Humpelnd durch den Herbst
Rummenigge ermahnt seine „sorglosen“Bayern – Die Abwehrprobleme wachsen weiter
ATHEN - Sie haben gewonnen. Sie haben die Negativserie von zwei Partien ohne Erfolg beendet, haben die Ausdehnung der Krise vorerst abgewendet. Sie haben sogar eine neue Bestmarke aufgestellt. Durch das 3:2 (1:1) bei Olympiakos Piräus blieb der FC Bayern im elften Auswärtsspiel in der Champions League hintereinander ungeschlagen – neuer Vereinsrekord. Man steht nach drei Erfolgen beinahe schon im Achtelfinale der Königsklasse. Alles schön und gut. Aber das Spiel, das Spielerische? Stückwerk. Kein Fortschritt, eher ein weiterer Rückschritt.
Die Blicke, die Mienen der Beteiligten sprachen Bände. Der FC Bayern hatte gegen einen schwachen griechischen Meister gerade trotz 3:2 gefühlt verloren. Die Offensive lebt beinahe alleine von Robert Lewandowski und seiner unmenschlichen Quote, nun steht die Lebensversicherung mit der Nummer neun bei 18 Treffern in 13 Pflichtspielen. Die Defensive agiert nach dem Motto: Nimm' zwei, mein bester Freund (Lewandowski) und ich. Die sogenannte Abwehr zeigte sich erneut anfällig und desorientiert, dazu wird sie mehr und mehr dezimiert.
80-Millionen-Euro-Neuzugang Lucas Hernández droht wegen einer schweren Knöchelverletzung „Teilruptur des Innenbandes im rechten Sprunggelenk“bis Ende der Hinrunde auszufallen. Der Franzose wird operiert. Der nächste Schock nach dem Kreuzbandriss samt MeniskusSchaden von Abwehrchef Niklas Süle, der die Saison abhaken kann. Damit bleiben nur noch Benjamin Pavard, Jérôme Boateng und der aktuell leicht angeschlagene Javi Martinez als Innenverteidiger übrig. Läuft nicht bei Bayern, sie humpeln durch den Herbst. Blamieren und kassieren. Im fünften Match hintereinander kassierte der FC Bayern zwei Gegentreffer. Die für Torhüter Manuel Neuer bedrückende Liste: 3:2 in Paderborn, 7:2 bei Tottenham, 1:2 gegen Hoffenheim, 2:2 in Augsburg und nun das 3:2 in Piräus. Letztmals zu Null, die Älteren werden sich erinnern, spielten die Münchner am 21. September beim 4:0 gegen Köln.
Wenigstens, und das war der Pluspunkt der Nacht von Athen, sprachen die Bosse angesichts der jüngsten Leistungen Klartext. Sportdirektor
Hasan Salihamidzic sagte unter den frischen Eindrücken des Zittersieges: „Man wird verrückt, wenn man solche Spiele sieht. Wir haben keine Kontrolle. Alles muss besser werden. Es ist schon seit einigen Spielen so.“Ausgeruhter klangen die Worte von Karl-Heinz Rummenigge, der während seiner Bankettrede im Hotel „Grand Hyatt“um 1.45 Uhr das Wort ergriff: „Wir spielen zu sorglos und das wird irgendwann zu Problemen führen. Ich glaube nicht, dass die Leistung, die wir hier gebracht haben, uns in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird – wenn wir nicht die Kurve kriegen.“Salihamidzic, der später unentwegt auf Rummenigge einredete, saß an seiner Seite. Ihnen gegenüber Präsident Uli Hoeneß – diesmal zu den Medien schweigsam – und Trainer Niko Kovac.
Mit versteinertem Gesicht und leicht gelockerter Krawatte – womöglich wegen eines dicken Halses – lauschte er von Angesicht zu Angesicht Rummenigges Worten. Der sprach mit Blick auf die nächste Aufgabe am Samstag gegen den frechen und sicher auch in München keck und mutig aufspielenden Aufsteiger
Union Berlin: „Ich möchte daran erinnern, dass wir in den letzten Spielen speziell gegen Gegner aus dem unteren Tabellendrittel wichtige Punkte gelassen haben. Wir haben mit Union Berlin wieder eine Mannschaft, die auch darum kämpfen wird,
dass sie in diesem Jahr nicht absteigt. Ich möchte jeden dazu aufrufen, dass wir mit höchster Konzentration, aber auch Motivation, am Samstag auf den Platz gehen, damit wir die drei Punkte holen.“Klare Ansage.
Kovac verzog keine Miene. Er fiel mit den Vips und Sponsoren in den Applaus ein – was sollte er auch tun, wenn der Chef spricht und von einem „Marathonlauf mit Hürden, den wir auf dem Platz erlebt haben“sprach? Zuvor hatte der zuletzt unglückliche agierende Trainer, etwa wie der den Fall des „Notnagels“Thomas Müller moderierte, kleinlaut zugegeben: „Die Dominanz ist im Moment nicht da. Wir tun uns nicht leicht.“Im Netz erntete der gebürtige Berliner Hohn und Spott, weil er angesichts von rund 21 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit bei Anpfiff um 22 Uhr Ortszeit nach der Partie von einem „Arbeitssieg“sprach. „Hier bei der Atmosphäre, die Temperaturen waren nicht ganz einfach für beide Mannschaften. Es war schon sehr drückend.“
Die Frage lautet: Wann reißt Kovac, der auch im zweiten Jahr weiter auf Bewährung arbeitet, die Hürde? Laut „Sport Bild“wäre Ralf Rangnick (61) ein Kandidat als Nachfolger. Schon vor dem Pokalfinale wurde Leipzigs früherer Trainer und Sportdirektor, aktuell „Head of Sport and Development Soccer“im RB-Kosmos, Bayern angeboten, damals stärkte Hoeneß Kovac den Rücken. Ob Kovac will oder nicht: Bis zu einem Dementi ist Rangnick nun Kovacs Schattentrainer.
„Ich glaube nicht, dass die Leistung, die wir hier gebracht haben, uns in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird.“
Karl-Heinz Rummenigge