Erst mal zurück ins normale Leben
Den Entschluss, Tokio 2020 auf 2021 zu verschieben, sieht der Sport als notwendig an
LAUSANNE (SID/dpa) - Große Erleichterung bei den Athleten, breite Zustimmung in der gesamten Sportwelt: Als die Olympia-Bosse um IOC-Präsident Thomas Bach und Japans Premierminister Shinzo Abe sich endlich zur längst überfälligen Verschiebung der Olympischen Spiele durchgerungen hatten, atmeten vor allem die Sportler auf. „Mir fällt ein großer Stein vom Herzen“, sagte Deutschlands Sportler des Jahres, der Zehnkämpfer Niklas Kaul. Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler urteilte: „Das ist ein freudiger Moment.“Der Olympische Traum sei nicht ausgeträumt, sondern nur verlegt. Handballbund-Vizepräsident Bob Hanning sprach gar von einer „guten Nachricht für die Welt“. Und auch DOSB-Athletenvertreter Jonathan Koch befand: „So traurig die Verschiebung für jedes Sportlerherz auch sein mag, ist sie doch zu begrüßen.“
Euphorie löste die historische Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) aber nicht aus. Die Sportler nahmen die erste Verlegung von Olympischen Spielen in Friedenszeiten mit gemischten Gefühlen auf. Verständlich, bei der Dimension, die die Corona-Krise angenommen hat. „Es wurde ja auch ein bisschen emotionaler in den letzten Tagen. Ich hoffe, jetzt kehrt wieder Ruhe ein und wir besinnen uns auf das Wesentliche“, sagte etwa die sechsmalige Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth.
Wie so viele Sportler hatte sich die erfolgreichste Reiterin der Geschichte zuletzt vehement für eine Absage des planmäßigen Termins im Sommer eingesetzt – die Reaktion auf das für sie Selbstverständliche fiel deswegen nicht nur bei ihr verhalten aus. Eine „richtige Entscheidung“sei es, betonte Richard Schmidt aus dem Deutschland-Achter. Doch der Athletensprecher der Ruderer fügte hinzu: „Meine ganze Lebensplanung war auf Sommer 2020 bezogen. Froh bin ich nicht.“
Wasserspringer Patrick Hausding gab zu bedenken, dass bei einem Festhalten am planmäßigen Termin Olympias „50 Prozent der Staaten nicht daran teilgenommen“hätten. „Das wäre quasi auf einen Boykott hinausgelaufen.“Und so feierte Leichtathletik-Ass Röhler die Entscheidung auch als Sieg der Sportler über das IOC. „Wenn alle an einem Strang ziehen, Athleten und nationale Verbände, dann ist man nicht machtlos“, sagte der Speerwerfer und machte Sportlern wie Ruderer Schmidt Mut: Der olympische Traum sei durch die Verlegung „nicht ausgeträumt, er wird nur um ein Jahr verschoben“. Nun ginge es einzig darum, „dass wir als Gesellschaft Corona überleben“.
Auch deshalb, so Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sei „die nunmehr schnelle und klare Entscheidung zur Verschiebung der Olympischen und Paralympischen Spiele“ein „enorm wichtiger Schritt für den internationalen Sport und die gesamte Weltgemeinschaft“.
Auch die internationale Presse befürwortete die Nachricht aus Tokio mehrheitlich. „Japan Times“bezeichnete die Verlegung als einen „atemberaubenden Zug“, die spanische Sportzeitung „Marca“als „eine
Bereits die Fußball-Europameisterschaft wurde um ein Jahr verschoben und soll nun vom 11. Juni bis 11. Juli 2021 stattfinden. Ein großes Problem bereitet die Weltmeisterschaft in der olympischen Kernsportart Leichtathletik vom
6. bis 15. August 2021 in den USA, es zeichnet sich allerdings auch dort eine Verschiebung ab. Die Schwimm-WM ist vom 26. Juli bis
1. August 2021 im japanischen
Entscheidung der Vernunft“. „USA Today“kommentierte unterdessen differenzierend: „Was richtig ist, fühlt sich nicht immer gut an. Es tut immer noch weh.“Die Entscheidung sei „herzzerreißend. Es wird einige Zeit dauern, bis man darüber hinwegkommt. Vielleicht, bis die Spiele stattfinden. Für manche Leute aber vielleicht nie.“Der britische „Telegraph“beschwichtigte. Die Verschiebung sei „keine Katastrophe, sondern verspätete Freude, die von mutigen Mitarbeitern des Gesundheitswesens ermöglicht wird“.
Fukuoka terminiert. Sollten beide Veranstaltungen auf 2022 ausweichen, gäbe es einen weiteren Konflikt mit den European Championships 2022 in München. Außerdem soll vom 2. bis 19. September 2021 die Basketball-EM mit den Spielorten Köln und Berlin stattfinden – kaum denkbar. Der internationale Sportkalender müsste also erheblich umorganisiert werden.
Den Blick nach vorn wollte am Dienstag derweil noch niemand wagen. Die Spiele, über deren genauen Termin das IOC noch nicht entschieden hat (Thomas Bach: „Es gibt so viele Puzzlestücke. Das braucht Zeit“), sind in den Gedanken der Sportler noch weit weg. „Wir wollen auch erst einmal sehen, dass wir ins normale Leben und ins normale Wettkampfgeschehen zurückkehren können“, sagte Reiterin Werth. „Und von da aus sehen wir wieder weiter, wie was kommt, wie was geht und wann wir uns vorbereiten müssen.“
Die 43 Sportstätten in Tokio wurden teilweise nur für eine temporäre Nutzung gebaut. Diese könnten für eine spätere Nutzung 2021 nicht mehr zur Verfügung stehen. Viele der begehrten Appartements in den 21 Hochhäusern im Olympischen Dorf wurden für die Nutzung nach den Spielen bereits verkauft oder vermietet. Dazu gab es auch bereits Millionen Hotelbuchungen, teils mit hohen Anzahlungen. (SID)