Öffnen, testen, schließen
Fehlende Selbsttests und hohe Infektionszahlen haben den geplanten Schulstart in Baden-württemberg am Montag überschattet
- „Moment“, sagt Franz Zeh mit freudiger Stimme. „Ich bekomme gerade ein Paket.“Der Leiter der Rosenbach-grundschule in Hochdorf legt den Telefonhörer beiseite. Die Enttäuschung ist ihm anzuhören, als er kurz darauf sagt: „Nur ein kleines Paket, keine Tests.“Es ist 12.50 Uhr am Montagmittag. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er – anders als versprochen – keine Testkits für seine Schule vom Land bekommen. Dabei gilt ab diesem Tag eine Testpflicht an allen Schulen in Baden-württemberg. Er hat seine Schule geöffnet – obwohl die Schulbehörden empfohlen hatten, dies im Kreis Biberach nicht zu tun. Unsicherheiten und Widersprüche bestimmen seit Beginn der Coronapandemie den Schulalltag. Die Vorgänge rund um diesen Montag, an dem nach Plänen des Landes alle Schulen wieder öffnen sollten, stehen sinnbildlich dafür.
Am Osterwochenende hatte die grün-schwarze Landesregierung erklärt, wie es denn nun an den Schulen weitergehen soll. Seit Monaten lernten die meisten Kinder bis dahin von zu Hause aus. Der Plan sah vor, in der ersten Woche nach den Osterferien zunächst alle Schüler im Fernunterricht zu belassen. Ausgenommen davon blieben wie bereits zuvor die Abschlussklassen und die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, an denen Kinder mit geistiger oder körperlicher Behinderung lernen. Für die Stufen 1 bis 7 gab es zudem eine Notbetreuung.
An diesem Montag sollte alles anders werden: Die Schulen sollten wieder Unterricht vor Ort anbieten – für alle, wenn Abstands- und sonstige Hygieneregeln eingehalten werden können. Sonst sollte die Hälfte der Schülerschaft im Wechsel zu Hause und im Klassenraum lernen. Zwei Bedingungen trübten vielerorts die Vorfreude auf die Schulöffnungen: Die sollte es nämlich nur in den Kreisen geben, in denen die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einer Woche die 200er-marke nicht übersteigt. Und dann ist da noch die neue Testpflicht.
Da diese Sieben-tage-inzidenz im Ostalbkreis lange schon höher als 200 ist, sind dort die Schulen am Montag geschlossen geblieben. Am Freitag hatten die zuständigen Schulbehörden dieses Vorgehen auch den Einrichtungen im Kreis Biberach zunächst empfohlen, da der Wert nur knapp unter 200 lag – Tendenz steigend. Die Gymnasien im Kreis hätten sich daran gehalten, sagt Elke Ray, Leiterin des Gymnasiums Ochsenhausen und Vorsitzende der Direktorenvereinigung Südwürttemberg. Franz Zeh stemmte sich indes gegen die Empfehlung. „Wir haben es durchgezogen“, sagt er, „und wir waren nicht die einzige Schule im Kreis.“
Die Hälfte von Zehs 113 Schülern durfte am Montag zum Unterricht kommen – nur wenige Eltern verweigerten sich der neuen Testpflicht. Ihre Kinder bekamen Arbeitsmaterial für zu Hause, da sie ohne Test nicht am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen. „Ich finde das gut, das ist ehrlicher, statt einfach zu unterschreiben und dann nur so zu tun, als würden sie den Test machen“, sagt Zeh. Wirklich kontrollieren kann er das nämlich nicht. Im Gegensatz zu den weiterführenden Schulen dürfen die Eltern von Grundschulkindern im Land die vorgeschriebenen zwei Tests pro Woche mit nach Hause nehmen und dort durchführen. Die Tests hat er am Freitagabend den Eltern in die Hand gedrückt. Dass sie ihn auch regelgerecht angewendet haben, versichern die Eltern per Unterschrift auf einem Laufzettel, den die Kinder stets in ihrer Schulmappe haben sollen. „Ohne Unterschrift müssen wir das Kind dann leider heimschicken“, sagt Zeh.
Das Land hatte den Schulen zwar ausreichend Tests zum Schulstart an diesem Montag versprochen. Schließlich dürfen Schulen ohne
Elke Ray, Leiterin am Gymnasium Ochsenhausen
Tests gar keinen Präsenzunterricht anbieten, betont ein Sprecher von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Angekommen sind die Tests vom Land aber längst nicht überall. Zuständig dafür ist das Sozialministerium von Manfred Lucha (Grüne), das Millionen Tests bestellt hat und an die Kommunen liefert. Diese sollen die Testkits an ihre Schulen weiterverteilen. Wegen Verzögerungen bei der Lieferung ans Land seien die Tests zum Teil erst am Freitag an Städte und Gemeinden gegangen, aber nicht mehr weiter an die Schulen, nennt eine Ministeriumssprecherin einen Grund für den Mangel. „Zum Teil liegt es auch daran, dass entgegen der Zusicherung von zwei Lieferanten die vollständige Auslieferung an die Kommunen bis Freitag, 16. April 2021, nicht erfolgt ist.“Wie viele Schulen neben der von Rektor Zeh betroffen sind, können weder Sozialnoch Kultusministerium sagen. Luchas Sprecherin betont aber: „Die vollständige Auslieferung der ersten Tranche an die Kommunen wird
„Wir haben noch Wäscheklammern gekauft, um die Röhrchen auf dem Tisch abstellen zu können.“
diese Woche erfolgen.“Das Kultusministerium ergänzt, dass die Kommunen sich zudem selbst Testkits organisieren konnten.
Dass er den Eltern seiner Schüler Testkits bereits am Freitag mitgeben konnte, verdankt Rektor Zeh dem Hochdorfer Bürgermeister und indirekt Tübingens Rathauschef Boris Palmer. Palmer bot in einer Whatsapp-gruppe mit Bürgermeistern aus dem Regierungsbezirk Tübingen Hilfe bei der Testkitbeschaffung bei einer Tübinger Firma an. „Oberbürgermeister Boris Palmer verkauft keine Tests“, betont eine Rathaussprecherin auf Nachfrage. „Nahezu alle Städte im Regierungsbezirk haben Tests direkt beim Hersteller, der Firma Abbott, gekauft.“Palmer schätze die Menge auf rund 300 000 Stück. „Mittlerweile habe ich Anfragen aus dem ganzen Land erhalten, ob wir noch mehr Tests vermitteln können, und zahlreichen Städten geholfen, weil sie kurzfristig keine Tests besorgen konnten“, erklärt Palmer. „Niemand hat daran auch nur einen Cent verdient.“ Allein die Stadt Weingarten habe so für mehr als 100 000 Euro 21 600 Tests aus Tübingen bezogen, wie eine Stadtsprecherin bestätigt.
Test ist aber nicht gleich Test, wie die Ochsenhausener Gymnasiumsleiterin Ray feststellen musste. Ihre Testkits kamen nicht einzeln verpackt an. „Wir haben alle Komponenten für unsere Tests separat bekommen“, sagt sie. „Wir haben noch Wäscheklammern gekauft, um die Röhrchen auf dem Tisch abstellen zu können.“Und sie hat ein Erklärvideo aufgenommen, da kein anderes die Anwendung genau ihrer Tests zeigte.
Die Selbsttests scheinen den Schulen, die am Montag starten durften, weniger Probleme beschert zu haben als vielfach vorab befürchtet. „Natürlich gab es Vorbehalte bei Lehrkräften und bei Schülern und Schülerinnen“, berichtet Karin Broszat, Leiterin der Überlinger Realschule. „Es lief alles unspektakulär ab. Wir hatten auch keinen Positivfall“, so die Rektorin, die zudem Vorsitzende des Realschullehrerverbands ist. Ähnliches berichtet Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). „Im Großen und Ganzen hat es geklappt, wenn die Lehrkräfte ausreichend qualifiziert waren oder auf externe Testmöglichkeiten zugegriffen werden konnte.“Aber: „Zum Teil wurden den Kindern erst heute die Testkits mit nach Hause gegeben – das heißt, sie saßen einen Tag ungetestet im Klassenzimmer.“
Wie in Hochdorf gibt es auch in der Überlinger Realschule Eltern, die Selbsttests für ihre Kinder ablehnen: Von ihren 720 Schülern seien es bislang etwa ein Dutzend, berichtet Rektorin Broszat. „Der Großteil der Eltern unterstützt die Testpflicht aber.“Dennoch gibt es landauf, landab auch lautstarke Proteste. In Tuttlingen etwa kursierten aus Kreisen der „Querdenker“Musterschreiben gegen die Tests. „Ich weiß von diversen Schreiben von Rechtsanwältinnen an Schulen“, sagt auch Monika
„Als Rektorin bekomme ich viele böse Briefe – zur Maskenpflicht, auch zur Testpflicht.“
Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Schon gegen die Maskenpflicht, vor allem an Grundschulen, hatte es vielfach Widerstand gegeben. „Die Eltern, die vehement gegen Tests sind, schicken ihre Kinder nun nicht zur Schule“, sagt Stein. Das dürfen sie, denn im Land ist seit vergangenem Sommer die Präsenzpflicht aufgehoben. Die Kinder, die zu Hause bleiben, bekommen Fernunterricht. Auch Realschulleiterin Broszat berichtet: „Als Rektorin bekomme ich viele böse Briefe – zur Maskenpflicht, auch zur Testpflicht“, zum Teil voller persönlicher unverschämter Angriffe. Oft seien die Absender aber gar keine Eltern. „Vereinzelt kam es heute zu Protestaktionen vor Schulen, bei einzelnen Schulen in der letzten Woche sogar täglich“, berichtet VBECHEF Brand. Insgesamt seien dies aber Einzelfälle. „Tendenziell nehmen solche Eltern die Kinder aus dem Präsenzunterricht.“
Dass an den Schulen bald mehr Ruhe und Planbarkeit herrscht, bleibt wohl vielerorts ein frommer Wunsch. Der Kreis Tuttlingen hat gerade die Sieben-tage-inzidenz von 200 überschritten. Auch dort werden die Schulen also kurz nach der Öffnung am Dienstag wieder auf Fernunterricht umstellen, wie das Landratsamt am Montag verkündet. Andere Kreise könnten bald nachziehen. Denn der Südwesten hat sich bei seiner Regelung, Schulen ab einer 200erinzidenz zu schließen, an den Plänen der Bundesregierung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes orientiert. Der Bundestag will diese Grenze allerdings auf 165 absenken – die Beschlüsse im Bundestag und Bundesrat sollen noch diese Woche folgen. Für den Hochdorfer Grundschulleiter Zeh bedeutet das nichts Gutes. „Ich bin froh, dass das heute ziemlich gut angelaufen ist“, sagt er noch am Montagmittag und betont: „Ich hoffe, dass die Regelungen jetzt ein bisschen bleiben und etwa nicht noch mal an den Inzidenzzahlen gerüttelt wird.“
Karin Broszat, Rektorin der Realschule Überlingen