Briten steuern auf Neuwahlen zu
Fleischkonsum schadet der Umwelt – Warum dennoch nicht jeder zum Vegetarier werden muss
LONDON (AFP/dpa) - Nach der erneuten Abstimmungsniederlage von Premier Boris Johnson werden Neuwahlen in Großbritannien wahrscheinlicher. Justizminister Robert Buckland sagte am Mittwoch, im Brexit-Gezerre sei eine Neuwahl der „einzige Weg aus der Sackgasse“. Auch liege die Entscheidung über eine Brexit-Verschiebung bei der EU. Die Bundesregierung zeigte sich am Mittwoch hierfür offen.
RAVENSBURG - Wohl wenige Ideen hängen den Grünen so sehr nach wie der „Veggieday“. Im Bundestagswahlkampf 2013 regten sie an, öffentliche Kantinen sollten an einem Tag in der Woche auf Fleisch verzichten. Obwohl von einem Verbot nicht die Rede war, stürzten sich Politiker anderer Parteien auf die vermeintliche „Verbotspartei“. Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann rügte seine Parteifreunde: „Da wird eine Bevormundung auch noch mit einem Anglizismus ausgedrückt und zugleich infantilisiert. Mit so etwas geht man den Leuten auf die Nerven“, sagte er damals der „Zeit“. Bei der Bundestagswahl kurz darauf verloren die Grünen zwei Prozent im Vergleich zu 2009.
Noch verzichten zu wenige Menschen hierzulande auf Fleisch und Fisch, als dass die Grünen mit einem solchen Vorstoß hätten punkten können. Aktuell leben laut der Marktund Werbeträger-Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach 6,1 Millionen Menschen vegetarisch – 400 000 mehr als vor zwei Jahren.
Die Gründe für den Verzicht sind vielfältig. Einige sehen in einer größtenteils pflanzlichen Ernährung gesundheitliche Vorteile. Andere lassen für den Tierschutz Wurst, Steak und Schnitzel weg.
Eine weitere Motivation rückt immer mehr in den Fokus. Fleischkonsum schadet dem Klima – oder besser gesagt: Bei der Produktion tierischer Lebensmittel werden mehr Emissionen freigesetzt als bei der Erzeugung pflanzlicher Nahrung. Umweltverbände und Tierschutzorganisationen betonen schon lange den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Erderwärmung. Auch in der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit wächst das Bewusstsein für die Folgen des Fleischkonsums auf das Klima.
Regenwald schwindet für Tierfutter
Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“importierten deutsche Handels- und Steakhausketten in den vergangenen fünf Jahren 40 000 Tonnen Rindfleisch von drei brasilianischen Steakkonzernen, die für die Abholzung des Regenwaldes verantwortlich sind. Auf einer Fläche von etwa 350 Fußballfeldern würden jährlich demnach geschützte Naturgebiete in Weideland umgewandelt – allein wegen der deutschen Nachfrage nach Fleisch.
Dabei speichern die Wälder Kohlendioxid und halten so die Erde kühl. Ein weiteres Problem ist daher die Rodung für die Produktion von Soja, das für die Mast deutscher
Nutztiere erzeugt werde. Der Weltklimarat (IPCC) plädiert in seinem aktuellen Bericht daher für einen geringeren Fleischkonsum.
Laut dem Landwirtschaftsministerium isst der Deutsche durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Etwa zwei Drittel davon entfallen auf Schweinefleisch und knapp ein Viertel auf Geflügel. 16 Prozent der jährlich verzehrten Fleischmenge stammt vom Rind – und vor allem dieser Anteil ist problematisch. Denn bei der Futterproduktion entstehen Emissionen und die Kühe selbst produzieren Methan – das 25mal klimaschädlicher ist als Kohlendioxid.
Zwar ist der Anteil der Ernährung am gesamten CO2-Ausstoß eher gering. Sie macht 15 Prozent – 1,74 Tonnen – der jährlichen Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen von etwa 11,6 Tonnen CO2-Äquivalenten aus. Der weitaus größere Teil kommt durch Heizen, bei der Mobilität und beim Stromverbrauch zusammen (insgesamt 40 Prozent aller Emissionen).
Dennoch: „Der Konsum und die Produktion von tierischen Lebensmitteln – nicht nur Fleisch – sind klimarelevant“, wie Umweltbundesamt-Expertin Hyewon Seo erklärt. Der Pro-Kopf-Konsum von Schweinefleisch erzeugt im Jahr etwa 224 Kilogramm C02-Äquivalente, der von Rindfleisch 90 Kilogramm. Bei Käse (170 Kilogramm) und Butter (164 Kilogramm) sieht es – zumindest aus Klimasicht – ähnlich aus. Der durchschnittliche Verzehr von Brot und Kartoffeln weist „hingegen nur 52 beziehungsweise 13 Kilogramm CO2-Äquivalente auf“, so
Seo. Sie rechnet vor, dass Menschen, die nur noch halb so viele tierische Produkte essen, ihren Pro-KopfAusstoß an Treibhausgasen um zwölf Prozent reduzieren. Bei einer rein vegetarischen Ernährung sind es 30 Prozent. Veganer, die auf jegliche Tierprodukte verzichten, würden den Ausstoß an Treibhausgasen gar halbieren.
Die EAT Lancet Kommission empfiehlt laut Seo „für eine gesunde und gleichzeitig die planetaren Grenzen berücksichtigende Ernährung im Schnitt nicht mehr als 43 Gramm Fleisch pro Tag und Kopf zu verzehren“– also ein Viertel der Menge, die in Deutschland derzeit gegessen wird.
Eine Reduktion reicht
Sollten Menschen dann nicht vielleicht lieber gleich das Fleisch vom Teller lassen? Nein, sagt Agrarwissenschaftler Moritz Wagner von der Universität Hohenheim – obwohl es für ihn „keinen Zweifel mehr gibt“am Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und den Auswirkungen auf das Klima. Die Unterschiede zwischen einer vegetarischen und einer fleischbasierten Ernährung sind sehr deutlich, sagt Wagner, der zu nachwachsenden Rohstoffen und Bioenergiepflanzen forscht.
Genauso einig seien sich viele, dass nicht jeder Vegetarier werden müsse, um das Klima zu schützen. Aber: „Ich halte eine Reduktion aus Umweltsicht für sinnvoll“, sagt Wagner. Denn die Landwirtschaft ist nicht nur klimaschädlich. „Es gibt viele Graslandflächen in BadenWürttemberg und in ganz Deutschland. Die Viehhaltung ist eine sehr effiziente Form, die eigentlich schlechten Standorte und das faserreiche Futter zu nutzen, um es in proteinreiche, für die Menschen wertvolle Nahrung zu verwandeln“, erklärt Wagner. Sprich: Die Kühe fressen das Gras, das für den Menschen ungenießbar ist, und verwandeln es in Fleisch und Milch, die dem Menschen wiederum als Nahrung dienen.
Das betont auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. „Im Allgäu beispielsweise gibt es viel Grünland, das man nicht zu Ackerland machen kann“, erklärt er. Auch weist er darauf hin, dass die Produktionsbedingungen maßgeblich seien für die CO2-Bilanz. Billigfleisch aus dem Mittleren Westen der USA oder aus Brasilien habe eine andere Bilanz als eben heimische Ware.
Wie war das noch mal mit dem „Veggieday“? Die Idee lässt sich politisch wohl nicht umsetzen – ihre Wirkung ist aber nicht von der Hand zu weisen. Geht es nach den Experten, wären gleich mehrere fleischfreie Tage ein Segen für das Klima.