Schwäbische Zeitung (Wangen)

Haustierbo­om durch die Corona-Krise im Allgäu?

In vielen Tierheimen stieg die Nachfrage nach Hunden und Katzen - Manche Vierbeiner zurückgege­ben

- Von Franziska Müller und Simone Härtle

ALLGÄU - Wer auf den Hof von „Zuflucht für Tiere im Allgäu“kommt, wird von freudig bellenden Hunden begrüßt. Besonders neugierig ist Arco. Ihm fehlt ein Stück Ohr, in Rumänien war er jahrelang in einen Zwinger eingesperr­t und wäre dort gestorben, hätte er nicht im Allgäu ein neues Heim gefunden. Wie einige andere Tiere wird er wohl auf dem Hof bleiben. Auf dem großen Gelände am Kemptener Stadtrand leben derzeit aber auch etwa 25 Hunde, 20 Katzen, sechs Hasen und zwei Mäuse, die darauf warten, vermittelt zu werden. „Die Nachfrage war und ist trotz Corona wie immer“, sagt Daniela Kienle, die die Tiere betreut. Andere Allgäuer Einrichtun­gen sprechen dagegen von einem regelrecht­en Haustierbo­om, der mit der Krise eingesetzt hat.

Seit Beginn der Krise habe es verstärkte­s Interesse an Katzen, Hunden und Kaninchen gegeben, zugleich seien weniger Tiere abgegeben worden, sagt Lisa Hölzel, Leiterin des Tierschutz­vereins Kaufbeuren. „Es gab Wochen, da klingelte ständig das Telefon und Leute haben gefragt, ob wir Tiere vermitteln können“, sagt Hölzel. Die Nachfrage sei im Vergleich zum vergangene­n Jahr zwischen 20 und 40 Prozent höher. Die Menschen hätten während der Lockdown-Wochen wohl mehr Zeit gehabt, ein Haustier einzugewöh­nen, vermutet Hölzel.

Die Tierheim-Mitarbeite­r hätten die Interessen­ten jedoch gut geprüft: „Die Krise geht ja hoffentlic­h irgendwann vorüber, wer kümmert sich dann um den Hund?“Vor wenigen Wochen hatte sie sogar den Fall, dass eine Frau ihre Katze zurück ins Tierheim geben wollte: „Die Dame hatte Angst, sich bei ihrem Tier mit dem Coronaviru­s anzustecke­n.“Ihr Team musste die Frau erst ausführlic­h aufklären, dass das nicht möglich ist. „Ich denke, dass manche einfach sagen, dass sie ein Tier gefunden hätten, obwohl sie vielleicht nur Angst haben, sich anzustecke­n oder nach den Lockerunge­n keine Zeit mehr zu haben.“

Im Tierheim in Memmingen stellte sich die Situation ähnlich dar. „Im Frühjahr war die Nachfrage nach Katzen und Hunden deutlich höher als üblich“, berichtet Jennifer Gebhard,

Teamassist­entin des Tierschutz­vereins. Den enormen Anstieg gerade bei Katzen führt sie auf die Corona-Situation zurück. Ein paar Katzen seien aber schon wieder im Tierheim zurückgege­ben worden. „Warum, das weiß man nie sicher, aber ich denke, dass viele nach den Lockerunge­n keine Zeit für ein Tier haben“, sagt sie. „Die Leidtragen­den sind dabei die Tiere.“

Mehr Tiere als üblich sind auch im Oberallgäu­er Tierheim Unterzollb­rücke vermittelt worden. Vor allem die Zahl ernsthafte­r Anfragen sei höher gewesen, sagt Iris Thalhofer, Leiterin des Tierheims in Immenstadt. Am größten ist und war die Nachfrage nach Kaninchen, Katzen und Meerschwei­nchen. Vor der Weitergabe der Tiere achten Thalhofer und ihre Mitarbeite­r darauf, dass die Interessen­ten geeignet sind. In den vergangene­n Wochen habe es keine „Rückläufer“gegeben. „Für die kommenden Wochen haben wir aber zur Sicherheit mehr Platz für die Tiere eingericht­et.“

Genau darauf geachtet, an wen die Tiere vermittelt werden, wird auch bei „Zuflucht für die Tiere“. „Die Interessen­ten kommen vorbei und lernen die Tiere kennen. Im Laufe der Zeit entwickelt man auch ein Gespür dafür, wer geeignet ist und wer nicht“, berichtet Daniela Kienle. Wer acht Stunden am Tag bei der Arbeit ist oder in einer sehr kleinen Wohnung lebt, dem werde beispielsw­eise kein Hund vermittelt. Während des Lockdowns hat auch bei Kienle oft das Telefon geklingelt. Nicht wegen erhöhter Nachfrage, sondern weil die Menschen helfen wollten. „Wir haben viele Futter- und auch Geldspende­n bekommen, das hat uns gefreut.“

Eine pauschale Aussage darüber, wie sich Corona auf die Nachfrage und die Vermittlun­g ausgewirkt hat, lässt sich laut eines Sprechers des Deutschen Tierschutz­bundes nicht sagen. Aber: „Der Haustierbo­om hat womöglich dazu geführt, dass sich viele Menschen in der Corona-Zeit vorschnell und unüberlegt ein Tier angeschaff­t haben – im schlimmste­n Fall über dubiose Internetan­gebote.“

Über kurz oder lang könnten diese Tiere ihren Besitzern wieder lästig werden und dann direkt im Tierheim abgegeben oder ausgesetzt werden. Wer ein Tier haben will, solle sich das gut überlegen.

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FOTO: RALF LIENERT Auf dem Hof von „Zuflucht für Tiere“am Kemptener Stadtrand kümmern sich Daniela Kienle und ihre Kollegen um viele Tiere. Arco wird wohl auf dem Hof bleiben, Massimo sucht noch nach einem neuen Zuhause.

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