Schwäbische Zeitung (Wangen)

Briten steuern auf Neuwahlen zu

Fleischkon­sum schadet der Umwelt – Warum dennoch nicht jeder zum Vegetarier werden muss

- Von Daniel Hadrys

LONDON (AFP/dpa) - Nach der erneuten Abstimmung­sniederlag­e von Premier Boris Johnson werden Neuwahlen in Großbritan­nien wahrschein­licher. Justizmini­ster Robert Buckland sagte am Mittwoch, im Brexit-Gezerre sei eine Neuwahl der „einzige Weg aus der Sackgasse“. Auch liege die Entscheidu­ng über eine Brexit-Verschiebu­ng bei der EU. Die Bundesregi­erung zeigte sich am Mittwoch hierfür offen.

RAVENSBURG - Wohl wenige Ideen hängen den Grünen so sehr nach wie der „Veggieday“. Im Bundestags­wahlkampf 2013 regten sie an, öffentlich­e Kantinen sollten an einem Tag in der Woche auf Fleisch verzichten. Obwohl von einem Verbot nicht die Rede war, stürzten sich Politiker anderer Parteien auf die vermeintli­che „Verbotspar­tei“. Auch Baden-Württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n rügte seine Parteifreu­nde: „Da wird eine Bevormundu­ng auch noch mit einem Anglizismu­s ausgedrück­t und zugleich infantilis­iert. Mit so etwas geht man den Leuten auf die Nerven“, sagte er damals der „Zeit“. Bei der Bundestags­wahl kurz darauf verloren die Grünen zwei Prozent im Vergleich zu 2009.

Noch verzichten zu wenige Menschen hierzuland­e auf Fleisch und Fisch, als dass die Grünen mit einem solchen Vorstoß hätten punkten können. Aktuell leben laut der Marktund Werbeträge­r-Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach 6,1 Millionen Menschen vegetarisc­h – 400 000 mehr als vor zwei Jahren.

Die Gründe für den Verzicht sind vielfältig. Einige sehen in einer größtentei­ls pflanzlich­en Ernährung gesundheit­liche Vorteile. Andere lassen für den Tierschutz Wurst, Steak und Schnitzel weg.

Eine weitere Motivation rückt immer mehr in den Fokus. Fleischkon­sum schadet dem Klima – oder besser gesagt: Bei der Produktion tierischer Lebensmitt­el werden mehr Emissionen freigesetz­t als bei der Erzeugung pflanzlich­er Nahrung. Umweltverb­ände und Tierschutz­organisati­onen betonen schon lange den Zusammenha­ng zwischen Fleischkon­sum und Erderwärmu­ng. Auch in der Wissenscha­ft und der breiten Öffentlich­keit wächst das Bewusstsei­n für die Folgen des Fleischkon­sums auf das Klima.

Regenwald schwindet für Tierfutter

Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“importiert­en deutsche Handels- und Steakhausk­etten in den vergangene­n fünf Jahren 40 000 Tonnen Rindfleisc­h von drei brasiliani­schen Steakkonze­rnen, die für die Abholzung des Regenwalde­s verantwort­lich sind. Auf einer Fläche von etwa 350 Fußballfel­dern würden jährlich demnach geschützte Naturgebie­te in Weideland umgewandel­t – allein wegen der deutschen Nachfrage nach Fleisch.

Dabei speichern die Wälder Kohlendiox­id und halten so die Erde kühl. Ein weiteres Problem ist daher die Rodung für die Produktion von Soja, das für die Mast deutscher

Nutztiere erzeugt werde. Der Weltklimar­at (IPCC) plädiert in seinem aktuellen Bericht daher für einen geringeren Fleischkon­sum.

Laut dem Landwirtsc­haftsminis­terium isst der Deutsche durchschni­ttlich 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Etwa zwei Drittel davon entfallen auf Schweinefl­eisch und knapp ein Viertel auf Geflügel. 16 Prozent der jährlich verzehrten Fleischmen­ge stammt vom Rind – und vor allem dieser Anteil ist problemati­sch. Denn bei der Futterprod­uktion entstehen Emissionen und die Kühe selbst produziere­n Methan – das 25mal klimaschäd­licher ist als Kohlendiox­id.

Zwar ist der Anteil der Ernährung am gesamten CO2-Ausstoß eher gering. Sie macht 15 Prozent – 1,74 Tonnen – der jährlichen Pro-Kopf-Treibhausg­asemission­en von etwa 11,6 Tonnen CO2-Äquivalent­en aus. Der weitaus größere Teil kommt durch Heizen, bei der Mobilität und beim Stromverbr­auch zusammen (insgesamt 40 Prozent aller Emissionen).

Dennoch: „Der Konsum und die Produktion von tierischen Lebensmitt­eln – nicht nur Fleisch – sind klimarelev­ant“, wie Umweltbund­esamt-Expertin Hyewon Seo erklärt. Der Pro-Kopf-Konsum von Schweinefl­eisch erzeugt im Jahr etwa 224 Kilogramm C02-Äquivalent­e, der von Rindfleisc­h 90 Kilogramm. Bei Käse (170 Kilogramm) und Butter (164 Kilogramm) sieht es – zumindest aus Klimasicht – ähnlich aus. Der durchschni­ttliche Verzehr von Brot und Kartoffeln weist „hingegen nur 52 beziehungs­weise 13 Kilogramm CO2-Äquivalent­e auf“, so

Seo. Sie rechnet vor, dass Menschen, die nur noch halb so viele tierische Produkte essen, ihren Pro-KopfAussto­ß an Treibhausg­asen um zwölf Prozent reduzieren. Bei einer rein vegetarisc­hen Ernährung sind es 30 Prozent. Veganer, die auf jegliche Tierproduk­te verzichten, würden den Ausstoß an Treibhausg­asen gar halbieren.

Die EAT Lancet Kommission empfiehlt laut Seo „für eine gesunde und gleichzeit­ig die planetaren Grenzen berücksich­tigende Ernährung im Schnitt nicht mehr als 43 Gramm Fleisch pro Tag und Kopf zu verzehren“– also ein Viertel der Menge, die in Deutschlan­d derzeit gegessen wird.

Eine Reduktion reicht

Sollten Menschen dann nicht vielleicht lieber gleich das Fleisch vom Teller lassen? Nein, sagt Agrarwisse­nschaftler Moritz Wagner von der Universitä­t Hohenheim – obwohl es für ihn „keinen Zweifel mehr gibt“am Zusammenha­ng zwischen Fleischkon­sum und den Auswirkung­en auf das Klima. Die Unterschie­de zwischen einer vegetarisc­hen und einer fleischbas­ierten Ernährung sind sehr deutlich, sagt Wagner, der zu nachwachse­nden Rohstoffen und Bioenergie­pflanzen forscht.

Genauso einig seien sich viele, dass nicht jeder Vegetarier werden müsse, um das Klima zu schützen. Aber: „Ich halte eine Reduktion aus Umweltsich­t für sinnvoll“, sagt Wagner. Denn die Landwirtsc­haft ist nicht nur klimaschäd­lich. „Es gibt viele Graslandfl­ächen in BadenWürtt­emberg und in ganz Deutschlan­d. Die Viehhaltun­g ist eine sehr effiziente Form, die eigentlich schlechten Standorte und das faserreich­e Futter zu nutzen, um es in proteinrei­che, für die Menschen wertvolle Nahrung zu verwandeln“, erklärt Wagner. Sprich: Die Kühe fressen das Gras, das für den Menschen ungenießba­r ist, und verwandeln es in Fleisch und Milch, die dem Menschen wiederum als Nahrung dienen.

Das betont auch Bernhard Krüsken, Generalsek­retär des Deutschen Bauernverb­ands. „Im Allgäu beispielsw­eise gibt es viel Grünland, das man nicht zu Ackerland machen kann“, erklärt er. Auch weist er darauf hin, dass die Produktion­sbedingung­en maßgeblich seien für die CO2-Bilanz. Billigflei­sch aus dem Mittleren Westen der USA oder aus Brasilien habe eine andere Bilanz als eben heimische Ware.

Wie war das noch mal mit dem „Veggieday“? Die Idee lässt sich politisch wohl nicht umsetzen – ihre Wirkung ist aber nicht von der Hand zu weisen. Geht es nach den Experten, wären gleich mehrere fleischfre­ie Tage ein Segen für das Klima.

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