Nahaufnahme eines rätselhaften Diktators
Journalistin Anna Fifield zeichnet ein spannendes Bild von Nordkoreas Kim Jong-un
Die Welt rätselt: Ist Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un, der übergewichtige junge Mann mit der merkwürdigen Frisur, ein knallharter, kühl kalkulierender, durchaus auch intelligenter Diktator, der mit seinem rigorosen Machtanspruch eine echte Bedrohung nicht nur für Ostasien bedeutet? Oder ist er ein eitler, sich maßlos überschätzender Egomane mit exzentrischen Vorlieben, den man als weltpolitischen Faktor nicht allzu ernst nehmen muss? Zu einer ganz eindeutigen Antwort kommt Anna Fifield in ihrem Buch „Kim – Nordkoreas Diktator aus der Nähe“auch nicht, aber die Autorin bietet eine beeindruckende Fülle hochinteressanter Details zum Leben und Handeln, auch zum Denken, dieser seltsamen Persönlichkeit.
Die Journalistin Anna Fifield, Asien-Korrespondentin der „Washington Post“, die häufig Nordkorea besuchte, selbst auch Koreanisch spricht, führte zahlreiche Interviews mit früheren Weggefährten des „obersten Führers“, mit Überläufern und Insidern unterschiedlichster Art bis hin zu Personen aus Kim Jonguns engerem familiären Umfeld und entwickelte daraus ein spannendes Bild, manchmal fast ein Psychogramm, des jungen Diktators.
Sie beschreibt seine Kindheit, die er in einem kaum vorstellbaren Luxus verbrachte, aber total abgeschottet von der bettelarmen nordkoreanischen Außenwelt, schildert seine kurze Schulzeit incognito in einem Schweizer Internat und die Jahre, in denen er als Kronprinz zum Nachfolger seines Vaters Kim Jong-il aufgebaut wurde.
Dass er dann schon so bald, mit gerade mal 27, an die Spitze dieses von seiner Familie wie ein persönliches Eigentum geführten Landes aufsteigen würde, war so nicht geplant und erklärt wohl auch teilweise Kim Jong-uns besonderes, von schroffen Gegensätzen geprägtes Verhalten.
Dieses schwankt zwischen einer beispiellosen Brutalität, die so weit ging, dass er seinen Halbbruder vergiften, seinen Onkel nach einem Schauprozess hinrichten und einen in Ungnade gefallenen General mit einer Luftabwehrkanone pulverisieren ließ, und überraschenden Charme-Offensiven, wie er sie bei einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump oder seinen Begegnungen mit der amerikanischen BasketballIkone Dennis Rodman zelebrierte. Dazwischen liegen gelegentliche Bemühungen, die man als vorsichtige Reformansätze deuten kann.
Die sehr lohnende Lektüre des Buches von Anna Fifield macht auch deutlich, weshalb der nordkoreanische Diktator sein Atomprogramm wohl nie ernsthaft aufgeben wird. Er fühlt sich einmal dem Erbe seines Vaters verpflichtet, der bereits 2006 den ersten Versuch einer Kernwaffenexplosion angeordnet hatte. Vor allem aber sieht er im Besitz der Bombe die Garantie dafür, dass er von außen keinen Angriff auf seine Machtposition befürchten muss. Im Inneren befolgt Kim Jong-un konsequent, was ihm sein Vater und sein Großvater, der Staatsgründer Kim Ilsung vorgelebt hatten.
Vielleicht erreicht der Personenkult bei Kim III. (noch) nicht ganz die unglaublichen Auswüchse wie bei seinen beiden Vorgängern. Aber in einem bleibt er ganz auf deren Linie. Er weiß – und verhält sich entsprechend –, dass die absolute Macht nur erhalten kann, wer sie so absolut, so rücksichtslos und drastisch wie möglich anwendet. Und bisher ging diese zynische Rechnung auch auf. Von einem Aufbegehren des unterdrückten Volkes, wie es vor drei Jahrzehnten zum Ende der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa geführt hatte, oder wie man es jetzt in Belarus beobachten kann, ist im Reich der Kims weit und breit nichts zu sehen.
Anna Fifield: Kim – Nordkoreas Diktator aus der Nähe, Edition Körber, 416 Seiten. 24 Euro.