In der Krise vergessen worden
Wie Sabine Lorenz während der Covid-19-Pandemie ihr Schauspielerdasein neu erfährt
LINDAU - Auf der Bühne oder am Filmset stehen. Aus Leidenschaft. Das ist der Beruf von Schauspielerinnen und Schauspielern, die in der Regel ein Studium an einer Schauspielschule absolviert haben. Die über viel Talent verfügen, nicht nur, was das Eigentliche, die darstellende Kunst angeht, sondern längst auch, was die eigene Vermarktung betrifft. Die in Lindau und München lebende freiberufliche Schauspielerin Sabine Lorenz gehört in diesen Kreis, der jetzt in Corona-Zeiten mit zu den gebeutelten zählt. Wirtschaftlich und leidenschaftlich.
Am liebsten würde sie sich an einen stillen Ort in den Bergen oder am See zurückziehen und nur noch schreiben. Drehbücher, Gedichte, Texte. Doch das geht nicht. Zu viel ist geschehen, zu viel muss geregelt werden, um seit Ausbruch der Pandemie und dem Lockdown wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Bis dahin konnte sich die gebürtige Mainzerin, Jahrgang 1972, über Auftritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz freuen.
Nach ihrem Studium an der Münchner Schauspielschule Zerboni am Berner Theater an der Effingerstraße, in Kaiserslautern am Pfalztheater, bei den Weilheimer Festspielen oder im Bregenzer Theater Kosmos. Bevorzugt in Klassikern und Frauenrollen als Medea, Alkmene, Kriemhild oder Gräfin Almavia. „Im Theater habe ich fast alle Rollen gespielt, die ich wollte. Die aus den alten griechischen Stücken. Das sind große Geschichten, deren Tragödien und Dramen bis heute aktuell sind“, sagt sie, „das ist wie Atmen für mich.“Menschlichen Charakteren auf den Grund gehen, deren Facetten durchleuchten, Lebenswege erkunden. Auf der Bühne erwische sie das Publikum. Zuletzt, kurz vor dem Lockdown, begeisterten Sabine Lorenz, Jürgen Widmer und Barbara Kent mit ihrer Revue als Hommage an die Golden Twenties im ausverkauften kleinen Lindauer Zeughaus.
Und jetzt? So gut wie nichts. Auch mit Blick auf ihre Karriere als Fernsehund Filmschauspielerin bei
ARD, ZDF, WDR und in diversen Kinoproduktionen, als Regisseurin oder Sprecherin. Möchte man als TV-Zuschauer meinen, dass angesichts der vielen Serien doch etwas laufen müsste, ist das eine irrige Annahme. Das meiste ist vorproduziert und wenn nicht, ist der Konkurrenzdruck aktuell hoch. Zumal sich Lorenz in einer Altersgruppe befindet, für die in Film und Fernsehen kaum noch Rollen für Frauen vorgesehen sind. Sie spricht Klartext.
Die Künstlerhilfe Bayern habe ihr als Solo-Künstlerin eine einmalige Entschädigung in Höhe von 3000 Euro, verteilt auf drei Monate, gezahlt. Da man als Schauspielerin am Set weisungsgebunden sei, erkenne beispielsweise die Künstlersozialkasse diese Form der darstellenden Kunst als künstlerische Tätigkeit nicht an. Weder eine Verdienstausfallentschädigung auf selbstständiger Basis, bedingt durch eine zweiwöchige Quarantäne, noch Anspruch auf Hartz-IV habe sie erhalten. Erschüttert zeigt sie sich, wie wenig Stellenwert die Kultur habe. In der Krise sei sie als Schauspielerin
vergessen worden. Sabine Lorenz sieht in diesem Desinteresse einen Mangel an Menschlichkeit. Minderwertig komme sie sich dabei vor. Zugleich stellen sich Fragen, die sich auch schon vor Corona abzeichneten und nun noch offener daliegen. Fragen nach dem Stellenwert bisheriger Theaterinstitutionen und deren Weiterführung in der Zukunft.
Kann es wieder so werden wie vorher oder ist man als Schauspielerin, wie Sabine Lorenz eine ist, aus der Zeit gefallen angesichts des herrschenden Gesellschaftswandels? „Was mache ich jetzt – mich umorientieren, entweder nach unten oder es kommt etwas Neues“, fragt sie sich und setzt auf Flexibilität. Neue Ideen für Theater draußen und unabhängig von der Jahreszeit könnten umgesetzt werden. Auf verschiedenen Plätzen und Straßen wie bereits in Bern. Oder der Einbau einer eigenen Sprecherkabine im Wohnraum, um sich so breiter aufstellen und existieren zu können. Krisen bieten bekanntlich auch Chancen. Bloß worauf? Auf alles Mögliche, nur nicht ohne Theater.