Wettbewerb: Händler ärgern sich über Benachteiligungen
Während große Märkte in der Corona-Krise Vieles verkaufen dürfen, bleiben Einzelhändler auf ihrer Ware sitzen
WANGEN/REGION - Der Gasgrill zum Billigpreis, pinke Margeriten für den Balkon, neue Laufschuhe: Die Werbebroschüren großer Discounter sind trotz Corona-Krise voll mit Angeboten. Auch das nötige Fahrradzubehör gibt es beim Supermarkt, der wegen dem Verkauf von Lebensmitteln derzeit geöffnet hat. Während kleine Boutiquen, Blumenhändler oder Fahrradgeschäfte schließen müssen, dürfen große Märkte auch andere Ware als Drogerieartikel oder Lebensmittel verkaufen. Sehr zum Ärger der Fachhändler. Diese sprechen von einer Wettbewerbsverzerrung.
Ursprünglich hieß es auch in der Landesverordnung, dass Supermärkte ihr Randsortiment nicht verkaufen dürfen. Stattdessen sollten die Abteilungen abgesperrt werden. Weil sich aber viele Kunden nicht daran hielten, hat das Land die Verordnung noch einmal überarbeitet. Mittlerweile dürfen die Märkte auch Waren wie Blumen, Spiele oder Gartenmöbel verkaufen – sofern diese weniger als 50 Prozent der Fläche und des Umsatzes ausmachen. Zudem müssen die verschiedene Regeln eingehalten werden: 1,5 Meter Mindestabstand, notfalls müssen Kunden vor dem Laden warten, wenn schon zu viele drin sind.
Bei kleineren Einzelhändlern stößt diese Regelung auf Unverständnis. „In meinem Geschäft sind eh maximal drei Kunden gleichzeitig“, sagt Melitta Schneider, die in Wangen einen Blumengeschäft betreibt. Bei einer Verkaufsfläche von 80 Quadratmetern sei der Mindestabstand jederzeit gewährt. „Da kann man auch fünf Meter Abstand halten.“Durch die Krise sei der lokale Fachhandel sowieso schon extrem angeschlagen. Da sei es nicht in Ordnung, dass große Märkte ihr Sortiment aufrüsten und auch noch ordentlich dafür werben, nur weil es gerade keine Konkurrenz gibt. „Wir bleiben derweil auf allem sitzen.“Die Lage spitze sich für kleine Händler immer weiter zu. Schneider hofft deswegen auf eine baldige Neuregelung, wie zum Beispiel in Österreich. Seit dieser Woche dürfen dort kleinere Geschäfte unter bestimmten Voraussetzungen wieder öffnen, Hotels und Gastronomie sollen Mitte Mai folgen. Die entsprechenden Hygienestandards in ihrem Laden würde Schneider natürlich einhalten.
Mit „gewaltigen Wettbewerbsverzerrungen“sieht sich Simon Bittel von der gleichnamigen Amica-Parfümerie in konfrontiert. Den Wangener Unternehmer stört vor allem, dass die Landesverordnung unterschiedlich ausgelegt wird. „In Ulm muss Müller die entsprechenden Abteilungen sperren. In Ravensburg ist man der Meinung, dass die Verordnung das nicht hergibt“, sagt Bittel. Das verschaffe dem Drogeriemarkt Müller zumindest in Ravensburg ein staatlich verordnetes Monopol. Und das in einer Zeit, in der die Einzelhändler um ihr Überleben kämpfen. Schließlich verliere jedes Geschäft dieser Tage tausende Euro.
Neben einer Lockerung der Maßnahmen wäre ein allgemeiner „Shutdown“ebenfalls eine Möglichkeit, um die Wettbewerbsverzerrungen in den Griff zu bekommen. Das würde heißen: Es darf nichts mehr außer Lebensmitteln und Arzneien verkauft werden. „Ich bin ja kein Virologe. Wenn das Einkaufen wirklich so gefährlich ist, dann sollte man wohl am besten alles schließen“, sagt Bittel. Ihm schwebt aber noch eine andere Lösung der Problematik vor. Die ist kurz gesagt ein Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der
Krise. Diejenigen, die im Moment von der Schließung des Einzelhandels profitieren, sollten stärker herangezogen werden, und diejenigen, die verlieren, einen Teil des fehlenden Geschäfts kompensiert bekommen. „Mit Profiteuren der Krise meine ich in erster Linie Unternehmen wie Amazon oder andere große Onlinehändler, die gerade ein zweites Weihnachten feiern“, sagt Bittel.
Bei manchem Supermarkt erhält man zudem auch Laufschuhe, Trainingsbekleidung oder gar Fahrräder. Daran stört sich Sepp Weihs von der Sportturbine. „Wenn die Leute das Angebot haben, sich direkt noch eine Sporthose mitzunehmen, dann machen sie es auch.“Denn alles hänge von der Gelegenheit ab, die Produkte einkaufen zu können. „Gelegenheit schafft nicht nur Liebe, sondern auch Umsatz“, meint Weihs. Er spricht sich für einen allgemeinen „Shutdown“aus. Alles andere sei inkonsequent: „Apotheken und Essen, mehr braucht es gerade nicht.“
Der CDU-Landtagsabgeordnete Raimund Haser unterstützt den lokalen Einzelhandel. Ein komplettes Verbot des Verkaufs von Mischsortiment hält er im Nachhinein allerdings für nicht mehr machbar. Er plädiert dagegen mit Nachdruck für eine sukzessive Öffnung der Einzelhandelsgeschäfte, um der anhaltenden Wettbewerbsverzerrung durch die Discounter und dem Internethandel ein Ende zu bereiten. Gleichzeitig kritisiert der Landtagsabgeordnete die Discounter für ihre jüngsten Promotion-Aktionen. „Das muss in so einer Lage beim besten Willen nicht sein“, sagt er. Eine behutsame, mit Auflagen versehende Öffnungsstrategie sei bei kleinen Geschäften durchaus möglich. Denn es habe sich im Vergleich zu vor zwei Wochen etwas verändert: Die Menschen akzeptieren das Abstandsgebot.
Notfalls könnten nach seinen Vorstellungen auch die Landkreise in Rücksprache mit den Gesundheitsämtern bald Lockerungen ermöglichen, um dem unterschiedlichen Verlauf der Pandemie in den Regionen Baden-Württembergs Rechnung zu tragen. „Jedenfalls riskieren wir große Teile unserer mittelständischen Handelsstruktur, wenn wir dem Handel nicht entgegenkommen“, sagt Haser. „Ein Breuninger in Stuttgart erholt sich davon wieder. Aber eine Boutique in einer Zehntausend-Einwohner-Stadt bekommt schon heute keinen Kredit mehr.“
Zum Vorstoß von Raimund Haser sagt Christoph Morlok, Geschäftsführer der Wangener Leistungsgemeinschaft: „Möglichst bald wieder den Einzelhandel zu öffnen, das wünschen wir uns natürlich. Aber ob es realistisch ist, dass müssen die medizinischen Fachleute und Virologen beurteilen.“