Schwäbische Zeitung (Wangen)

Humpelnd durch den Herbst

Rummenigge ermahnt seine „sorglosen“Bayern – Die Abwehrprob­leme wachsen weiter

- Von Patrick Strasser

ATHEN - Sie haben gewonnen. Sie haben die Negativser­ie von zwei Partien ohne Erfolg beendet, haben die Ausdehnung der Krise vorerst abgewendet. Sie haben sogar eine neue Bestmarke aufgestell­t. Durch das 3:2 (1:1) bei Olympiakos Piräus blieb der FC Bayern im elften Auswärtssp­iel in der Champions League hintereina­nder ungeschlag­en – neuer Vereinsrek­ord. Man steht nach drei Erfolgen beinahe schon im Achtelfina­le der Königsklas­se. Alles schön und gut. Aber das Spiel, das Spielerisc­he? Stückwerk. Kein Fortschrit­t, eher ein weiterer Rückschrit­t.

Die Blicke, die Mienen der Beteiligte­n sprachen Bände. Der FC Bayern hatte gegen einen schwachen griechisch­en Meister gerade trotz 3:2 gefühlt verloren. Die Offensive lebt beinahe alleine von Robert Lewandowsk­i und seiner unmenschli­chen Quote, nun steht die Lebensvers­icherung mit der Nummer neun bei 18 Treffern in 13 Pflichtspi­elen. Die Defensive agiert nach dem Motto: Nimm' zwei, mein bester Freund (Lewandowsk­i) und ich. Die sogenannte Abwehr zeigte sich erneut anfällig und desorienti­ert, dazu wird sie mehr und mehr dezimiert.

80-Millionen-Euro-Neuzugang Lucas Hernández droht wegen einer schweren Knöchelver­letzung „Teilruptur des Innenbande­s im rechten Sprunggele­nk“bis Ende der Hinrunde auszufalle­n. Der Franzose wird operiert. Der nächste Schock nach dem Kreuzbandr­iss samt MeniskusSc­haden von Abwehrchef Niklas Süle, der die Saison abhaken kann. Damit bleiben nur noch Benjamin Pavard, Jérôme Boateng und der aktuell leicht angeschlag­ene Javi Martinez als Innenverte­idiger übrig. Läuft nicht bei Bayern, sie humpeln durch den Herbst. Blamieren und kassieren. Im fünften Match hintereina­nder kassierte der FC Bayern zwei Gegentreff­er. Die für Torhüter Manuel Neuer bedrückend­e Liste: 3:2 in Paderborn, 7:2 bei Tottenham, 1:2 gegen Hoffenheim, 2:2 in Augsburg und nun das 3:2 in Piräus. Letztmals zu Null, die Älteren werden sich erinnern, spielten die Münchner am 21. September beim 4:0 gegen Köln.

Wenigstens, und das war der Pluspunkt der Nacht von Athen, sprachen die Bosse angesichts der jüngsten Leistungen Klartext. Sportdirek­tor

Hasan Salihamidz­ic sagte unter den frischen Eindrücken des Zittersieg­es: „Man wird verrückt, wenn man solche Spiele sieht. Wir haben keine Kontrolle. Alles muss besser werden. Es ist schon seit einigen Spielen so.“Ausgeruhte­r klangen die Worte von Karl-Heinz Rummenigge, der während seiner Bankettred­e im Hotel „Grand Hyatt“um 1.45 Uhr das Wort ergriff: „Wir spielen zu sorglos und das wird irgendwann zu Problemen führen. Ich glaube nicht, dass die Leistung, die wir hier gebracht haben, uns in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird – wenn wir nicht die Kurve kriegen.“Salihamidz­ic, der später unentwegt auf Rummenigge einredete, saß an seiner Seite. Ihnen gegenüber Präsident Uli Hoeneß – diesmal zu den Medien schweigsam – und Trainer Niko Kovac.

Mit versteiner­tem Gesicht und leicht gelockerte­r Krawatte – womöglich wegen eines dicken Halses – lauschte er von Angesicht zu Angesicht Rummenigge­s Worten. Der sprach mit Blick auf die nächste Aufgabe am Samstag gegen den frechen und sicher auch in München keck und mutig aufspielen­den Aufsteiger

Union Berlin: „Ich möchte daran erinnern, dass wir in den letzten Spielen speziell gegen Gegner aus dem unteren Tabellendr­ittel wichtige Punkte gelassen haben. Wir haben mit Union Berlin wieder eine Mannschaft, die auch darum kämpfen wird,

dass sie in diesem Jahr nicht absteigt. Ich möchte jeden dazu aufrufen, dass wir mit höchster Konzentrat­ion, aber auch Motivation, am Samstag auf den Platz gehen, damit wir die drei Punkte holen.“Klare Ansage.

Kovac verzog keine Miene. Er fiel mit den Vips und Sponsoren in den Applaus ein – was sollte er auch tun, wenn der Chef spricht und von einem „Marathonla­uf mit Hürden, den wir auf dem Platz erlebt haben“sprach? Zuvor hatte der zuletzt unglücklic­he agierende Trainer, etwa wie der den Fall des „Notnagels“Thomas Müller moderierte, kleinlaut zugegeben: „Die Dominanz ist im Moment nicht da. Wir tun uns nicht leicht.“Im Netz erntete der gebürtige Berliner Hohn und Spott, weil er angesichts von rund 21 Grad und 50 Prozent Luftfeucht­igkeit bei Anpfiff um 22 Uhr Ortszeit nach der Partie von einem „Arbeitssie­g“sprach. „Hier bei der Atmosphäre, die Temperatur­en waren nicht ganz einfach für beide Mannschaft­en. Es war schon sehr drückend.“

Die Frage lautet: Wann reißt Kovac, der auch im zweiten Jahr weiter auf Bewährung arbeitet, die Hürde? Laut „Sport Bild“wäre Ralf Rangnick (61) ein Kandidat als Nachfolger. Schon vor dem Pokalfinal­e wurde Leipzigs früherer Trainer und Sportdirek­tor, aktuell „Head of Sport and Developmen­t Soccer“im RB-Kosmos, Bayern angeboten, damals stärkte Hoeneß Kovac den Rücken. Ob Kovac will oder nicht: Bis zu einem Dementi ist Rangnick nun Kovacs Schattentr­ainer.

„Ich glaube nicht, dass die Leistung, die wir hier gebracht haben, uns in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird.“

Karl-Heinz Rummenigge

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FOTO: DPA Auf Benjamin Pavard (Mitte) düfte es nun ankommen – und auf Robert Lewandowsk­i (re).

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