Politik ohne Skrupel
Diese Wahlen werden prominent in die Geschichtsbücher eingehen. Zeitgleich sind sie binnen vier Jahren der zweite Weckruf für die Europäer, das Geschick des Kontinents mehr in die eigenen Hände zu nehmen. Selbst wenn Donald Trump am Ende als Verlierer dastehen sollte, er hat der Welt gezeigt, dass in den USA mit Skrupellosigkeit und radikaler Rhetorik erfolgreich Politik gemacht werden kann.
Zwar sind die Vereinigten Staaten seit Längerem gespalten, aber die Zustimmungswerte für den amtierenden Präsidenten sind bemerkenswert. Warum? Die Wahlbeteiligung war für US-Verhältnisse ausgesprochen hoch, neben Herausforderer Joe Biden hat Trump also auch seine Wähler mobilisieren können. Eine Einmischung von außen über die sozialen Netzwerke, wie sie 2016 stattgefunden hatte, gab es diesmal auf den ersten Blick nicht. In fast allen Bevölkerungsgruppen – bis auf die der weißen, alten Männer – hat Trump dazugewonnen. Die meisten Strategen oder Demoskopen hatten eher das Gegenteil auf ihrer Rechnung. Unabhängig von der schwierigen Wirtschaftslage hat Trump in den Augen seiner Anhänger als Staatschef geliefert. Für sie ist unwichtig, ob er seine Erfolge lediglich rhetorisch oder tatsächlich erzielte. Auch die Auswirkungen der CoronaPandemie haben ihm nicht geschadet. Sollte sich Biden letztendlich durchsetzen, dann ist das für Europa kein Grund für Entspannung. Nach Trump werden andere republikanische Politiker kommen, die das teils erzkonservative Potenzial rechts der Demokraten nutzen wollen und werden. Der harte nationalistische Populismus hat eine Delle bekommen, verschwunden ist er nicht.
Zum Fürchten war der Auftritt Trumps in der Wahlnacht. Rechtswidrig erklärte er sich zum Wahlsieger, obgleich die Auszählung nicht beendet war. Er fabulierte ohne Beweise von Betrug und wollte ein Ende der Stimmenzählung, da er in diesem Moment theoretisch vorne lag. Damit zeigte der wichtigste und mächtigste Politiker des Westens, was er tatsächlich von der Demokratie hält: nichts.