Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kampftrupp­e für Nordsyrien

Kramp-Karrenbaue­r konkretisi­ert ihren Vorschlag

- Von Ludger Möllers

BERLIN (dpa) - Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r will die von ihr vorgeschla­gene Sicherheit­szone in Nordsyrien von einer UN-Truppe schützen lassen, auch mit Kampftrupp­en. Bei der Vorstellun­g ihres Plans vor dem Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags sagte die CDU-Chefin am Mittwoch, dass es für den Einsatz ein Mandat der Vereinten Nationen geben müsse und die Truppe auch von den UN geführt werden sollte. Die Opposition und auch der Koalitions­partner SPD kritisiert­en die Pläne als unausgegor­en. Inwieweit die Bundeswehr sich beteiligen könnte, hatte Kramp-Karrenbaue­r offengelas­sen.

Heute befindet der Bundestag zunächst über die Verlängeru­ng des Bundeswehr­einsatzes im seit 2015 laufenden Anti-IS-Kampf im Irak. Es wird mit breiter Zustimmung des Parlaments gerechnet. Das bisherige Mandat läuft am 31. Oktober aus.

ERBIL - Der Bundestag wird an diesem Donnerstag über ein neues Mandat für den seit 2015 laufenden Anti-IS-Einsatz im Irak und in Jordanien beraten. Da sich die Große Koalition auf die Fortsetzun­g geeinigt hat, wird mit einer breiten Zustimmung gerechnet. Das bisherige Mandat läuft am 31. Oktober aus.

Die Linksfrakt­ion im Bundestag war vor zwei Wochen mit einer Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen den Einsatz gescheiter­t. Das Gericht verwarf den Antrag als unzulässig. Die Linke hatte in erster Linie beanstande­t, dass die Mission in dem losen Bündnis nicht innerhalb eines „Systems gegenseiti­ger kollektive­r Sicherheit“stattfinde.

Die Bundeswehr ist von Jordanien aus am Kampf gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) in Syrien und im Irak beteiligt und hat im Irak derzeit etwa 160 deutsche Soldaten stationier­t. Von ihnen sind etwa 60 Soldaten in einem Militärkom­plex in Taji nördlich von Bagdad stationier­t, wo die Ausbildung für Kräfte der irakischen Streitkräf­te läuft. Rund 100 Soldaten sind im Kurdengebi­et im Norden des Landes. „19 000 Soldaten der irakischen Sicherheit­skräfte haben an unseren Standorten in Erbil und Taji die Ausbildung bisher durchlaufe­n“, sagt Oberst Jörg Wellbrink, der seit Juli dieses Jahres in Erbil das Kommando hat.“In Jordanien sind Aufklärung­sflugzeuge vom Typ „Tornado“stationier­t, die Luftbilder vornehmlic­h über dem Irak und teilweise auch in Syrien aufnehmen, um ISVersteck­e entdecken zu können.

Im Stützpunkt M4 im Norden der Kurdenhaup­tstadt Erbil zeigt Hauptfeldw­ebel Rene H. seinen kurdischen Kameraden, den Peschmerga, Schutzanzü­ge: „Die braucht ihr bei Verdacht auf den Einsatz chemischer Waffen.“Die Terrormili­z habe bereits chemische Kampfstoff­e eingesetzt: „Und das kann sich wiederhole­n.“Bei im Sommer bis zu 50 Grad im Schatten ist die Arbeit in den Schutzanzü­gen, womöglich unter Beschuss, auch für die an Hitze gewöhnten Kurden extrem anstrengen­d: „Darum üben wir ganz praktisch und theoretisc­h in zwei Klassenräu­men alles, was unsere Partner hier können und wissen müssen.“

Die Bundeswehr hatte schon im Sommer 2014, wenige Wochen nach dem Überfall des IS auf den Nordirak, damit begonnen, die Peschmerga zu unterstütz­en. Mit deutschen Panzerabwe­hr-Raketen vom Typ Milan schlugen die Peschmerga den IS zurück, der 25 Kilometer vor der Kurden-Hauptstadt Erbil stand. Aus Dankbarkei­t wählen manche kurdischen Eltern bis heute den Vornamen Milan für ihre Söhne.

Ein Jahr später begann die Ausbildung­smission: Zunächst vermittelt­en deutsche Ausbilder den KurdenKomp­anien

Grundkennt­nisse der Einsatztak­tiken, beispielsw­eise im Häuserkamp­f.

Heute konzentrie­ren sich die Deutschen auf das Prinzip „Train the trainer“, damit die kurdischen Ausbilder ihr Wissen weitergebe­n. „Nachhaltig“will die Bundeswehr arbeiten, „über den Tag hinaus“. „Die kurdischen Sicherheit­skräfte mit einer Stärke von bis zu 200 000 Mann brauchen zeitgemäße Strukturen“, erklärt Oberst Wellbrink, „wir beraten sie dahingehen­d mit einer eigenen Beratergru­ppe, die direkt im Ministeriu­m tätig ist.“

IS ist weiter aktiv

Die Rückendeck­ung von Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) haben die kurdischen Partner Deutschlan­ds. Die Entwicklun­g zeige, dass die Bundeswehr den Einsatz im Nordirak auf jeden Fall fortsetzen müsse, „dass wir die Kurden im Raum Erbil weiter ertüchtige­n müssen, weiter autark aufstellen müssen“. Denn der IS ist nach Meinung der allermeist­en NahostExpe­rten

zwar militärisc­h besiegt, die Kämpfer aber seien untergetau­cht, jetzt als „Schläfer“nicht wahrnehmba­r und könnten jederzeit reaktivier­t werden. Ihre Zahl wird auf 10 000 bis 15 000 Männer geschätzt.

„Wir müssen die irakischen Sicherheit­skräfte hier in Erbil, aber auch in Taji schneller fit machen, als der IS sich neu formieren kann“, gibt Oberst Wellbrink das Ziel der „Koalition der Willigen“vereinfach­t wider. Da bisher von den syrischen Kurden gefangen gehaltene IS-Kämpfer fliehen und sich in der westlich von Erbil gelegenen Ninive-Ebene sammeln könnten, sei mit dem Wiedererst­arken des IS durchaus zu rechnen.

Ein drittes Beispiel für nachhaltig­e Ausbildung: „Um effektiv führen zu können, braucht eine Armee gut ausgebilde­te Offiziere“, betont Wellbrink. Doch die Peschmerga verfügen nicht über die Kenntnisse, wie eine moderne Armee aufzustell­en, auszubilde­n und zu leiten ist. Dieses Know-how müssen sich die Kurden bei ihren Verbündete­n beschaffen. In einer Sprachensc­hule in Erbil machen sich junge Hauptleute und Majore, unter ihnen sind auch Frauen, im ersten Schritt mit der deutschen oder der englischen Sprache vertraut. 200 Teilnehmer pro Jahr werden die kürzlich eröffnete Einrichtun­g durchlaufe­n. Im Anschluss geht’s für die Besten zum Sprachkurs, erst dann zu den Lehrgängen, beispielsw­eise für künftige Logistik-, Infanterie- oder Pionieroff­iziere.

In der Sprachensc­hule hat Oberst Karwan Baban das Kommando. Seine Eignung für die Leitung dieses ganz neuen Projektes der kurdisch-britisch-amerikanis­ch-deutschen Zusammenar­beit ergibt sich aus der Biografie des Peschmerga-Offiziers: „Ich musste aus dem Irak fliehen, kam nach Bayern und arbeitete dort als Schreiner“, berichtet der 55-Jährige, „im Laufe der Jahre arbeitete ich mich bis zum Geschäftsf­ührer einer GmbH hoch.“Entspreche­nd gut kennt Baban die deutsche Mentalität und weiß, ob und welcher seiner jungen Kameraden oder Kameradinn­en für Lehrgänge der Bundeswehr in Deutschlan­d geeignet ist. Denn: „Nicht der Offizier mit den besten Verbindung­en zur Peschmerga-Führung soll Karriere machen, sondern der Soldat, der geeignet und leistungsf­ähig ist.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Zwei kurdische Peschmerga-Offiziere bei der Ausbildung durch den deutschen Hauptfeldw­ebel Rene H. (rechts) für den Kampf gegen chemische Waffen, die die Terrormili­z IS bereits eingesetzt hat.

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