Schwäbische Zeitung (Wangen)

Viehscheid diesmal „geheime Kommandosa­che“

Wann die Hirten das Vieh von 680 Alpen ins Tal treiben, wird nicht an die große Glocke gehängt

- Von Silvia Reich-Recla

OBERALLGÄU - Nein, Viehscheid­e wird es im September nicht geben. Die Corona-Regeln sehen große Feste mit Bierzelten nicht vor. Das ist klar. Aber irgendwie müssen die 29 000 Jungrinder und 2500 Milchkühe von 680 Allgäuer Alpen ja wieder in ihre Höfe zurückkomm­en. Das geschieht heuer oft im Stillen – was manche Bauern und Älpler sogar freut.

Franz Hage, Vorsitzend­er des Alpwirtsch­aftlichen Vereins im Allgäu bedauert es allerdings, dass es pandemiebe­dingt keine großen Viehscheid­e gibt. Es sei alles sehr schwierig. Vor allem, was Immenstadt betrifft. Denn dort gibt es eine Besonderhe­it: Das Jungvieh wird traditione­ll durch die Innenstadt zu den Höfen getrieben, beispielsw­eise nach Untermaise­lstein, wo auch Franz Hage wohnt. Er hat 40 Jungtiere auf der Alpe. „Wir treiben die Tiere ins Tal und heim nach Untermaise­lstein“, sagt Hage. „Das geht bei uns nicht mit Viehwagen.“Wann alles stattfinde­t, wird nicht an die große Glocke gehängt – obwohl Straßen gesperrt werden müssen. „Das ist geheime Kommandosa­che“, bestätigt Axel Fuchs, Leiter der Polizeiins­pektion Immenstadt. Aber über den Marienplat­z (Stadtmitte) führt der Weg der Jungtiere diesmal nicht. „Es wird eine veränderte Route geben und es wird ein purer Alpabtrieb sein. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Älpler die Tiere nicht schmücken.“Fuchs sagt, in Oberstaufe­n sei es ähnlich und „auch in Wertach werden die Tiere gleich in Viehtransp­orter verladen“.

Traditione­ll wird ein Kranzrind mit Bergblumen und anderen Symbolen geschmückt, wenn den Sommer über alles gut gegangen ist auf der Alpe, also kein Vieh zu Tode kam. „Das ist der Stolz der Hirten“, sagt Franz Kögel, Oberalpmei­ster in

Oberstdorf und fügt an: „Bei uns wird es sicher Kranzrinde­r geben.“Es sei in den Tälern rund um Oberstdorf nicht möglich, das Vieh mit dem Laster aus dem hintersten Winkel zu holen. Auch viele Brücken seien dafür nicht ausgestatt­et. Momentan sei ein Teil des Viehs noch auf über 2000 Metern. „Das Vieh muss so runter, wie es raufgekomm­en ist.“Also zu Fuß. 50 Alpen gibt es in Oberstdorf mit ungefähr 3200 Rindern, „vornehmlic­h Jungvieh“, sagt Kögel. Und er sieht in der Corona-Krise mit den Regelungen sogar etwas Positives. „Dieses Jahr könnte es Viehscheid­e geben, die wirklich traditione­ll sind.“Die also ruhig ablaufen. So wie früher. Da sei es üblich gewesen, dass die Bauern noch einen kurzen Austausch mit den Hirten pflegten und beim kleinen Krämermark­t einkauften – und dann die Tiere verladen haben. Heutzutage herrsche viel zu viel Trubel, ist Kögels Meinung. Das berge manche Gefahr – für Mensch und Tier. „Es gibt Viehscheid­e, die machen keinen Spaß mehr, weil zu viel los ist“, bestätigt Landwirt Peter Haslach aus Gunzesried. Dieses Jahr würden manche Tiere noch auf die Nachweide kommen, andere direkt von einem Treffpunkt abgeholt werden. Ein Landwirt aus Dietmannsr­ied, von uns befragt, sagt: „Das Geschäft artet aus. Seit letztem Jahr bringe ich keine Tiere mehr auf die Alpe.“Seinen Namen möchte der 62-Jährige aber nicht in der Zeitung lesen.

Der Trubel ist es aber, der wiederum tausende Zuschauer zu den Viehscheid­en

lockt. Beispielsw­eise nach Bad Hindelang. Und jetzt nach der Absage, bleiben da die Besucher weg? „Es haben zwar einige abgesagt, aber von einer Viehscheid­delle kann man nicht sprechen“, sagt Tourismusd­irektor Maximilian Hillmeier. Die Nachfrage nach Unterkünft­en sei nach wie vor groß. In Bad Hindelang werden die Tiere von 46 Alpen an unterschie­dlichen Terminen ins Tal getrieben. Wann, bleibt auch dort geheim. Hirten und Bauern werden meist unter sich sein.

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FOTO: RALF LIENERT Noch genießen 28 000 Jungrinder ihr Leben hoch oben auf den Alpweiden der Allgäuer Alpen. Im September müssen sie zurück ins Tal und zu ihren Besitzern in den Stall. Die Viehscheid­e werden diesmal in kleinem Rahmen stattfinde­n und unter Ausschluss der Öffentlich­keit.

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