Das Leben – ein schlechter Film
In seiner Autobiografie „Ganz nebenbei“zieht Woody Allen eine bittere Bilanz
RAVENSBURG - Nun ist sie also da, die Autobiografie von Woody Allen, um die im Vorfeld schon so viel Wirbel gemacht wurde. Der amerikanische Autor, Regisseur und Schauspieler zieht in „Ganz nebenbei“eine bittere Bilanz – als Künstler und als Mensch. „Apropos of Nothing“, wie das Buch im Original heißt, erweist sich als ein letzter verzweifelter Versuch, die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn als Verleumdung darzustellen. Da wird viel dreckige Wäsche gewaschen. Selbst Woody-Allen-Fans werden auf eine harte Probe gestellt. Die Lektüre ist über weite Strecken ermüdend. Allens typischer Humor blitzt nur an ganz wenigen Stellen auf. Aber Ironie und Sarkasmus sind vielleicht auch unangemessen angesichts der Schatten, die seit bald 20 Jahren über diesem Künstlerleben liegen.
Das Buch hat über 400 Seiten, und auf fast 200 davon beschäftigt sich Allen nur mit der „Metzelei napoleonischen Ausmaßes“, wie er das nennt, was 1992 losbrach, als Mia Farrow, seine damalige Lebensgefährtin, Nacktfotos ihrer 21-jährigen Adoptivtochter Soon-Yi bei ihm gefunden hatte. Was folgte, war ein Rosenkrieg der übelsten Sorte. Denn Farrow streute nicht nur das Gerücht, SoonYi wäre minderjährig. Sie behauptete dann auch noch, Woody Allen hätte sein Adoptivkind Dylan Farrow im Alter von sieben Jahren missbraucht. Es kam zu gerichtlichen Ermittlungen, aber nie zu einem Prozess.
Für Allen, und dies legt er nun in seinen Memoiren in aller Breite dar, sind diese Vorwürfe der Rachefeldzug
einer verletzten, völlig neurotischen Frau. Die Tochter Dylan und auch der gemeinsame Sohn Ronan, der zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vorfalls vier Jahre alt war, seien von ihrer psychisch gestörten Mutter manipuliert und für ihre Zwecke eingespannt worden.
Inzwischen ist aus dem brillanten Wunderkind Ronan Farrow ein Star des liberalen intellektuellen Establishments in den USA geworden. Mit seinen Beiträgen in der Zeitschrift „The New Yorker“hat er den Weinstein-Skandal ins Rollen gebracht und dafür den Pulitzer-Preis bekommen. Und er wird nicht müde, die Vorwürfe gegen Allen zu wiederholen. Seine Stimme hat Gewicht. Woody Allen ist zur persona non grata einer Gesellschaft geworden, deren Teil er war und die er in vielen seiner Werke so meisterlich porträtiert hat. Ursprünglich sollte die Biografie im Verlag Hachette erscheinen, der auch Arbeiten Ronan Farrows publiziert. Nach Protesten reichte Hachette das Manuskript weiter. Genau dies forderten auch einige Autoren vom Rowohlt-Verlag. Doch der zog die Veröffentlichung sogar noch vor.
Was Gerichten nicht gelungen ist, kann auch die Leserschaft nicht entscheiden. Was ist wahr? Wer lügt? Doch so wie die Farrow-Seite muss auch der Beschuldigte das Recht haben, seine Geschichte zu erzählen. Und das tut Woody Allen wie gesagt sehr ausführlich. Das bringt eine ungeheure Unwucht in den Text. Über seine Arbeit erfährt man zu wenig. Immerhin: Als Filmemacher sei er kein Perfektionist, er lasse die Schauspieler machen und hasse endlose
Diskussionen über das Rollenverständnis. „Ich mache gerne Filme, aber mir fehlt die Hingabe von Spielberg oder Scorsese.“Außerdem komme er vom Schreiben. Ein gutes Drehbruch ist das Wichtigste. „Aus einem miesen Skript kann kein guter Film werden.“
Während er seine großen Erfolge wie „Annie Hall“(Der Stadtneurotiker) oder „Manhattan“noch relativ ausführlich kommentiert, handelt er die seit den 90er-Jahren entstandenen Filme mit jeweils einer halben Seite ab. Chronologisch, Film für Film.
Offenbar haben sich die Verlage das Lektorat gespart. Der Text ist völlig unstrukturiert. Selbst ein weniger beherztes Eingreifen hätte die vielen Redundanzen verhindern können. Da ist viel Luft drin, viel heiße Luft. Wen er wie und wo getroffen hat. Ödes Namedropping.
Autobiografien sind eine spezielle Gattung, klar. Wie stelle ich mich dar? Dass Woody Allen kein der Welt freundlich zugewandter Mensch ist, wussten wir bereits. Aber hier bringt er die Stilisierung zum Misanthropen zur Vollendung. Allen Stewart Konigsberg wird am 1. Dezember 1935 (eigentlich am 30. November, aber das ist eine andere Geschichte) geboren. „Endlich komme ich auf die Welt. Auf eine Welt, in der ich mich nie wohlfühlen, die ich nie verstehen, nie für gut befinden und der ich nie verzeihen werde.“Seine Eltern waren nicht wohlhabend, nicht gebildet. „Ein Elternhaus ohne kulturelle Ambition.“So eben wie er es später in seinem Film „Radio Days“gezeigt hat. Es sei schon erstaunlich, wie er trotz einer zwar chaotischen, aber doch liebevollen Familie zu so einem „ängstlichen, nervösen, emotionalen Wrack“werden konnte. Er sei pessimistisch bis in die Haarspitzen. „Für manche Leute ist das Glas halb leer, für andere halb voll. Für mich war stets der Sarg halb voll.“
Und noch eine Stilisierung fällt auf: Woody, der Frauenheld. Wie in seinen Filmen. Er bekommt die Tollsten, Schönsten, Intelligentesten. „Von den vielen Frauen, mit denen ich in meinem Leben was hatte, war kaum eine viel jünger als ich.“Und möchten wir wirklich erfahren, dass eine der Damen über die „Libido eines Wildkaninchens“verfügte?
Frauen spielen in Woody Allens Filmen die Hauptrollen. Doch liebevoll geht er mit seinen Geschöpfen nicht um. Vielmehr stellt er seine „Heldinnen“oft bloß, weidet sich an ihren Schwächen, ihrer Beschränktheit, ihren Neurosen.
Auch wenn er Frauen aus seinem Leben beschreibt, schwingt oft ein giftiger Ton mit. Ehefrau Soon-Yi preist er in den höchsten Tönen, widmet ihr das Buch: „Für Soon-Yi, die Beste. Sie fraß mir aus der Hand, und plötzlich fehlte mir der Arm.“Und am Ende lobt er ihre Haushaltsführung. Sie manage alles „mit preußischer Tüchtigkeit. Und Ihr fehlt eigentlich nur noch der Schmiss im Gesicht.“
Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiografie. Übersetzt von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brien, Jan Schönherr. Rowohlt Verlag, 442 Seiten. 25 Euro.