfragen. Ich sehe meine Kandidatur als Angebot, weil ich in diesem Bereich etwas einbringen kann.
Und was wollen Sie im Fall Ihrer Wahl bei dem Thema Segnung homosexueller Paare erreichen, das sie ja zur Kandidatur bewegt hat?
Es gibt jetzt zwar bald für Gemeinden die Möglichkeit, eine Segnung auf eigene Initiative anzubieten. Dazu sage ich: Es war wichtig, diesen ersten Schritt zu gehen, aber man darf nicht vergessen, dass es noch einen zweiten und dritten geben muss.
Würden Sie und Ihr Mann sich segnen lassen, wenn dies ab 2020 vielleicht sogar in Ravensburg möglich ist?
Wir lassen uns dann segnen, wenn wir merken, dass die Gemeinde uns dazu einlädt, also diese Form der Seelsorge und Segnung will. Wir werden uns nicht aufdrängen und können warten. Die geschriebenen Segenswünsche vieler Menschen, auch vieler Pfarrer, hier aus Ravensburg begleiten uns. Es hat uns bei unserer Trauung damals enorm gefreut, dass uns so tolle und so viele Schreiben erreicht haben. Oft sind die Menschen weiter als die Institutionen.