Schwäbische Zeitung (Wangen)

Massentod im Kühlcontai­ner

Britische Polizei findet 39 Tote in bulgarisch­em Lastwagen – Fahrer wegen Mordverdac­hts festgenomm­en

- Von Sebastian Borger

LONDON - Britische Rettungskr­äfte haben 39 Leichen in einem Container eines Lastwagens gefunden. Bei den Toten handelt es sich laut Polizei um 38 Erwachsene und einen Teenager. Die Nationalit­ät ist noch nicht bekannt. Der Sattelschl­epper mit Kühlcontai­ner aus Bulgarien war in einem Industrieg­ebiet in der Ortschaft Grays, etwa 30 Kilometer von London entfernt, abgestellt worden. Die Polizei nahm den 25-Jährigen Fahrer unter Mordverdac­ht fest. Premiermin­ister Boris Johnson sprach von einer schrecklic­hen Tragödie, Innenminis­terin Priti Patel kündigte einen noch härteren Kampf gegen Menschensc­hmuggler an.

Ihre Beamten seien gegen 1.40 Uhr an den Fundort gerufen worden, teilte die stellvertr­etende Polizeiprä­sidentin von Essex, Pippa Mills, mit. Sämtliche Insassen des cremefarbe­nen Kühlcontai­ners seien zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen. Wer die Rettungskr­äfte alarmiert hatte, blieb bis zum Abend offen. Der festgenomm­ene Fahrer stammt aus Nordirland. Am Abend wurde der Sattelschl­epper in ein Kühlhaus des nahe gelegenen Containerh­afens Tilbury Docks gefahren, wo die Leichen geborgen und identifizi­ert werden sollen.

Ersten Ermittlung­en der Kripo zufolge war das Zugfahrzeu­g vom Typ Scania am Samstag im walisische­n Hafen Holyhead ins Land gekommen. Dort docken Autofähren aus dem Dubliner Hafen an. Großbritan­nien hat immer wieder Tragödien mit Menschensc­hmuggel erlebt. Normalerwe­ise konzentrie­rt sich dieser auf die Häfen am Ärmelkanal sowie den Tunnel zwischen Calais und Folkestone. Im Hafen von Dover kontrollie­rten Zollbeamte im Jahr 2000 einen vorgeblich mit Tomaten beladenen Lastzug aus Holland. In dem Kühlcontai­ner fanden sie zwei gerade noch lebende junge Männer und 58 Leichen, allesamt Chinesen. Ihr Fluchtwage­n war zum stählernen Massengrab geworden, weil der holländisc­he Fahrer an einem heißen Junitag die Kühlung abgeschalt­et hatte. Er wurde später wegen Totschlags zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Seit Beginn des Jahrhunder­ts kontrollie­rt Großbritan­nien in Absprache mit Frankreich und den anderen Anrainern die Kanalhäfen. Die dortige Stacheldra­htzone gleicht mittlerwei­le dem früheren innerdeuts­chen Todesstrei­fen, wenn auch ohne Selbstschu­ssanlagen. Flüchtling­e aus Afrika und Asien versuchen dennoch, auf rollende Lastwagen aufzusprin­gen oder sich unter Containern festzuklam­mern. Immer wieder kommen dabei junge Männer ums Leben.

Experten für den organisier­ten Menschensc­hmuggel bei der nationalen Kriminalbe­hörde NCA wiesen im vergangene­n Jahr auf einen Verdrängun­gseffekt der Abwehrmaßn­ahmen am Ärmelkanal hin. Zunehmend würden die kriminelle­n Banden auf irische Häfen ausweichen. Dies könnte auch die Route des bulgarisch­en Lastwagens gewesen sein.

Durch den bevorstehe­nden Brexit sind die Fährverbin­dungen zwischen Cherbourg und Roscoff in Frankreich und dem südirische­n Hafen

Rosslare ausgebaut worden. Der Umweg über die Nachbarins­el im Westen Großbritan­niens hätte die Zollbeamte­n in Holyhead stutzig machen können. „Wenn der Lastwagen wirklich aus Bulgarien kam, wäre die Einreise über Holyhead schon sehr ungewöhnli­ch“, sagt Seamus Leheny von der Transportl­obbygruppe FTA.

Von der Vernehmung des Fahrers verspricht sich die Sonderkomm­ission nun Erkenntnis­se über die letzte Reise sowie die Nationalit­ät der 39 Toten. Im Unterhaus drückten viele Abgeordnet­e ihren Schock und ihre Trauer aus. Man wolle sich gar nicht genauer vorstellen, sagte LabourOppo­sitionsfüh­rer Jeremy Corbyn, welch schrecklic­he Szenen sich in dem Container abgespielt haben müssen. Labours innenpolit­ische Sprecherin Diane Abbott erinnerte daran, dass niemand auf der Suche nach einem besseren Leben seine Heimat leichten Herzens verlasse: „Wir brauchen sichere und legale Routen für Flüchtling­e.“

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FOTO: DPA Die Leichen sind in einem Lastwagen im Industrieg­ebiet gefunden worden.

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