Viel freier unterwegs
Laura Dahlmeier, seit Mai Ex-Biathletin, hat sich mit dem Leben nach dem Leistungssport erwartet gut arrangiert – Sie tut, wofür sie „wirklich brennt“
PLANEGG - Am Morgen schon war sie laufen. „Ganz früh, ganz entspannt – flach! – und ned amol a Stund’.“Laura Dahlmeier lächelt. Entschuldigend beinahe. Sehnsucht nach Leistungssport, sagt sie dann, habe sie „ned unbedingt – aber sporteln tu ich schon sehr gern nach wie vor“. 9 Uhr ist es (was ahnen lässt, wie früh „ganz früh“war), der fein aufgehübschte Sitzungssaal im „Haus des Ski“ist pickepackevoll. Versteht sich, wenn DSV aktiv, die Stiftung Sicherheit im Skisport und der Deutsche Skiverband zur Pressekonferenz nach Planegg laden und am Ende der Agenda folgender Satz steht: „Außerdem berichtet Laura Dahlmeier über ihr Leben nach dem Leistungssport-Rücktritt und informiert über ihre Zukunftspläne.“
Mitte Mai hat Laura D. das Ende ihrer Biathlonkarriere kundgetan. 15 Monate zuvor stand der Sprint auf dem Programm der XXIII. Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. 7,5 Kilometer skaten, fünf Schuss liegend, fünf stehend, bei übelster Korea-Kälte. Windböen dazu, die das Treffen der Scheiben fast unmöglich machten. Laura Dahlmeier wird Gold gewinnen an diesem 10. Februar 2018, ihr erstes. Ohne Fehlversuch, 24,2 Sekunden am Ende vor Marte Olsbu aus Norwegen. „Jede Schweißperle ...“, liest man seit 17. Mai auf www.lauradahlmeier.de, „war auf dieses Ziel ausgerichtet. Ich empfinde es als größtes Geschenk, dass ich an diesem Tag mein gesamtes Potenzial zu 100 Prozent ausschöpfen durfte, und ich weiß heute ganz genau: Besser kann ich es nicht! Es war das perfekte Rennen bei schwierigsten Bedingungen.“
24 war Laura Dahlmeier, als sich Realität und eigener Anspruch in derart selten erlangter Weise deckten. Fünfundzwanzigdreiviertel ist sie, als sie weiß: Biathlon hält für sie keine Ziele mehr parat. „Wahre Ziele, für die man alles in die Waagschale werfen würde.“Die Garmisch-Partenkirchenerin aber war zweimal Olympiasiegerin (das zweite Mal in der Verfolgung von Pyeongchang), siebenmal Weltmeisterin, war GesamtweltcupSiegerin und in 33 Weltcup-Wettbewerben nicht zu bezwingen. „Kein Biathlon-Ziel mehr“treibt sie an.
Der Gams-Modus hat WM-Reife
„Neue Blickwinkel“möchte sie sich eröffnen, sich „neuen Herausforderungen“stellen. Hat sie? Hat sie! Das zweifellos Wichtigste: „Ich bin viel freier unterwegs.“Biathlon auf höchstem Level nämlich heißt auch: „Man hat sehr viele Vorgaben, ist in irgendeinem System drin. Das muss natürlich sein. Aber diese Fremdbestimmtheit, das war schon mit das Anstrengendste.“Der Dahlmeier’sche
Konter: Iran-Erkundung mit Tourenski und Freunden, „Radl“-Trip nach Chamonix und, und, und ... „Ich hab’ ganz ungezwungen genau das machen können, was i mög’n hab’.“
Auch was sie mittlerweile tut, mag Laura Dahlmeier: Da ist die Fortbildung zur B-Trainerin (die C-Lizenz Biathlon besitzt die 26-Jährige bereits). Nicht, weil es ihr Plan sei, „zukünftige Bundestrainerin zu werden. Ich will ein paar Hintergründe erfahren.“Wissen, von dem Laura Dahlmeier hofft, es „dann irgendwann den richtigen Menschen wieder mitgeben“zu können. Da ist das Ehrenamt bei der Bergwacht ihrer Heimatgemeinde (samt der Vorfreude auf gewiss einige Skidienste auf der Hütte), da ist der Berglauf. Das „ein oder andere Laufevent“hat Laura Dahlmeier den Sommer über „zur Gaudi“mitgenommen. Ohne Betreuung, ohne Team drumherum – aber mit Ergebnissen.
Und was für welchen: So gewann sie den Zugspitz Basetrail XL über 38,7 und den Karwendellauf über 52 Kilometer. „Im Gams-Modus“, schrieb sie bei Facebook, habe sie die Aufs und Abs bewältigt.
Jetzt ist der Gams-Modus WMreif. Befand immerhin der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in Person seines Berglauf-Beraters Kurt König. Ein Telefonat, eine Offerte: Laura Dahlmeier wäre erste Wahl als zweite DLV-Starterin neben Stefanie Doll (der Schwester von Biathlet Benedikt Doll) bei der Langstrecken-Weltmeisterschaft in Argentinien. Ihre Reaktion: „Ich hab’ erst einmal googeln müssen.“Und neben Termin (16. November), Schauplatz (Villa la Angostura) und technischen Daten (41,5 Kilometer Distanz, 2184 Höhenmeter) die Klarheit erlangt: „Ich trau’ mir das zu!“Mit „ganz anderen Ambitionen“allerdings als einst bei einer BiathlonWM:
„Ich möcht’ die Strecke schaffen, ich möcht’ viele Eindrücke mitnehmen. Ich möcht’ das Abenteuer leben.“Andererseits: „Wenn die Startnummer um ist, gibt’s da kein rechts und kein links, dann wird da schon Vollgas gegeben.“Da spricht die Noch-immer-Sportlerin. Die „sportelnde“, die – allein sich selbst verantwortlich – tut, was sie mag. Manchmal mag Laura Dahlmeier schnell sein, ehrgeizig. Auch im neuen Leben.
„Eagle Wings“und „KlimaGang“
Den Blick über den Tellerrand jedoch hat sie sich bewahrt. Davon zeugt die Leidenschaft, mit der sie das Projekt „Eagle Wings – Protecting the Alps“beschreibt, das die zunehmend sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die alpinen Ökosysteme fotografisch dokumentiert und wohl niemanden nicht berührt. Laura Dahlmeier ist Projekt-Botschafterin. Das Kinderbuch, das sie soeben als CoAutorin von Ghostwriter Christian Linker bei der Frankfurter Buchmesse vorgestellt hat, passt thematisch bestens: „Die KlimaGang – Laura Dahlmeier & Freunde im Einsatz für die Natur“, selbsterklärend der Titel.
Selbsterklärend auch das Studium der Sportwissenschaften, das Laura Dahlmeier an der TU München begonnen hat. „Was für den Kopf“– überdies ziemlich exakt das, wofür Frau „wirklich brennt. Es macht mir viel Spaß.“Und soll wohin führen? Noch gibt es verschiedenste Ideen, noch wird probiert, sondiert. Und Abschied genommen. Endgültig vom Biathlon am 28. Dezember bei der „World Team Challenge“auf Schalke. Erik Lesser darf sich auf eine Partnerin freuen, die sich gerüstet fühlt für das Arena-Spektakel vor den 46 000. „Ich werd’ nicht rückwärts über die Strecke stolpern“– Laura Dahlmeier sagt es lächelnd. Und: ganz entspannt.