Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie man Poesie und Musik bäckt

Bernhard Stengele, Tilman Schwauweck­er und Paul Amrod bestreiten Literatura­bend in Bäckerei

- Von Vera Stiller

WANGEN - „Die Hände einer Frau im Mehl“hat sich der gelungene Versuch genannt, „Poesie und Musik zu backen“. Theatermac­her Bernhard Stengele hatte sich zur Zubereitun­g dieser Nahrung vom Aufführung­sort „Brotgarten Wangen“inspiriere­n lassen. Das Publikum genoss die Collage aus Allgäuer Geschichte­n und Allgäuer Poesie, verbunden mit klassische­n Balladen und regionaler wie internatio­naler Musik, sichtlich. Frisch gebackene Seelen kamen noch als i-Tüpfelchen und Wegzehrung hinzu.

Wie sagte es Bernhard Stengele bei seiner Begrüßung so treffend? „Jede Veranstalt­ung, die stattfinde­n kann, ist ein Gewinn.“Wenn dieser Beitrag zu den 37. Baden-Württember­gischen Literaturt­agen dann noch so toll wie am Freitagabe­nd gelingt, dann kann man getrost von einem Hauptgewin­n sprechen. „Poesieund Seelenbäck­er“Tilman Schauwecke­r und der in Konstanz lebende New Yorker Pianist und Arrangeur Paul Amrod komplettie­rten den einstündig­en kulinarisc­h-literarisc­hen Genuss.

Kulturmana­gerin Susanne Hertenberg­er und Geschäftsf­ührerin Lukretia Mayer-Kottmann hatten dafür gesorgt, dass die Zuhörer im „Wangener Brotgarten“in der Bindstraße ein stimmiges Ambiente für den Mix aus Texten von Uli Scheitenbe­rger, Samuel Beckett und Bertolt Brecht sowie der Musik namhafter Komponiste­n, zu der Bernhard Stengele die Texte geschriebe­n hatte, vorfanden.

Es hieß also, sich auf dem Sessel, Sofa oder der Bank gemütlich machen, sich zurücklehn­en und das Sammelsuri­um an skurrilen Szenen, an frechen wie verschacht­elten Wortgebild­en und immer wieder zum Schmunzeln animierend­en Beispielen Allgäuer Eigenarten genießen. Und wenn mancher Ausdruck, manche Wortschöpf­ung und so manche Spitzfindi­gkeit des Autors Uli Scheitenbe­rger nicht gleich auf Pfiff ins Ohr ging, so ahnte man doch die Zusammenhä­nge.

Zunächst erinnerten die nicht mehr nur als Wärmespend­er fungierend­e Sonne, das einst quellfrisc­he Wasser der Argen und die über die Straße wehenden Blätter daran, was Freude und Leid bedeuten: „La vie c’est pas“. Dann wurde an den gedacht, der am Kreuz die Welt erlöst hat – „nur den Jaudas nicht“Dem gehörte ordentlich in den Bauch geschlagen. Gustav Schwabs „Reiter und der Bodensee“entsprang dem

Lesebuch von einst, und „Mädle, du bleibst brav“war dem weiblichen Idealbild der 1970er-Jahre geschuldet.

Mit der Marktanner­in, der „Wurstverkä­uferin seines Herzens“, und dem 24 Jahre alten zukünftige­n Kindsvater ging es kreuz und quer durch schwäbisch­e Gefilde. Am „Weißen Sonntag“zündete man ein Lichtlein an und ließ es „tief in mir drinnen brennen, aber nicht sichtbar werden“. Und im zweiten Kapitel von Scheitenbe­rgers Roman hörte sich die Marktanner­in so an: „Bei allen acht Schwangers­chaften hatte ich immer einen Rausch, aber es ist aus allen noch etwas geworden.“

Während Tilman Schauwecke­r immer wieder Zwiesprach­e mit dem

Erzähler und Sänger hielt, bewies er sich so ganz nebenbei auch als Bäcker: „Man nehme 300 Gramm Mehl, fünf Gramm Hefe, Salz und Wasser – und fertig sind laut Internet die gebackenen Seelen!“Ob er dabei an Claude Nougaros Lied „Les mains d’une femme dans la farine“mit dem die guten Sitten vergiftend­en Zeilen „Ich liebe dich in der Küche, nichts ist schöner als die Hände einer Frau im Mehl“gedacht hat?

Zum Abschluss wurde zum Mitsummen eines Kehrverses aufgeforde­rt, der sich sicherlich noch einige Stunden danach im Gehörgang manifestie­rt haben dürfte: „Und der Harlacher lacht, und der Notz glotzt, und der Bodenmille­r wird stiller….“.

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FOTO: VERA STILLER Tilman Schauwecke­r betätigte sich als Seelen-Bäcker.

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