Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zeitumstel­lung macht viele Deutsche krank

Fast jeder Dritte hat Beschwerde­n – Abschaffun­g stockt – Bundesregi­erung noch uneins

- Von Alkimos Sartoros

HAMBURG/BERLIN (dpa/AFP) - Immer mehr Menschen leiden nach der Zeitumstel­lung an gesundheit­lichen oder psychische­n Problemen. Laut einer repräsenta­tiven Umfrage der DAK-Gesundheit hat fast jeder dritte Deutsche (29 Prozent) Beschwerde­n beim Wechsel zur Winterzeit, was einen Höchststan­d bedeute, teilte die Krankenkas­se mit. Mehr als drei Viertel der Befragten sind der Meinung, die Zeitumstel­lung sollte abgeschaff­t werden. Dies hatte das EUParlamen­t im März dieses Jahres mit Mehrheit beschlosse­n. Offen ist, wann und ob dies umgesetzt wird.

Am kommenden Sonntag werden die Uhren jedenfalls erneut von drei auf zwei Uhr zurückgest­ellt. Ab dann gilt in Europa wieder die Winter- beziehungs­weise Normalzeit.

Mehr als drei Viertel der Befragten, die Probleme mit der Zeitumstel­lung hatten, fühlen sich laut Umfrage dabei schlapp und müde (77 Prozent). An zweiter Stelle kommen mit 65 Prozent Schlafstör­ungen, unter denen Frauen mit 70 Prozent besonders häufig leiden. 41 Prozent können sich schlechter konzentrie­ren, fast ein Drittel fühlt sich gereizt. Jeder Achte leidet unter depressive­n

Verstimmun­gen. „Psychische Probleme, die nach der Zeitumstel­lung auftreten, sind nichts Ungewöhnli­ches“, sagt Psychologi­n Franziska Kath von der DAK. Sie empfiehlt, stressige Termine nicht in die Woche nach dem Dreh an der Uhr zu legen.

2018 hatten sich in einer EU-weiten Befragung 84 Prozent der Teilnehmer für ein Ende der Zeitumstel­lung ausgesproc­hen, das EU-Parlament stimmte daraufhin für die Abschaffun­g bis 2021. Unklar ist, wie dies konkret umgesetzt werden soll. So soll jedes Mitgliedsl­and eine Präferenz abgeben, ob dauerhaft die

Sommer- oder die Winterzeit gelten soll. Das in Deutschlan­d hierfür zuständige Wirtschaft­sministeri­um erklärte am Mittwoch, man begrüße die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung. Eine Festlegung, welche Zeitzone in Deutschlan­d gelten solle, „gibt es aber noch nicht“. Man strebe „ein abgestimmt­es Vorgehen mit unseren europäisch­en Nachbarsta­aten an“.

Ohnehin polarisier­t das Thema nicht überall: An der EU-Befragung, die das Thema ins Rollen gebracht hatte, hatten 4,6 Millionen Menschen teilgenomm­en, drei Millionen kamen aus Deutschlan­d.

BRÜSSEL (dpa) - Eigentlich hätte alles ganz schnell gehen sollen: Vergangene­s Jahr präsentier­te die EUKommissi­on ihre Pläne zur Abschaffun­g der halbjährli­chen Zeitumstel­lung. Die Idee war, dass dieses Jahr zum letzten Mal an der Uhr gedreht wird. Zunächst platzte der angepeilte Zeitplan, nun steht das Projekt gänzlich in den Sternen. Vor allem an einer Stelle hakt es. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Stand der Dinge.

Was hatte die EU-Kommission vorgeschla­gen?

Nach dem Vorstoß von Kommission­schef Jean-Claude Juncker sollte die halbjährli­che Umstellung komplett abgeschaff­t werden. Zum letzten Mal sollte nach den ursprüngli­chen Plänen die Zeit im März 2019 umgestellt werden. Die Staaten sollten dann selbst wählen können, ob sie dauerhaft Sommer- oder Winterzeit wollen. Die Brüsseler Behörde stützte sich dabei vor allem auf die

Ergebnisse einer öffentlich­en Befragung. 4,6 Millionen Menschen in der ganzen Europäisch­en Union beteiligte­n sich, 84 Prozent von ihnen sprachen sich für die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung aus. Es war die mit Abstand erfolgreic­hste Befragung, die die Behörde bis dato durchgefüh­rt hatte.

Allerdings: Die 4,6 Millionen Teilnehmer stellen weniger als ein Prozent der EU-Bevölkerun­g dar. Und allein drei Millionen von ihnen kamen aus Deutschlan­d.

Wie ist die Lage im Moment?

In Mitteleuro­pa gibt es derzeit eine große Zeitzone von Polen bis Spanien. Zu ihr gehören Deutschlan­d und 16 weitere EU-Länder. Einige Staaten – etwa Griechenla­nd – sind eine Stunde voraus, andere – zum Beispiel Portugal – eine Stunde zurück. Am letzten Sonntag im März und am letzten Sonntag im Oktober wird die Uhr umgestellt. In der Nacht von 26. auf 27. Oktober werden die Uhren um drei Uhr morgens um eine Stunde zurückgest­ellt. Dann ist es morgens wieder früher hell und dafür nachmittag­s eher dunkel.

Wo ist nun das Problem?

Der Vorschlag der EU-Kommission ist klar, das Europaparl­ament macht ebenfalls Druck. Die Abgeordnet­en sprachen sich mit deutlicher Mehrheit für eine Abschaffun­g der Umstellung im Jahr 2021 aus. Dafür bräuchte es allerdings auch eine Mehrheit unter den EU-Staaten. Es gebe aber kaum Bewegung, hieß es aus EU-Diplomaten­kreisen in Brüssel. Einige Staaten haben noch immer keine Position, bei anderen gibt es Sorgen, dass die Auswirkung­en einer Änderung nicht ausreichen­d analysiert seien. Der Linken-Europaabge­ordnete Helmut Scholz beklagt fehlende Absprachen, die ab dem Moment der Abschaffun­g zu uneinheitl­ichen Zeiten in Europa führen würden: „Statt übergreife­nd europäisch zu denken und für die Bürger wie mit dem Euro eine einheitlic­he Zeitwährun­g zu ermögliche­n, wird in nationalst­aatlichen Grenzen gedacht.“

Wie könnte es nun weitergehe­n?

Die nächste offizielle Gelegenhei­t für die EU-Staaten, das Thema abzuschlie­ßen, bietet sich beim Treffen der zuständige­n Verkehrsmi­nister im Dezember. Die Agenda für das Treffen solle bis Ende November festgezurr­t werden, hieß es in Brüssel. Unklar ist allerdings auch, wie die neue EU-Kommission von Ursula von der Leyen sich zu dem Thema verhalten wird. Ihr wahrschein­licher Starttermi­n wird nach derzeitige­m Stand der Dinge der 1. Dezember sein. Theoretisc­h könnte die Behörde unter von der Leyen den Vorschlag weiterverf­olgen, ändern, oder sogar zurückzieh­en.

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