Amateure dürfen nur noch joggen
Spitzen- und Breitensport klagen über die Corona-Anordnungen der Regierung
BERLIN (dpa/SID) - Sorgenvoll verkündete Angela Merkel die drastischen Corona-Beschränkungen, die den deutschen Sport in eine tiefe November-Depression stürzen. In den Bundesligen, auch im Profifußball, dürfen ab kommender Woche nur noch Geisterspiele ausgerichtet werden, im Freizeit- und Amateurbereich wird der Betrieb fast gänzlich untersagt. „Wir brauchen im November eine nationale Kraftanstrengung“, begründete die Bundeskanzlerin die am Mittwoch mit den Ländern angesichts dramatisch steigender Infektionszahlen beschlossenen Maßnahmen. Der Sport spielte während der Pressekonferenz keine Rolle – wird aber hart zu kämpfen haben.
Im Basketball, Handball, Eishockey oder Volleyball sind die Vereine stark auf die Zuschauereinnahmen angewiesen. Die Anordnung der Geisterspiele widerspreche „eigentlich dem, was wir letzte Woche mit den Chefs der Staatskanzleien besprochen haben“, sagte Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga. „Da war der Tenor noch eindeutig: Der Sport hat seine Hausaufgaben gemacht und trägt nicht zum Infektionsgeschehen bei.“
Merkel betonte, bei hohen CoronaZahlen könne nicht mehr gesagt werden, „dass ein bestimmter Bereich nicht zur Infektion beiträgt“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte: „Das bisher Getane reicht nicht, wir müssen mehr tun“. Der CSU-Chef äußerte aber auch Hoffnung auf eine Lockerung der Maßnahmen: „Wir werden Corona überstehen, es gibt auch ein Morgen.“
Die 36 Vereine der Deutschen Fußball Liga müssen sich nicht gänzlich auf eine neue Situation einstellen: Bereits zuletzt hatte es aufgrund steigender Infektionszahlen zahlreiche Spiele ohne oder nur mit wenigen Hundert Zuschauern gegeben. Ein umfassendes Hygienekonzept hatte dem Profifußball im Frühjahr die Wiederaufnahme des Spielbetriebes mit Geisterspielen ermöglicht. Für die aktuelle Saison erhielten die DFL wie der gesamte Sport von der Politik grünes Licht, zumindest bis zu 20 Prozent der Gesamtkapazität der Stadien auslasten zu dürfen. Genutzt werden konnte das in den wenigsten Fällen.
Dass Geisterspiele das Minimum für das wirtschaftliche Überleben der Vereine sind, hatten mehrere Bundesliga-Funktionäre betont. „Wenn wir die auch nicht mehr haben sollten, dann wird es ganz eng“, hatte Dortmunds
Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gesagt. In den anderen Profi-Ligen sieht es dagegen bereits jetzt düsterer aus.
„Aus unserer Sicht gibt es fachlichhygienisch keine Gründe dafür“, sagte Stefan Holz, Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga, zu der Entscheidung
der Politik. „Es werden von uns Hygienekonzepte verlangt, für die wir viel Geld in die Hand nehmen und mit ausgewiesenen Experten zusammenarbeiten. Und obwohl die Testphase gezeigt hat, dass die Konzepte funktionieren, dreht man uns doch den Saft ab. Das ist bitter.“
Der BBL-Chef hofft aber auf Schlupflöcher: „Jetzt warten wir die genauen Beschlüsse erst einmal ab. Vielleicht gibt es ja noch etwas Kleingedrucktes, das Ausnahmen zulässt.“Er sei froh, dass die Ligen zumindest ohne Zuschauer spielen dürfen. „Von daher schwankt meine Gefühlslage gerade zwischen Frust und Erleichterung“, sagte Holz. Die BBL will trotz Fanverbot weiter am 6. November in ihre neue Saison starten, am gleichen Tag plant auch die zweithöchste Eishockeyliga DEL2 ihr Comeback. Die DEL dagegen will noch über den Saisonstart beraten.
Unterschiedliche Vorgaben in den Ländern soll es nicht geben. „Die Entscheidungen gelten bundesweit“, sagte Merkel. Söder betonte, die Maßnahmen seien „kurzfristig hart, aber langfristig milder, als nichts zu tun“.
Die Auswirkungen auf den Amateursport dürften extrem sein. Fitnessstudios, Schwimm- und Spaßbäder werden geschlossen. Der Betrieb wird eingestellt, Vereine dürfen nicht mehr trainieren. Allein der Individualsport, also etwa alleine joggen gehen, ist weiter erlaubt. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hatte zuvor auf „Fingerspitzengefühl“der Politik gehofft. In „dieser schwierigen Phase kann und wird der Sport weiterhin Teil der Lösung und nicht des Problems sein“, hatte er gesagt. Bund und Länder folgten dieser Argumentation nicht, Hörmann gab sich demütig: „Der DOSB bedauert sehr, dass dieser temporäre Lockdown inklusive eines Verbots des Amateursports offenbar nötig geworden ist“, der Sport zeige sich aber solidarisch.
Der Präsident des Sächsischen Fußball-Verbandes, Hermann Winkler, kritisierte die Beschlüsse deutlicher: „Ich bin entsetzt über die Ignoranz und Geringschätzung gegenüber dem Sport und der Vereine.“