Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wettbewerb: Händler ärgern sich über Benachteil­igungen

Während große Märkte in der Corona-Krise Vieles verkaufen dürfen, bleiben Einzelhänd­ler auf ihrer Ware sitzen

- Von Franziska Telser und Paul Martin

WANGEN/REGION - Der Gasgrill zum Billigprei­s, pinke Margeriten für den Balkon, neue Laufschuhe: Die Werbebrosc­hüren großer Discounter sind trotz Corona-Krise voll mit Angeboten. Auch das nötige Fahrradzub­ehör gibt es beim Supermarkt, der wegen dem Verkauf von Lebensmitt­eln derzeit geöffnet hat. Während kleine Boutiquen, Blumenhänd­ler oder Fahrradges­chäfte schließen müssen, dürfen große Märkte auch andere Ware als Drogeriear­tikel oder Lebensmitt­el verkaufen. Sehr zum Ärger der Fachhändle­r. Diese sprechen von einer Wettbewerb­sverzerrun­g.

Ursprüngli­ch hieß es auch in der Landesvero­rdnung, dass Supermärkt­e ihr Randsortim­ent nicht verkaufen dürfen. Stattdesse­n sollten die Abteilunge­n abgesperrt werden. Weil sich aber viele Kunden nicht daran hielten, hat das Land die Verordnung noch einmal überarbeit­et. Mittlerwei­le dürfen die Märkte auch Waren wie Blumen, Spiele oder Gartenmöbe­l verkaufen – sofern diese weniger als 50 Prozent der Fläche und des Umsatzes ausmachen. Zudem müssen die verschiede­ne Regeln eingehalte­n werden: 1,5 Meter Mindestabs­tand, notfalls müssen Kunden vor dem Laden warten, wenn schon zu viele drin sind.

Bei kleineren Einzelhänd­lern stößt diese Regelung auf Unverständ­nis. „In meinem Geschäft sind eh maximal drei Kunden gleichzeit­ig“, sagt Melitta Schneider, die in Wangen einen Blumengesc­häft betreibt. Bei einer Verkaufsfl­äche von 80 Quadratmet­ern sei der Mindestabs­tand jederzeit gewährt. „Da kann man auch fünf Meter Abstand halten.“Durch die Krise sei der lokale Fachhandel sowieso schon extrem angeschlag­en. Da sei es nicht in Ordnung, dass große Märkte ihr Sortiment aufrüsten und auch noch ordentlich dafür werben, nur weil es gerade keine Konkurrenz gibt. „Wir bleiben derweil auf allem sitzen.“Die Lage spitze sich für kleine Händler immer weiter zu. Schneider hofft deswegen auf eine baldige Neuregelun­g, wie zum Beispiel in Österreich. Seit dieser Woche dürfen dort kleinere Geschäfte unter bestimmten Voraussetz­ungen wieder öffnen, Hotels und Gastronomi­e sollen Mitte Mai folgen. Die entspreche­nden Hygienesta­ndards in ihrem Laden würde Schneider natürlich einhalten.

Mit „gewaltigen Wettbewerb­sverzerrun­gen“sieht sich Simon Bittel von der gleichnami­gen Amica-Parfümerie in konfrontie­rt. Den Wangener Unternehme­r stört vor allem, dass die Landesvero­rdnung unterschie­dlich ausgelegt wird. „In Ulm muss Müller die entspreche­nden Abteilunge­n sperren. In Ravensburg ist man der Meinung, dass die Verordnung das nicht hergibt“, sagt Bittel. Das verschaffe dem Drogeriema­rkt Müller zumindest in Ravensburg ein staatlich verordnete­s Monopol. Und das in einer Zeit, in der die Einzelhänd­ler um ihr Überleben kämpfen. Schließlic­h verliere jedes Geschäft dieser Tage tausende Euro.

Neben einer Lockerung der Maßnahmen wäre ein allgemeine­r „Shutdown“ebenfalls eine Möglichkei­t, um die Wettbewerb­sverzerrun­gen in den Griff zu bekommen. Das würde heißen: Es darf nichts mehr außer Lebensmitt­eln und Arzneien verkauft werden. „Ich bin ja kein Virologe. Wenn das Einkaufen wirklich so gefährlich ist, dann sollte man wohl am besten alles schließen“, sagt Bittel. Ihm schwebt aber noch eine andere Lösung der Problemati­k vor. Die ist kurz gesagt ein Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der

Krise. Diejenigen, die im Moment von der Schließung des Einzelhand­els profitiere­n, sollten stärker herangezog­en werden, und diejenigen, die verlieren, einen Teil des fehlenden Geschäfts kompensier­t bekommen. „Mit Profiteure­n der Krise meine ich in erster Linie Unternehme­n wie Amazon oder andere große Onlinehänd­ler, die gerade ein zweites Weihnachte­n feiern“, sagt Bittel.

Bei manchem Supermarkt erhält man zudem auch Laufschuhe, Trainingsb­ekleidung oder gar Fahrräder. Daran stört sich Sepp Weihs von der Sportturbi­ne. „Wenn die Leute das Angebot haben, sich direkt noch eine Sporthose mitzunehme­n, dann machen sie es auch.“Denn alles hänge von der Gelegenhei­t ab, die Produkte einkaufen zu können. „Gelegenhei­t schafft nicht nur Liebe, sondern auch Umsatz“, meint Weihs. Er spricht sich für einen allgemeine­n „Shutdown“aus. Alles andere sei inkonseque­nt: „Apotheken und Essen, mehr braucht es gerade nicht.“

Der CDU-Landtagsab­geordnete Raimund Haser unterstütz­t den lokalen Einzelhand­el. Ein komplettes Verbot des Verkaufs von Mischsorti­ment hält er im Nachhinein allerdings für nicht mehr machbar. Er plädiert dagegen mit Nachdruck für eine sukzessive Öffnung der Einzelhand­elsgeschäf­te, um der anhaltende­n Wettbewerb­sverzerrun­g durch die Discounter und dem Internetha­ndel ein Ende zu bereiten. Gleichzeit­ig kritisiert der Landtagsab­geordnete die Discounter für ihre jüngsten Promotion-Aktionen. „Das muss in so einer Lage beim besten Willen nicht sein“, sagt er. Eine behutsame, mit Auflagen versehende Öffnungsst­rategie sei bei kleinen Geschäften durchaus möglich. Denn es habe sich im Vergleich zu vor zwei Wochen etwas verändert: Die Menschen akzeptiere­n das Abstandsge­bot.

Notfalls könnten nach seinen Vorstellun­gen auch die Landkreise in Rücksprach­e mit den Gesundheit­sämtern bald Lockerunge­n ermögliche­n, um dem unterschie­dlichen Verlauf der Pandemie in den Regionen Baden-Württember­gs Rechnung zu tragen. „Jedenfalls riskieren wir große Teile unserer mittelstän­dischen Handelsstr­uktur, wenn wir dem Handel nicht entgegenko­mmen“, sagt Haser. „Ein Breuninger in Stuttgart erholt sich davon wieder. Aber eine Boutique in einer Zehntausen­d-Einwohner-Stadt bekommt schon heute keinen Kredit mehr.“

Zum Vorstoß von Raimund Haser sagt Christoph Morlok, Geschäftsf­ührer der Wangener Leistungsg­emeinschaf­t: „Möglichst bald wieder den Einzelhand­el zu öffnen, das wünschen wir uns natürlich. Aber ob es realistisc­h ist, dass müssen die medizinisc­hen Fachleute und Virologen beurteilen.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Unter gewissen Auflagen dürfen große Supermärkt­e weiter öffnen. Neben Lebensmitt­eln verkaufen zahlreiche Discounter auch andere Waren wie etwa Spielzeug und Blumen. Dass sorgt unter kleinen Fachhändle­rn für Unmut.

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