Die Zentralbank entdeckt ihr grünes Gewissen
EZB-Chefin Lagarde deutet weitere Konjunkturhilfen an und will den Kampf gegen den Klimawandel aufnehmen
FRANKFURT - Die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich dafür ausgesprochen, die beschlossenen EU-Hilfen gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie möglichst schnell fließen zu lassen. Ziel der Europäischen Kommission ist es, bereits Anfang 2021 Gelder aus dem 750 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds freizugeben. „Und dieser Zeitplan muss eingehalten werden“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einem am Montag veröffentlichten Interview in der französischen Tageszeitung „Le Monde“.
Der außerordentliche Rettungsplan habe in einigen Ländern viele Tabus gebrochen, deshalb sei ein Erfolg besonders wichtig. Wenn die Pläne sich in einem Verwaltungslabyrinth verlören und nicht zielgerichtet die realen Ökonomien dabei unterstützten, ihre Länder ökologisch und digital neu auszurichten, würde man eine „historische Möglichkeit“verspielen.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten den Aufbaufonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise im Juli beschlossen. Darin enthalten sind zum einen 390 Milliarden Euro an Zuschüssen durch die EU, zum anderen Garantien für Kredite. 30 Prozent der Ausgaben sind für Klima- und Digitalisierungsausgaben bestimmt. Der Tabubruch in dem Rettungsplan: Erstmals sollen im Namen der EU massiv Schulden aufgenommen werden. Mögliche Empfängerstaaten müssen Reformpläne aufstellen und sich diese genehmigen lassen. Lagarde mahnte aber nicht nur, die Hilfen nun schnell und zielgerichtet einzusetzen; darüber hinaus warb sie dafür, einen solchen Notfonds auch über die Krise hinaus weiter zu führen. „Wir sollten die Möglichkeit diskutieren, dass es im europäischen Instrumentenkasten verbleibt, damit es wieder verwendet werden kann, wenn ähnliche Umstände eintreten“. Darüber hinaus hofft Lagarde auf ein gemeinsames Haushaltsinstrument für den Euroraum – im Grunde also den bislang heftig umstrittenen Einstieg in eine mögliche gemeinsame europäische Finanzpolitik.
Zur aktuellen wirtschaftlichen Situation äußerte Christine Lagarde die Sorge, dass die wirtschaftliche Erholung vom Corona-Einbruch in der ersten Jahreshälfte auf wackeligen Beinen stehe. „Seit der Gegenbewegung, die wir im Sommer erlebt haben, setzt sich die Erholung ungleichmäßig, ungewiss und unvollständig fort und läuft jetzt Gefahr, an Schwung zu verlieren“. Deswegen werde die Zentralbank die Situation weiter genau beobachten und stehe bereit gegenzusteuern, wenn sich das als nötig erweise. „Die Möglichkeiten
in unserem Instrumentenkasten sind nicht ausgeschöpft. Wenn mehr getan werden muss, werden wir es tun“.
Möglich wäre beispielsweise, die Anleihekäufe zeitlich auszudehnen oder deren Volumen noch weiter zu erhöhen. Viele Umweltorganisationen kritisieren indes, dass die EZB ihre Anleihekäufe strikter nach „grünen“Kriterien ausrichten sollte. So zeigen Recherchen des Think Tanks „Reclaim Finance“, dass fast zwei Drittel der Aufkäufe von Unternehmensanleihen durch die EZB auf große CO2-Emittenten entfallen. Eine Studie von Greenpeace in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsforschungsinstituten, deren Ergebnisse am heutigen Dienstag veröffentlicht werden, weist in eine ähnliche Richtung.
Die EZB-Präsidentin zeigte sich einmal mehr gesprächsoffen in dieser Richtung. „Ich werde den EZBRat dazu ermutigen, zumindest darüber nachzudenken, was eine Zentralbank im Kampf gegen den Klimawandel beisteuern kann“. Denn jeder müsse sich fragen, was er selbst tun könne. „Mein Instinkt sagt mir, dass wir mehr tun können, als wir denken.“