So steht der Wangener Einzelhandel da
Die Innenstadt zieht nach wie vor viele Menschen an – Allerdings lauern zunehmend Gefahren
WANGEN - Der Handel ist nach wie vor ein Aushängeschild Wangens. Das attestieren Gutachter der Stadt. Sie haben ein neu gefasstes Einzelhandelsund Zentrenkonzept erarbeitet. Teil davon ist eine Bestandsanalyse. Die weist zudem Entwicklungen auf – und drohende Gefahren für den Standort. Ein Überblick zum Konzept und der sich daraus ergebenden Debatte in der jüngsten Gemeinderatssitzung.
Wie ist die Lage der Geschäftswelt?
Über Umsätze und Erlöse einzelner Geschäftsleute gibt das Gutachten naturgemäß keine Auskunft. Wohl aber zu den Strukturen. Und dazu besagt es: Wangen ist nach wie vor von einem stark auf die Innenstadt konzentrierten Einzelhandel geprägt. Die oft Inhaber geführten Läden bieten ein umfassendes Sortiment an, das den Bedarf nahezu komplett abdeckt. Dabei profitiert der Handel vom Tourismus und den Wochenmärkten als Frequenzbringer, vor allem von dem am Mittwoch.
Erstellt worden ist die Analyse vom Münchner Büro Cima. Mit diesem arbeitet die Stadt seit 2006 zusammen. 2012 hatte das Büro erstmals ein Wangener Einzelhandelsund Zentrenkonzept erstellt. Das wurde zuletzt weiterentwickelt und diese Fortschreibung vom Gemeinderat jüngst einmütig abgesegnet.
Was hat sich in den vergangenen Jahren getan?
Hier trifft Cima keine eindeutigen Aussagen. Nach der Ersterhebung der Gutachter 2012 stiegen die Zahl der Betriebe und die Verkaufsfläche zunächst an, seit 2018 aber nicht mehr. Zahlreichen Neueröffnungen zum Trotz gingen neun Ladeneinheiten beziehungsweise 400 Quadratmeter Verkaufsfläche verloren. Die Umsatzleistung sei geringfügig gesunken. Bei den Flächen schlägt vor allem die Vögele-Schließung im Argen-Center ins Kontor.
Stand März 2020 und damit vor den pandemiebedingten Geschäftsschließungen gab es in der Gesamtstadt 210 Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von knapp 56 000 Quadratmetern, die zusammen einen Umsatz in Höhe von gut 187 Millionen Euro erwirtschafteten. Zum Vergleich: 2012 gab es knapp 20 Betriebe mehr, allerdings bei einer um 5000 Quadratmeter geringeren Verkaufsfläche. Der Umsatz lag laut Cima damals bei etwa 171 Millionen Euro.
Wie verteilen sich die Zahlen auf die Branchen?
Stärkster Motor Wangens ist der Lebensmittelbereich: Auf ihn entfallen rund ein Drittel aller Betriebe und fast ein Viertel der gesamten Verkaufsfläche. Innerstädtische Leitbranche ist laut Cima der Bekleidungssektor. Er stellt zwölf Prozent der Betriebe, zehn Prozent der stadtweiten Verkaufsfläche und hat damit eine hohe Bedeutung.
Mehr als ein Viertel aller Flächen beanspruchen Unternehmen, die Baumarkt-, Garten und Zooartikel vertreiben. Nach Angaben der Gutachter haben sie naturgemäß einen großen Flächenbedarf.
Wie groß ist der Anteil des kleinteiligen Handels?
Wangen wird in Sachen Einzelhandel immer wieder wegen seiner Kleinteiligkeit und vieler Spezialgeschäfte hervorgehoben. Das bestätigen die Cima-Zahlen. Fast 85 Prozent aller Einzelhandelsbetriebe entfallen auf diese Gruppe. Dabei erwirtschaftet sie mit einem Verkaufsflächenanteil von nur etwas mehr als einem Drittel fast die Hälfte des Umsatzvolumens (42 Prozent).
Wie stark ist die Kaufkraft der Kunden?
Bei der dafür relevanten, so genannten Kaufkraftkennziffer liegt Wangen leicht über dem Bundesdurchschnitt. Das bedeutet: Die Wangener verdienen etwas mehr als generell üblich – und auch mehr als die Einwohner in vielen anderen Städten der Region. Cima weist hier Lindau, Kempten, Memmingen, Leutkirch, Lindenberg, Isny und Weingarten hinter Wangen liegend aus. Ravensburger und Friedrichshafener verdienen dagegen mehr. Übrigens: Der jahrelange Wirtschaftsboom hatte auch positive Auswirkungen auf das Einkommen der Wangener. Denn bei der letzten Erhebung im Jahr 2012 rangierte die Stadt bei der Kaufkraftkennziffer noch unter dem Bundesschnitt.
Wie attraktiv ist Wangen für Kunden aus dem Umland?
Laut Cima binden die Wangener Geschäfte nicht nur Kunden aus der Stadt, sondern auch aus dem Umland. Als direktes Einzugsgebiet benennen die Gutachter unter anderem Amtzell, Argenbühl, Heimenkirch, Hergatz, Hergensweiler, Kißlegg, Opfenbach, Sigmarszell und Vogt. Mit weiteren Städten und Gemeinden aus dem Umland leben im Einzugsgebiet des hiesigen Einzelhandels knapp 150 000 Menschen.
Und Menschen von dort kommen tatsächlich. Denn das Büro hat auch die so genannte Einzelhandelszentralität berechnet. Dahinter steckt die Frage, ob mehr Umsatz in den Geschäften generiert wird als die Kaufkraft der Wangener tatsächlich hergibt. Cima beantwortet sie für Wangen positiv. Allerdings: Viele andere Städte in der Region scheinen noch attraktivere Einzelhandelsstandorte für das jeweilige Umland zu sein. Denn sie weisen zum Teil deutlich höhere Werte bei der Einzelhandelszentralität auf – allen voran Ravensburg und Lindau.
Gleichwohl spricht das Angebot des Wangener Einzelhandels völlig verschiedene Kundengruppen an. Dies macht Cima am Preisgefüge fest – und das beurteilt das Büro als durchschnittlich. Das heißt: Reine Discounter-Artikel haben in der Summe ebenso einen vergleichsweise geringen Stellenwert wie hochpreisige Luxusartikel.
Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Konzept auf die Stadtpolitik?
Wie berichtet, schreibt es die Ausrichtung der städtischen Einzelhandelspolitik für die kommenden Jahre fest. Ziele sind die Konzentration auf den Stadtkern, eine wohnortnahe Lebensmittelversorgung und ein sparsamer Umgang mit Flächen. Das war schon bisher so, und daran ändert die Fortschreibung nichts. Allerdings gibt es kleine Änderungen im Detail. So ist der absolute Kernbereich um Teile der Lindauer Straße erweitert worden.
Die Einteilung ist wichtig für die „Wangener Sortimentsliste“. Vor Jahren festgelegt, beschreibt sie, welche Waren zentrenrelevant sind. Zugleich schließt sie manche Sortimente für Bereiche abseits des Stadtkerns aus. Die Sortimentsliste spielte vor einigen Jahren juristisch eine entscheidende Rolle beim Kaufland-Prozess. Damals kamen die Verwaltungsrichter in zwei Instanzen zu der Einschätzung, dass eine Kaufland-Ansiedlung am Bahndamm wegen des umfangreichen, teils zentrenrelevanten Produktangebots dem Handel in der Altstadt schaden würde.
Mit dem aktuellen Beschluss ist die „Wangener Sortimentsliste“überdies leicht verändert worden. Elektrogeräte & Co. werden jetzt nicht mehr als zentrenrelevant eingestuft. Wie OB Michael Lang in der jüngsten Gemeinderatssitzung durchblicken ließ, schafft dies Spielraum bei der Suche nach einem neuen, besseren Standort für den vom Argen-Center ins ehemalige Kaufhaus X umgezogenen Expert-Fachmarkt.
Welche Gefahren sehen die Gutachter?
Wenig überraschend den weiter wachsenden Onlinehandel – allerdings verstärkt durch die CoronaPandemie. Zu deren Effekt treffen sie einige allgemeingültige Aussagen, die auch Bedeutung für Wangen haben dürften. Denn grundsätzlich sieht Cima die Einzelhandelslandschaft unter noch stärkerem Druck als vor Beginn der Einschränkungen. Noch mehr Menschen wanderten zum Einkauf ins Internet ab.
Zwar will das Büro die Lage noch nicht abschließend bewerten, prognostiziert aber eine Beschleunigung des Strukturwandels zu Lasten kleiner Einzelhandelsbetriebe – also genau jene Geschäfte, die für den Wangener Stadtkern prägend sind. Dabei dürfte der Wandel ärmere Regionen Deutschlands stärker treffen als den wirtschaftlich starken Süden.
Als Instrument dagegen empfiehlt Cima „eine konsequente Steuerung der Einzelhandelsentwicklung“. Dabei gelte es, genau darauf zu achten, welche Ansiedlungen wo sinnvoll oder schädlich sind.
Wie stehen die Stadträte zum Konzept?
Per einstimmigem Beschluss bekannten sie sich zum „Wangener Weg“, der Innen- und Altstadt Vorfahrt einzuräumen. Nahezu durch die Bank kritisch bewerteten die Fraktionen aber die im Konzept genannten Planspiele von Discounterund Supermarktbetreibern zu Erweiterungen oder Verlagerungen – bei Letzterem konkret den im Konzept benannten möglichen Lidl-Umzug vom Südring auf das Kutter-Areal.
CDU-Fraktionschef Mathias Bernhard forderte für diesen Fall eine Begrenzung des Non-Food-Anteils auf maximal zehn Prozent des Gesamtsortiments: „Alles andere wäre ein Abweichen von unserer bisherigen Konzeption.“In diesem Zuge bedauerte er, dass der einst beschlossene Bebauungsplan für das Areal am Bahndamm nie rechtskräftig wurde, weil die Stadt ihn nicht offiziell veröffentlicht hat.
GOL-Fraktionsvorsitzender Tilman Schauwecker befürchtete wegen der Lidl-Planungen eine zu starke Konzentration in der Zeppelinstraße, wünschte sich aber einen Nahversorger im auf Sicht von Investoren zu bebauenden ehemaligen NTW-Gelände. Dazu äußerte sich auch FW-Fraktionssprecherin Ursula Loss. Beide Themen müsse man „separat untersuchen“und auf das Kutter-Gelände besonders aufpassen: Der Eigentümer könne es jederzeit an einen Nahversorger verpachten. Deshalb sieht sie die Gefahr, dass Lidl gar nicht umzieht, sondern am Bahnhof eröffnet und dennoch am Südring bleibt.
Zumindest Letzteres ist Wunsch der SPD. Fraktionsvorsitzender Alwin Burth begründete ihn mit den in den Auwiesen sowie in der Erba in den nächsten Jahren zahlreich entstehenden Wohnungen und der Nähe des bestehenden Lidl dazu. Eine Discounter-Ansiedlung auf dem Kutter-Areal beurteilt er generell kritisch: Die Zeppelinstraße sei durch täglich 10 000 Fahrzeuge ohnehin schon stark belastet.
Applaus erhielt Gerhard Renzler (CDU) für seinen Wortbeitrag, als der Landwirt sagte: „Es ist ganz wichtig, dass die Marktmacht der Discounter nicht noch weiter gefördert wird.“Sie sei in erster Linie für das Höfesterben verantwortlich.