Streit um Segen entzweit Rom und die Basis
Der Vatikan verbietet Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen – Seelsorger und Theologen aus dem Südwesten laufen gegen diese Entscheidung Sturm
- Die Empörung hält an. „Die Welt ist im totalen Wandel. Nur die Kirche bleibt stehen und beharrt auf alten, verstaubten Sachen“, sagt Theresa Veit, Leiterin des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) im Dekanat Biberach. Kaum ein Verantwortlicher an der Basis, der die Kritik am kategorischen „Nein“der vatikanischen Glaubenskongregation zur Segnung homosexueller Paare nicht teilt. Veit begründet: „Doch es ist total egal, wer wen liebt oder nicht. In der Bibel ist die Nächstenliebe erwähnt und die Geschlechter sind total egal.“Und Mario Lukic aus dem gleichen Gremium ergänzt: „Wir sind alle Kinder Gottes, Gott ist Liebe. Kann Liebe denn Sünde sein? Die wahre Liebe zwischen zwei Kindern Gottes kann keine Sünde sein!“
Die Glaubenskongregation im Vatikan, jene Behörde, die für die katholische Glaubenslehre zuständig ist, sieht das anders. Mitte März hatte sie mit Zustimmung von Papst Franziskus die Frage geklärt, ob die katholische Kirche die Vollmacht habe, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen. Die lapidare Antwort der Kongregation: „Nein“. Es sei „nicht erlaubt, Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe einschließen, wie dies bei Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts der Fall ist“. Zwar sei bei solchen Initiativen „der aufrichtige Willen“zu erkennen, „homosexuelle Personen anzunehmen, sie zu begleiten und ihnen Wege des Glaubenswachstums anzubieten“, heißt es in dem Papier. Da aber die Verbindungen von homosexuellen Paaren nicht dem göttlichen Willen entsprächen, könnten sie nicht gesegnet werden. In dem sogenannten Responsum ad dubium (Antwort auf einen Zweifel) heißt es, Segnungen menschlicher Beziehungen seien nur möglich, wenn damit den Plänen Gottes gedient sei. Drastischer hatte es 2015 Kardinal Gerhard Ludwig Müller, damals als Präfekt der Glaubenskongregation noch im Amt und bis heute als konservativer Hardliner bekannt, formuliert. Er hält und hielt von einer möglichen Öffnung nichts, an der katholischen Lehre darf aus seiner Sicht nicht gerüttelt werden. Vorschläge wie die Segnung homosexueller Paare und den Zugang Wiederverheirateter zu den Sakramenten nannte er in einem Interview einen „schreienden Widerspruch zum Wort Gottes“.
Dieser Argumentation will sich Matthäus Karrer, aus Wangen im Allgäu stammender Weihbischof, nicht anschließen. Karrer ist im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-stuttgart für die Grundsatzfragen der Seelsorge zuständig und sagt: „Segnungen gehören in der Seelsorge zum pastoralen Alltag.“Diese Praxis werde durch das Papier aus Rom zumindest in der württembergischen Diözese nicht infrage gestellt. Auch gebe es keine Strafen: „Wir sanktionieren keine Segnungen.“Karrer ergänzt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Nicht nur hat die Glaubenskongregation für massiven Wirbel im Haupt- und Ehrenamt gesorgt, auch stellt das Papier zentrale Fundamente im pastoralen Handeln infrage, wie zum Beispiel die vorbehaltlose Annahme von Menschen mit ihrer je eigenen Lebensgeschichte.“
Karrer mahnt an, in der hitzig geführten Diskussion zu differenzieren: „Segnungen für homosexuelle Paare sind kein ,Ja’ der Kirche zur Homo-ehe.“Es gehe um die Bitte, dass der Segen Gottes für sich liebende Menschen wirken möge:
„Nicht weniger, aber auch nicht mehr.“Ganz pragmatisch sieht der Weihbischof, der lange als Jugendseelsorger gearbeitet hat: „Es geht nicht um ein ,Entweder Ehe zwischen Mann und Frau oder nichts’ sondern um ein ,Sowohl Ehe zwischen Mann und Frau als auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen’.“
Wie Karrer argumentiert Diözesanbischof Gebhard Fürst für eine „versöhnliche Lösung“: „Ich hoffe und setze mich dafür ein, dass wir eine Regelung finden, die dem Respekt vor den Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und der Würde der einzelnen Personen gerecht wird und die gleichzeitig dem christlichen Verständnis von Ehe und Familie als Leitbild für unsere Kirche gerecht wird.“
Die Liebe zu einem Partner beziehungsweise einer Partnerin sei für die meisten Menschen der Schlüssel zu einem glücklichen Leben, so Fürst weiter. Aus diesem Grund sei für die katholische Kirche die Ehe als Verbindung von Frau und Mann und die daraus resultierende Familie besonders schützenswert. „Deshalb ist die Ehe ein Sakrament“, betont der Bischof. Darüber hinaus gebe es Menschen in dauerhaften homosexuellen Partnerschaften, die ihre Liebe zueinander als „segensreich“erfuhren. Auch diesen gebühre die Achtung und Zuwendung der Kirche. „Ich wende mich entschieden gegen jegliche Diskriminierung“, so Fürst.
Für Karrer wie auch für Fürst ist eine seelsorgerliche Begleitung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften selbstverständlich. „Wir können und sollten miteinander um ein vertieftes Verständnis füreinander beten.“Die Kirchengemeinden in der Diözese sollten Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in ihren Reihen „ohne Diskriminierung“aufnehmen. Gleichzeitig kündigt Fürst an, demnächst eine diözesane Stelle „in diesem sensiblen seelsorgerischen Bereich“einzurichten.
Das neuerliche Machtwort aus Rom reiht sich ein in eine ganze Serie von Ermahnungen, Stoppzeichen und Briefen aus dem
Vatikan, die die deutsche Kirche in Zeiten des Umbruchs treffen. Es gibt Kritik an der Lösung, Laien als Gemeindeleiter zu installieren. Wenig Freude haben die Dogmatiker im Vatikan daran, dass evangelische und katholische Christen gemeinsam Abendmahl feiern wollen. Zoff gibt es um den Kommunionempfang von nichtkatholischen Ehepartnern in konfessionsverschiedenen Ehen. Und nun könnte der Verbot der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften den Reformprozess des Synodalen Weges zur Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland torpedieren: Dort zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, Segensfeiern für homosexuelle Paare in
Deutschland offiziell zu ermöglichen. Grundsätzliches Ziel sei es, in der Lehre der Kirche Sexualität als positive Kraft zu verankern. Dies dürfe sich nicht nur auf die Ehe zwischen Mann und Frau erstrecken. „Paare in Liebesbeziehungen, die in Treue und wechselseitiger Wertschätzung leben, zu einer Negierung ihrer Sexualität als Paar zu zwingen, entspricht nicht unserem Menschen- und Gottesbild“, betont Birgit Mock, familienpolitische Sprecherin des Zentralkomitees deutscher Katholiken und Leiterin des Forums, das für den Synodalen Weg Beschlussvorlagen zum Thema Sexualmoral erarbeiten soll.
Akademischen Rückenwind erhalten die Kritiker Roms durch eine Stellungnahme, die vor allem südwestdeutsche Theologen und Theologinnen formuliert haben. Inzwischen haben mehr als 200 Vertreter der Disziplin unterschrieben: Die Erklärung der römischen Glaubenskongregation sei „von einem paternalistischen Gestus der Überlegenheit geprägt“und diskriminiere homosexuelle Menschen und ihre Lebensentwürfe, heißt es in dem Papier. „Von dieser Position distanzieren wir uns entschieden. Wir gehen demgegenüber davon aus, dass das Leben und Lieben gleichgeschlechtlicher Paare vor Gott nicht weniger wert sind als das Leben und Lieben eines jeden anderen Paares.“Der Erklärung der Glaubenskongregation fehle es an theologischer Tiefe und argumentativer Stringenz. „Werden wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und nicht rezipiert, wie es in dem Dokument der Fall ist, untergräbt das Lehramt seine eigene Autorität“, so die Experten. Unterschrieben haben unter anderem die Vorsitzende des Katholischen Fakultätentags, Johanna Rahner aus Tübingen, die aus dem Bistum Rottenburg-stuttgart stammenden und in Münster lehrenden Professoren Michael Seewald und Hubert Wolf, der Neutestamentler Michael Theobald aus Tübingen und auch der 92-jährige Peter Hünermann, von dem zahlreiche bedeutende Publikation stammen.
„Die Kritik an der römischen Entscheidung ist dringend notwendig.“Klaus Sanke, stellvertretender Dekan und „Jugenddekan“des Dekanats Biberach, schließt sich der Meinung der Wissenschaftler an und verurteilt die römische Haltung: „Wir können uns diese nicht einfach gefallen lassen. Sie zeugt von einer erschreckenden Arroganz und macht deutlich, dass Rom nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis ist. Die Humanwissenschaft hat mittlerweile ganz andere Erkenntnisse über die Sinndimension menschlicher Sexualität.“Theologisch sei vor allem der Naturbegriff oder das Verständnis, was natürlich ist, zu hinterfragen. Sanke analyisert: „Die römische Engführung mag ideologisch verständlich sein und zeugt aber nur von einer Angst vor Einflussverlust, der sich gesellschaftlich schon lange ereignet hat.“Letztlich gehe es um die Frage von Glaubwürdigkeit von Kirche: „Das römische Verdikt ist ein weiterer Schritt hin zu einer unbiblischen lebensfeindlichen Organisation, der die Leute fortlaufen, weil sie mit ihrem Leben nichts zu tun hat.“
In Tuttlingen hat Dekan Matthias Koschar ebenfalls Kummer mit der Entscheidung aus Rom. Denn er möchte loyal bleiben, nicht gegen kirchliche Regeln verstoßen. Seine Analyse: Der Vatikan gehe vom „Status quo“der Sexualmoral aus, „doch hat sich die Humanwissenschaft in den vergangenen Jahren sehr entwickelt“. Daher sieht Koschar die Notwendigkeit zu handeln: „Ich wünsche mir, dass es in der katholischen Kirche, die sich als Weltkirche bezeichnet, eine einheitliche Regelung gibt.“Die Regelung soll nach der Vorstellung des 56-Jährigen eine Synode oder ein Konzil treffen. Koschar, der seit 29 Jahren als Diakon und Priester Dienst tut, ist, wie er sagt, „noch nie von einem schwulen Paar nach dem Segen gefragt worden.“Und wenn ein Paar ihn um den Segen bäte? „Dann kann ich mir vorstellen, das Paar zu segnen, Menschen dürfen immer gesegnet werden.“
Dass die von Koschar erhoffte Diskussion um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der katholischen Kirche erst begonnen hat, nimmt auch Weihbischof Karrer an: „Der Satz ,Roma locuta, causa finita’, ,Rom hat gesprochen, die Sache ist entschieden’, gilt nicht mehr“, sagt er und nennt Beispiele: „Die römische Haltung zu Sklaverei und zur Todesstrafe hat sich im Laufe der Jahrhunderte um 180 Grad gedreht, heute lehnt die Kirche beides ab.“Das Verhältnis zu den Juden habe sich fundamental geändert: „Wir bezeichnen die Juden heute als die älteren Geschwister!“Freilich sei Geduld gefragt: „Wir müssen aus der deutschen Perspektive aus dieser Frage heraus, denn die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist nur auf der Ebene der Weltkirche zu lösen.“Aber Karrer ist zuversichtlich, dass es eine einvernehmliche Lösung gibt: „Wenn genügend Ortskirchen Druck machen, wird Rom sich bewegen. Wann das sein wird, kann ich freilich nicht sagen.“