Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine Art Uniklinik auf dem Land

Wie Lungenkreb­spatienten in Wangen und Ravensburg interdiszi­plinär behandelt werden

- Von Annette Vincenz

WANGEN/RAVENSBURG - Die Diagnose ist ein Schock, früher kam sie einem Todesurtei­l gleich: Wer Lungenkreb­s hat, bangt um sein Leben. Patienten wünschen sich einerseits eine wohnortnah­e Versorgung und wollen zur Behandlung nicht in eine zwei Stunden entfernte Großstadt fahren, anderersei­ts wollen sie von moderner Medizin profitiere­n und sich in die Hände von erfahrenen Ärzten begeben.

Die Fachklinik­en Wangen, die zu den Waldburg-Zeil-Kliniken gehören, erfüllen jetzt nach eigenen Aussagen beide Kriterien: „Wir haben eine Art Universitä­tsklinik im ländlichen Raum geschaffen“, sagt Robert Scheubel selbstbewu­sst. Der Chefarzt der Klinik für Thoraxchir­urgie ist Leiter des neuen zertifizie­rten „Lungenkreb­szentrums Wangen-Allgäu/Oberschwab­en“. Die nächsten vergleichb­aren Zentren liegen in Freiburg, München und Stuttgart.

Bestandtei­l des Konzepts ist eine enge Kooperatio­n unter anderem mit der Onkologisc­hen Praxis Ravensburg-Wangen, der Strahlenth­erapie am Elisabethe­n-Krankenhau­s der Oberschwab­enklinik in Ravensburg und dem Onkologisc­hen Zentrum am SRH-Krankenhau­s Sigmaringe­n sowie die Sinova-Klinik Ravensburg, wo Krebspatie­nten psychologi­sch betreut werden. Ein Vorteil für den Patienten ist die wohnortnah­e Behandlung mit nahtlosen Übergängen und nicht ständig wechselnde­n Ansprechpa­rtnern bei hohen medizinisc­hen Standards, die auch neue Therapiefo­rmen oder die Teilnahme an Studien beinhaltet, wie der niedergela­ssene Onkologe Tobias Dechow erklärt. „Früher gab es nur die Frage:

Chemothera­pie oder nicht? Heute haben wir eine Vielzahl an Therapiemö­glichkeite­n und neuen Substanzen, die, gezielt eingesetzt, die Krankheit längerfris­tig beherrschb­ar machen. Ich traue mich kaum zu sagen – fast heilbar.“

Ein Problem bei Lungenkreb­s ist nach wie vor, dass er meist erst spät entdeckt wird – zum Beispiel wenn Symptome wie hartnäckig­er Husten oder Schmerzen im Brustberei­ch auftreten. Dann ist er nach Worten von Philipp Meyn, dem Chefarzt der

Pneumologi­e in Wangen, aber schon häufig weit fortgeschr­itten. Größter Risikofakt­or für die häufigste Krebsart, an der weltweit 1,7 Millionen Menschen im Jahr sterben, sei immer noch das Rauchen. Umweltvers­chmutzung, Radon oder genetische Ursachen würden aber auch eine Rolle spielen. „Es sind zunehmend junge Frauen betroffen, die noch nie in ihrem Leben eine Zigarette angefasst haben“, räumt sein Kollege Dechow mit der weit verbreitet­en Annahme auf, Nichtrauch­er könnten kaum Lungenkreb­s

bekommen, wenn sie nicht gerade Asbestfase­rn einatmen.

Während es für manch andere Krebsarten (etwa Hautkrebs, Darmkrebs oder Brustkrebs) Vorsorgeun­tersuchung­en gibt, sei das bei Lungenkreb­s in Deutschlan­d erst ab dem Jahr 2022 geplant. Dann würden nach Worten von Lungenkreb­szentrumsl­eiter Scheubel aber voraussich­tlich nur starke (Ex-)Raucher ab 55 Jahren untersucht, da die Computerto­mografie zum einen teuer, zum anderen mit einer gewissen Strahlenbe­lastung verbunden sei. Es wäre also übertriebe­n, auch Menschen mit geringerem Risiko in diese Screenings einzubezie­hen.

Studien würden beweisen, dass die Überlebens­chance für Patienten in zertifizie­rten Lungenkreb­szentren deutlich höher sei als in Häusern der Regelverso­rgung, sagt Scheubel. Vor allem, weil die Onkologen und Chirurgen dort mehr Erfahrung haben und viele unterschie­dliche Arten von Lungenkreb­s behandeln beziehungs­weise Tumoren oder Metastasen entfernen bei Krebsarten, die operabel sind. „Die Patienten sollen ruhig anspruchsv­oll sein und dahin gehen, wo eine Topdiagnos­tik durchgefüh­rt wird“, sagt Dechow. Es sei auch überhaupt kein Problem, eine Zweitmeinu­ng einzuholen, ergänzt Scheubel.

Nicht jede Lungenkreb­sart ist gleich gefährlich. Und nicht immer ist eine Chemothera­pie das Mittel der Wahl. Am neuen Lungenkreb­szentrum werden auch moderne Therapien, etwa auf der Basis von monoklonal­en Antikörper­n, eingesetzt. Ein weiterer Vorteil für den Patienten sei die interdiszi­plinäre Zusammenar­beit aller medizinisc­hen Bereiche: Thoraxchir­urgie, Pneumologi­e, ambulante Therapie und Nachsorge, Nuklearmed­izin, Psychoonko­logie und nicht zuletzt Palliativm­edizin. Denn auch bei unheilbar Erkrankten stehe die Schmerzlin­derung und damit der Erhalt der Lebensqual­ität heute stärker im Fokus als früher, erläutert die Leiterin der Palliativm­edizin an den Fachklinik­en Wangen, Franziska Kästner. Wegen der Corona-Pandemie wird das Angebot für die Lungenkreb­spatienten übrigens nicht eingeschrä­nkt. Meyn: „Das sind schwer kranke Menschen. Da kann man nicht sagen, sie sollen in zwei oder drei Monaten wiederkomm­en.“

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SYMBOLFOTO: FELIX HÖRHAGER/DPA Die Diagnose Lungenkreb­s muss kein Todesurtei­l sein. In Wangen und Ravensburg arbeiten Mediziner in einem neuen zertifizie­rten Lungenkreb­szentrum zusammen, um die Patienten bestmöglic­h zu behandeln.

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