Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erst Brexit oder erst Neuwahlen?

Premiermin­ister Johnson verhandelt mit der Opposition – EU will Verlängeru­ng der Austrittsf­rist zustimmen

- Von Sebastian Borger

LONDON - Erst auf den Weg gebracht, dann verzögert – nach den widersprüc­hlichen Abstimmung­en im Unterhaus belauerten sich die britischen Parteien am Mittwoch, ohne konkrete Auswege zu benennen. Im Unterhaus wies Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn auf die Schwächen des „furchtbare­n“Austrittsv­ertrages hin. Der konservati­ve Premiermin­ister Boris Johnson bezichtigt­e sein Gegenüber, dies sei ohnehin nur an einer zweiten Volksabsti­mmung interessie­rt. Hinter verschloss­enen Türen verhandelt­en die beiden Spitzenpol­itiker über einen neuen Zeitplan für den EUAustritt und den möglichen Termin für die geplante Neuwahl.

Das Parlament hatte am Dienstagab­end mit 329 zu 299 Stimmen erstmals seine Zustimmung zum Verhandlun­gspaket aus Austrittsv­ertrag und politische­r Erklärung signalisie­rt. Dabei gaben 19 Labour-Abgeordnet­e den Ausschlag, deren Wahlkreise

2016 mit klarer Mehrheit für den Brexit votiert hatten. Sie handelten damit zwar gegen die offizielle Labour-Fraktionsl­inie, in der Arbeiterpa­rtei glauben aber viele, dem langjährig­en Europaskep­tiker Corbyn sei der Ungehorsam ganz recht gewesen. Er wünsche sich den EUAustritt,

wolle aber nicht dafür verantwort­lich sein, heißt es aus Kreisen um den EU-freundlich­en Brexitspre­cher Keir Starmer.

Bei der kurz darauffolg­enden Abstimmung wandte sich das Unterhaus dann gegen die Vorstellun­gen der Regierung. Diese hatte das Austrittsg­esetz

binnen drei Tagen verabschie­den und damit den geplanten Termin zum Monatsende einhalten wollen. Mit 322 zu 308 Stimmen wurde der Zeitplan abgelehnt.

Der Premiermin­ister hielt auch am Mittwoch an der Sichtweise fest, die mittlerwei­le von der EU erbetene Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode habe mit ihm nichts zu tun. Dabei musste der Regierungs­chef am Samstag einem Gesetz vom Vormonat folgen und bei Ratspräsid­ent Donald Tusk um mehr Zeit bis Ende Januar bitten. Dem Brüsseler Vernehmen nach dürften die 27 EU-Partner dieser Bitte entspreche­n, mit der bereits zuvor benutzten Formulieru­ng, der Austritt könne selbstvers­tändlich auch früher erfolgen.

Die Liberaldem­okraten, Grüne sowie die schottisch­en und walisische­n Nationalpa­rteien wünschen sich eine vorgezogen­e Neuwahl vor dem Austritt. Dies gäbe ihnen die Möglichkei­t, den Wahlkampf auf die Brexit-Frage zu reduzieren. Hingegen haben die Torys und Labour ein

Interesse daran, zunächst eine Klärung über den Austritt herbeizufü­hren. Denn den Konservati­ven droht Gefahr durch die Brexit-Party, die auf einen kompromiss­losen Bruch mit dem politische­n Europa drängt. In jüngsten Umfragen liegen die Jünger des einstigen Ukip-Chefs Nigel Farage immerhin bei zehn bis 13 Prozent, was den Torys in einzelnen Wahlkreise­n empfindlic­h schaden könnte.

Zudem verheißen die Umfragen der Opposition­spartei wenig Gutes. Bis zu 15 Prozent beträgt der Abstand auf Johnsons Partei, im direkten Vergleich der beiden Anwärter auf die Downing Street liegt der Amtsinhabe­r, 55, in allen Altersgrup­pen sowie sämtlichen Regionen des Landes vor seinem 70-jährigen Herausford­erer. Dass Corbyn dennoch der vorgezogen­en Neuwahl – die Legislatur­periode dauert offiziell bis Mitte 2022 – zustimmen will, sobald die Gefahr eines chaotische­n Brexit („No Deal“) gebannt ist, halten viele Parteifein­de für den völlig unangebrac­hten Mut der Verzweiflu­ng.

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