Hoffnung für Achterbahn-Fans
Mit welchem Konzept Baden-Württembergs Tourismusminister Wolf die Freizeitbranche wiederbeleben möchte
RAVENSBURG - Es ist ungewöhnlich ruhig auf dem großen Gelände zwischen Liebenau und Meckenbeuren. Kein Kinderlachen, keine Musik, kein Gekreische aus den Fahrgeschäften. Trotz bestem Wetter herrscht gespenstige Stille im Ravensburger Spieleland. Der ursprünglich für den 4. April geplante Saisonstart wurde aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bis auf unbestimmte Zeit verschoben. „Manchmal steht man im Leben vor Situationen, die man sich definitiv anders gewünscht hätte. Gerade die Freizeitbranche, und damit auch das Ravensburger Spieleland, steht vor einer großen, bisher noch nie da gewesenen Herausforderung“, sagt Geschäftsführerin Siglinde Nowack.
Nach aktuellem Stand der CoronaRegelung müssen alle touristischen Einrichtungen bis mindestens 3. Mai geschlossen bleiben. Aufgrund der ersten Lockerungen der Bundesregierung ist Nowack dennoch zuversichtlich, dass das Spieleland und andere Freizeitparks schon bald wieder öffnen können. Man sei derzeit dabei, entsprechende Schutzkonzepte zu erarbeiten. „Wenn wir das in Einklang gebracht haben, sehen wir zuversichtlich in die nächsten Wochen.“
Neuen Auftrieb erhält diese Zuversicht jetzt durch ein Konzept für eine Exit-Strategie im Tourismus, das Baden-Württembergs Tourismusminister Guido Wolf (CDU) aufgesetzt hat und das der „Schwäbischen Zeitung“exklusiv vorliegt. „Es ist wichtig und richtig, intensiv und ernsthaft über baldige erste Lockerungen in der Tourismuswirtschaft zu diskutieren“, sagt Wolf der „Schwäbischen Zeitung“und betont, dass die Zeit für Lockerungen drängt: „Wir verlieren, wenn wir diese Diskussion auf die lange Bank schieben. Wir brauchen einen durchdachten und realistischen Fahrplan.“
Hierzu hat das für Tourismus zuständige Ministerium der Justiz und für Europa einen ersten Entwurf erstellt, der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei der Ministerpräsidentenkonferenz in der kommenden Woche in der Diskussion zu weiteren Lockerungen als Diskussionsgrundlage dienen soll. Das Konzept sieht drei Phasen vor:
Zunächst sollen vor allem Einrichtungen im Freiluftbereich wieder geöffnet werden, die hauptsächlich von Tagestouristen besucht werden. Hierzu zählen unter anderem Zoos, Botanische Gärten, Parks, Freiluftmuseen, Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie Freizeitparks – stets jedoch nur unter der strikten Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln.
Stufe eins:
So könnten etwa Freizeitparks mit begrenzter Auslastung oder nur in bestimmten Bereichen hochgefahren werden, um Warteschlangen zu vermeiden. Der Ticketverkauf sollte zudem nur vorab im Internet erfolgen, um die Übersicht zu behalten und Schlangen an den Kassen zu verhindern. Bestimmte Bereiche, bei denen die Einhaltung der Schutzbestimmungen nicht hinreichend möglich ist (etwa Spielflächen), bleiben gesperrt. Geht es nach dem Tourismusministerium könnte auch die Landesgartenschau in Überlingen, deren Eröffnung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, noch im Mai starten. „Bei Veranstaltungen im Freien, in denen große Abstände eingehalten werden können, können aus unserer Sicht als erstes Öffnungen mit begrenzter Auslastung erfolgen“, sagt Wolf. Auch Touristinformationen und Besucherzentren, denen eine wichtige Orientierungshilfe zukommt, sollen im Mai öffnen.
Stufe zwei:
In einer zweiten Runde sollen Gaststätten, Cafés und Eisdielen, die über einen Außenbereich verfügen, wieder vor Ort bewirten dürfen. Auch Museen in geschlossenen Räumen sollen in der zweiten Phase wieder öffnen dürfen. Außerdem könnten auch Ferienhäuser und -wohnungen wieder vermietet werden – vorrangig zunächst im ländlichen Raum. Auch Hotels, Pensionen und Jugendherbergen sollen dann unter bestimmten Auflagen wieder Gäste empfangen dürfen. Der Besuch von Campingplätzen ist vorerst auf Wohnwagen und Wohnmobile sowie feste Mietunterkünfte begrenzt. „Voraussetzung ist eine autarke Nutzung mit eigenen Wohn-, Koch- und Schlafmöglichkeiten“, heißt es im Konzept. Einrichtungen, die den Mindestabstand nicht sicherstellen können (Clubs, Diskotheken, Bars) bleiben hingegen zunächst geschlossen.
Als Letztes folgen Hallen- und Freibäder und Saunalandschaften. Auch das gemeinsame Reisen in Bussen wird erst spät wieder möglich sein.
Stufe drei:
Geht es nach dem Tourismusministerium könnte Stufe eins bereits ab Mai greifen. Die Öffnungen der weiteren Stufen müssten dann anhand der Infektionslage und der weiteren Entwicklung entschieden werden. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass der erarbeitete Fahrplan laufend neu angepasst werden muss. „Das Konzept geht zunächst von einem weiteren günstigen Verlauf der Infektionszahlen aus, denn das muss weiterhin zentrales Ziel aller politischen Entscheidungen sein“, sagt Wolf. Sollte sich die Lage erheblich verschlechtern, müsste das Konzept angepasst werden. Auch erneute Schließungen seien dann nicht ausgeschlossen.
Wie wichtig eine schnelle Lösung für die Tourismusbranche ist, zeigt auch ein Blick auf Deutschlands größten Freizeitpark – den Europapark Rust. Rund 5,6 Millionen Besucher strömen jährlich aufs Gelände, aktuell stehen die Fahrgeschäfte still. „Das ist natürlich nicht einfach für uns“, sagt eine Sprecherin im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Bei diesem tollen Wetter wären wir gerne in die Sommersaison gestartet.“Rund 2000 Mitarbeiter, die derzeit vor allem Überstunden abbauen, sind von der Schließung betroffen. Man sei in enger Absprache mit den Behörden, noch sei aber nicht absehbar, wann und in welcher Form Deutschlands größter Freizeitpark öffnen kann. „Wir bereiten uns intern natürlich mit verschiedenen Konzepten vor und würden uns wünschen, dass auch wir bald zumindest einen kleinen Lichtblick bekommen, wie es weitergeht.“
Wie schwer die Branche von der aktuellen Situation betroffen ist, zeigt eine Berechnung des Verbands Deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen (VDFU), der auch viele kleinere Unternehmen vertritt. „Unter Berücksichtigung angeschlossener Unterkünfte und Shops liegen die prognostizierten Umsatzverluste zwischen dem 15. März und dem 30. April bereits bei über 300 Millionen Euro“, heißt es in einer Verbandsmitteilung. Rund 40 Prozent der 80 VDFU-Mitgliedsunternehmen seien bereits jetzt akut von einer Insolvenz bedroht. Der Verband fordert daher eine schnelle Lockerung für die Freizeiteinrichtungen. „Unsere Branche ist investitionsintensiv und auf das Saisongeschäft angewiesen“, sagt Verbandspräsident Friedhelm Freiherr von Landsberg-Velen. „Sollten die Schutzmaßnahmen komplette Schließungen bis in den Sommer erfordern, wird es vielen Betreibern nicht mehr möglich sein, einen derartigen Ausfall zu kompensieren.“