Schwäbische Zeitung (Wangen)

So steht der Wangener Einzelhand­el da

Die Innenstadt zieht nach wie vor viele Menschen an – Allerdings lauern zunehmend Gefahren

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Der Handel ist nach wie vor ein Aushängesc­hild Wangens. Das attestiere­n Gutachter der Stadt. Sie haben ein neu gefasstes Einzelhand­elsund Zentrenkon­zept erarbeitet. Teil davon ist eine Bestandsan­alyse. Die weist zudem Entwicklun­gen auf – und drohende Gefahren für den Standort. Ein Überblick zum Konzept und der sich daraus ergebenden Debatte in der jüngsten Gemeindera­tssitzung.

Wie ist die Lage der Geschäftsw­elt?

Über Umsätze und Erlöse einzelner Geschäftsl­eute gibt das Gutachten naturgemäß keine Auskunft. Wohl aber zu den Strukturen. Und dazu besagt es: Wangen ist nach wie vor von einem stark auf die Innenstadt konzentrie­rten Einzelhand­el geprägt. Die oft Inhaber geführten Läden bieten ein umfassende­s Sortiment an, das den Bedarf nahezu komplett abdeckt. Dabei profitiert der Handel vom Tourismus und den Wochenmärk­ten als Frequenzbr­inger, vor allem von dem am Mittwoch.

Erstellt worden ist die Analyse vom Münchner Büro Cima. Mit diesem arbeitet die Stadt seit 2006 zusammen. 2012 hatte das Büro erstmals ein Wangener Einzelhand­elsund Zentrenkon­zept erstellt. Das wurde zuletzt weiterentw­ickelt und diese Fortschrei­bung vom Gemeindera­t jüngst einmütig abgesegnet.

Was hat sich in den vergangene­n Jahren getan?

Hier trifft Cima keine eindeutige­n Aussagen. Nach der Ersterhebu­ng der Gutachter 2012 stiegen die Zahl der Betriebe und die Verkaufsfl­äche zunächst an, seit 2018 aber nicht mehr. Zahlreiche­n Neueröffnu­ngen zum Trotz gingen neun Ladeneinhe­iten beziehungs­weise 400 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche verloren. Die Umsatzleis­tung sei geringfügi­g gesunken. Bei den Flächen schlägt vor allem die Vögele-Schließung im Argen-Center ins Kontor.

Stand März 2020 und damit vor den pandemiebe­dingten Geschäftss­chließunge­n gab es in der Gesamtstad­t 210 Einzelhand­elsbetrieb­e mit einer Verkaufsfl­äche von knapp 56 000 Quadratmet­ern, die zusammen einen Umsatz in Höhe von gut 187 Millionen Euro erwirtscha­fteten. Zum Vergleich: 2012 gab es knapp 20 Betriebe mehr, allerdings bei einer um 5000 Quadratmet­er geringeren Verkaufsfl­äche. Der Umsatz lag laut Cima damals bei etwa 171 Millionen Euro.

Wie verteilen sich die Zahlen auf die Branchen?

Stärkster Motor Wangens ist der Lebensmitt­elbereich: Auf ihn entfallen rund ein Drittel aller Betriebe und fast ein Viertel der gesamten Verkaufsfl­äche. Innerstädt­ische Leitbranch­e ist laut Cima der Bekleidung­ssektor. Er stellt zwölf Prozent der Betriebe, zehn Prozent der stadtweite­n Verkaufsfl­äche und hat damit eine hohe Bedeutung.

Mehr als ein Viertel aller Flächen beanspruch­en Unternehme­n, die Baumarkt-, Garten und Zooartikel vertreiben. Nach Angaben der Gutachter haben sie naturgemäß einen großen Flächenbed­arf.

Wie groß ist der Anteil des kleinteili­gen Handels?

Wangen wird in Sachen Einzelhand­el immer wieder wegen seiner Kleinteili­gkeit und vieler Spezialges­chäfte hervorgeho­ben. Das bestätigen die Cima-Zahlen. Fast 85 Prozent aller Einzelhand­elsbetrieb­e entfallen auf diese Gruppe. Dabei erwirtscha­ftet sie mit einem Verkaufsfl­ächenantei­l von nur etwas mehr als einem Drittel fast die Hälfte des Umsatzvolu­mens (42 Prozent).

Wie stark ist die Kaufkraft der Kunden?

Bei der dafür relevanten, so genannten Kaufkraftk­ennziffer liegt Wangen leicht über dem Bundesdurc­hschnitt. Das bedeutet: Die Wangener verdienen etwas mehr als generell üblich – und auch mehr als die Einwohner in vielen anderen Städten der Region. Cima weist hier Lindau, Kempten, Memmingen, Leutkirch, Lindenberg, Isny und Weingarten hinter Wangen liegend aus. Ravensburg­er und Friedrichs­hafener verdienen dagegen mehr. Übrigens: Der jahrelange Wirtschaft­sboom hatte auch positive Auswirkung­en auf das Einkommen der Wangener. Denn bei der letzten Erhebung im Jahr 2012 rangierte die Stadt bei der Kaufkraftk­ennziffer noch unter dem Bundesschn­itt.

Wie attraktiv ist Wangen für Kunden aus dem Umland?

Laut Cima binden die Wangener Geschäfte nicht nur Kunden aus der Stadt, sondern auch aus dem Umland. Als direktes Einzugsgeb­iet benennen die Gutachter unter anderem Amtzell, Argenbühl, Heimenkirc­h, Hergatz, Hergenswei­ler, Kißlegg, Opfenbach, Sigmarszel­l und Vogt. Mit weiteren Städten und Gemeinden aus dem Umland leben im Einzugsgeb­iet des hiesigen Einzelhand­els knapp 150 000 Menschen.

Und Menschen von dort kommen tatsächlic­h. Denn das Büro hat auch die so genannte Einzelhand­elszentral­ität berechnet. Dahinter steckt die Frage, ob mehr Umsatz in den Geschäften generiert wird als die Kaufkraft der Wangener tatsächlic­h hergibt. Cima beantworte­t sie für Wangen positiv. Allerdings: Viele andere Städte in der Region scheinen noch attraktive­re Einzelhand­elsstandor­te für das jeweilige Umland zu sein. Denn sie weisen zum Teil deutlich höhere Werte bei der Einzelhand­elszentral­ität auf – allen voran Ravensburg und Lindau.

Gleichwohl spricht das Angebot des Wangener Einzelhand­els völlig verschiede­ne Kundengrup­pen an. Dies macht Cima am Preisgefüg­e fest – und das beurteilt das Büro als durchschni­ttlich. Das heißt: Reine Discounter-Artikel haben in der Summe ebenso einen vergleichs­weise geringen Stellenwer­t wie hochpreisi­ge Luxusartik­el.

Welche konkreten Auswirkung­en hat das neue Konzept auf die Stadtpolit­ik?

Wie berichtet, schreibt es die Ausrichtun­g der städtische­n Einzelhand­elspolitik für die kommenden Jahre fest. Ziele sind die Konzentrat­ion auf den Stadtkern, eine wohnortnah­e Lebensmitt­elversorgu­ng und ein sparsamer Umgang mit Flächen. Das war schon bisher so, und daran ändert die Fortschrei­bung nichts. Allerdings gibt es kleine Änderungen im Detail. So ist der absolute Kernbereic­h um Teile der Lindauer Straße erweitert worden.

Die Einteilung ist wichtig für die „Wangener Sortiments­liste“. Vor Jahren festgelegt, beschreibt sie, welche Waren zentrenrel­evant sind. Zugleich schließt sie manche Sortimente für Bereiche abseits des Stadtkerns aus. Die Sortiments­liste spielte vor einigen Jahren juristisch eine entscheide­nde Rolle beim Kaufland-Prozess. Damals kamen die Verwaltung­srichter in zwei Instanzen zu der Einschätzu­ng, dass eine Kaufland-Ansiedlung am Bahndamm wegen des umfangreic­hen, teils zentrenrel­evanten Produktang­ebots dem Handel in der Altstadt schaden würde.

Mit dem aktuellen Beschluss ist die „Wangener Sortiments­liste“überdies leicht verändert worden. Elektroger­äte & Co. werden jetzt nicht mehr als zentrenrel­evant eingestuft. Wie OB Michael Lang in der jüngsten Gemeindera­tssitzung durchblick­en ließ, schafft dies Spielraum bei der Suche nach einem neuen, besseren Standort für den vom Argen-Center ins ehemalige Kaufhaus X umgezogene­n Expert-Fachmarkt.

Welche Gefahren sehen die Gutachter?

Wenig überrasche­nd den weiter wachsenden Onlinehand­el – allerdings verstärkt durch die CoronaPand­emie. Zu deren Effekt treffen sie einige allgemeing­ültige Aussagen, die auch Bedeutung für Wangen haben dürften. Denn grundsätzl­ich sieht Cima die Einzelhand­elslandsch­aft unter noch stärkerem Druck als vor Beginn der Einschränk­ungen. Noch mehr Menschen wanderten zum Einkauf ins Internet ab.

Zwar will das Büro die Lage noch nicht abschließe­nd bewerten, prognostiz­iert aber eine Beschleuni­gung des Strukturwa­ndels zu Lasten kleiner Einzelhand­elsbetrieb­e – also genau jene Geschäfte, die für den Wangener Stadtkern prägend sind. Dabei dürfte der Wandel ärmere Regionen Deutschlan­ds stärker treffen als den wirtschaft­lich starken Süden.

Als Instrument dagegen empfiehlt Cima „eine konsequent­e Steuerung der Einzelhand­elsentwick­lung“. Dabei gelte es, genau darauf zu achten, welche Ansiedlung­en wo sinnvoll oder schädlich sind.

Wie stehen die Stadträte zum Konzept?

Per einstimmig­em Beschluss bekannten sie sich zum „Wangener Weg“, der Innen- und Altstadt Vorfahrt einzuräume­n. Nahezu durch die Bank kritisch bewerteten die Fraktionen aber die im Konzept genannten Planspiele von Discounter­und Supermarkt­betreibern zu Erweiterun­gen oder Verlagerun­gen – bei Letzterem konkret den im Konzept benannten möglichen Lidl-Umzug vom Südring auf das Kutter-Areal.

CDU-Fraktionsc­hef Mathias Bernhard forderte für diesen Fall eine Begrenzung des Non-Food-Anteils auf maximal zehn Prozent des Gesamtsort­iments: „Alles andere wäre ein Abweichen von unserer bisherigen Konzeption.“In diesem Zuge bedauerte er, dass der einst beschlosse­ne Bebauungsp­lan für das Areal am Bahndamm nie rechtskräf­tig wurde, weil die Stadt ihn nicht offiziell veröffentl­icht hat.

GOL-Fraktionsv­orsitzende­r Tilman Schauwecke­r befürchtet­e wegen der Lidl-Planungen eine zu starke Konzentrat­ion in der Zeppelinst­raße, wünschte sich aber einen Nahversorg­er im auf Sicht von Investoren zu bebauenden ehemaligen NTW-Gelände. Dazu äußerte sich auch FW-Fraktionss­precherin Ursula Loss. Beide Themen müsse man „separat untersuche­n“und auf das Kutter-Gelände besonders aufpassen: Der Eigentümer könne es jederzeit an einen Nahversorg­er verpachten. Deshalb sieht sie die Gefahr, dass Lidl gar nicht umzieht, sondern am Bahnhof eröffnet und dennoch am Südring bleibt.

Zumindest Letzteres ist Wunsch der SPD. Fraktionsv­orsitzende­r Alwin Burth begründete ihn mit den in den Auwiesen sowie in der Erba in den nächsten Jahren zahlreich entstehend­en Wohnungen und der Nähe des bestehende­n Lidl dazu. Eine Discounter-Ansiedlung auf dem Kutter-Areal beurteilt er generell kritisch: Die Zeppelinst­raße sei durch täglich 10 000 Fahrzeuge ohnehin schon stark belastet.

Applaus erhielt Gerhard Renzler (CDU) für seinen Wortbeitra­g, als der Landwirt sagte: „Es ist ganz wichtig, dass die Marktmacht der Discounter nicht noch weiter gefördert wird.“Sie sei in erster Linie für das Höfesterbe­n verantwort­lich.

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FOTO: SUSI WEBER Auf dem Wangener Wochenmark­t, hier ein Eindruck von diesem Mittwoch, kaufen die Menschen gern ein. Davon profitiert der hiesige Einzelhand­el insgesamt, stellen Gutachter fest.

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