Massentod im Kühlcontainer
Britische Polizei findet 39 Tote in bulgarischem Lastwagen – Fahrer wegen Mordverdachts festgenommen
LONDON - Britische Rettungskräfte haben 39 Leichen in einem Container eines Lastwagens gefunden. Bei den Toten handelt es sich laut Polizei um 38 Erwachsene und einen Teenager. Die Nationalität ist noch nicht bekannt. Der Sattelschlepper mit Kühlcontainer aus Bulgarien war in einem Industriegebiet in der Ortschaft Grays, etwa 30 Kilometer von London entfernt, abgestellt worden. Die Polizei nahm den 25-Jährigen Fahrer unter Mordverdacht fest. Premierminister Boris Johnson sprach von einer schrecklichen Tragödie, Innenministerin Priti Patel kündigte einen noch härteren Kampf gegen Menschenschmuggler an.
Ihre Beamten seien gegen 1.40 Uhr an den Fundort gerufen worden, teilte die stellvertretende Polizeipräsidentin von Essex, Pippa Mills, mit. Sämtliche Insassen des cremefarbenen Kühlcontainers seien zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen. Wer die Rettungskräfte alarmiert hatte, blieb bis zum Abend offen. Der festgenommene Fahrer stammt aus Nordirland. Am Abend wurde der Sattelschlepper in ein Kühlhaus des nahe gelegenen Containerhafens Tilbury Docks gefahren, wo die Leichen geborgen und identifiziert werden sollen.
Ersten Ermittlungen der Kripo zufolge war das Zugfahrzeug vom Typ Scania am Samstag im walisischen Hafen Holyhead ins Land gekommen. Dort docken Autofähren aus dem Dubliner Hafen an. Großbritannien hat immer wieder Tragödien mit Menschenschmuggel erlebt. Normalerweise konzentriert sich dieser auf die Häfen am Ärmelkanal sowie den Tunnel zwischen Calais und Folkestone. Im Hafen von Dover kontrollierten Zollbeamte im Jahr 2000 einen vorgeblich mit Tomaten beladenen Lastzug aus Holland. In dem Kühlcontainer fanden sie zwei gerade noch lebende junge Männer und 58 Leichen, allesamt Chinesen. Ihr Fluchtwagen war zum stählernen Massengrab geworden, weil der holländische Fahrer an einem heißen Junitag die Kühlung abgeschaltet hatte. Er wurde später wegen Totschlags zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Seit Beginn des Jahrhunderts kontrolliert Großbritannien in Absprache mit Frankreich und den anderen Anrainern die Kanalhäfen. Die dortige Stacheldrahtzone gleicht mittlerweile dem früheren innerdeutschen Todesstreifen, wenn auch ohne Selbstschussanlagen. Flüchtlinge aus Afrika und Asien versuchen dennoch, auf rollende Lastwagen aufzuspringen oder sich unter Containern festzuklammern. Immer wieder kommen dabei junge Männer ums Leben.
Experten für den organisierten Menschenschmuggel bei der nationalen Kriminalbehörde NCA wiesen im vergangenen Jahr auf einen Verdrängungseffekt der Abwehrmaßnahmen am Ärmelkanal hin. Zunehmend würden die kriminellen Banden auf irische Häfen ausweichen. Dies könnte auch die Route des bulgarischen Lastwagens gewesen sein.
Durch den bevorstehenden Brexit sind die Fährverbindungen zwischen Cherbourg und Roscoff in Frankreich und dem südirischen Hafen
Rosslare ausgebaut worden. Der Umweg über die Nachbarinsel im Westen Großbritanniens hätte die Zollbeamten in Holyhead stutzig machen können. „Wenn der Lastwagen wirklich aus Bulgarien kam, wäre die Einreise über Holyhead schon sehr ungewöhnlich“, sagt Seamus Leheny von der Transportlobbygruppe FTA.
Von der Vernehmung des Fahrers verspricht sich die Sonderkommission nun Erkenntnisse über die letzte Reise sowie die Nationalität der 39 Toten. Im Unterhaus drückten viele Abgeordnete ihren Schock und ihre Trauer aus. Man wolle sich gar nicht genauer vorstellen, sagte LabourOppositionsführer Jeremy Corbyn, welch schreckliche Szenen sich in dem Container abgespielt haben müssen. Labours innenpolitische Sprecherin Diane Abbott erinnerte daran, dass niemand auf der Suche nach einem besseren Leben seine Heimat leichten Herzens verlasse: „Wir brauchen sichere und legale Routen für Flüchtlinge.“