Rätselhafte Römer-siedlung
Das Vorarlberg-museum untersucht, wie bedeutend „Brigantium“war
- Wann die Römer von Oberitalien aus über Alpenpässe und durch das Rheintal in unsere Gegend kamen, weiß man. Im Jahr 15 vor der Zeitenwende eroberte der Feldherr und spätere Kaiser Tiberius mit seinem Heer das waldigsumpfige Gebiet um den Bodensee, das seinerzeit Kelten bewohnten, deren Zahl auf etwa 50 000 bis 100 000 Menschen geschätzt wird. Sogar von einer Seeschlacht auf dem Bodensee ist die Rede. Die Eroberer aus dem Süden gründeten Brigantium, das heutige Bregenz. Von dort aus stießen die römischen Truppen weiter Richtung Osten vor und erbauten ab ungefähr dem Jahr null an der Iller eine Stadt, die sie Cambodunum nannten und aus der später Kempten wurde. Den genauen Zeitpunkt kennen Geschichtsforscher erst seit ein paar Jahren: Die Kemptener Chef-archäologin Maike Sieler hat ihn aus der Analyse von Tonscherben herauslesen können, die in der Allgäuer Erde gefunden wurden.
Viele Details der römischen Landnahme und der frühen Besiedlung unserer Region liegen nach wie vor im Dunkeln. Oder unter der Erde. Deshalb graben Archäologen in Kempten seit zwei Jahren wieder nach unten. Auch in Bregenz, das die Römer Brigantium nannten, sind nach wie vor viele Fragen offen. Das zeigt die Ausstellung „Weltstadt oder so? Brigantium im ersten Jahrhundert nach Christus“. Das Vorarlberg-museum, das in seinem Haus am Bodensee-ufer noch andere sehenswerte Ausstellungen präsentiert, zeigt darin erstmals Funde, die bei Ausgrabungen in den Jahren 2016 und 2017 entdeckt wurden, und die das Museum als spektakulär einstuft. Tatsächlich erfährt man bei einem Rundgang viel über die Anfänge
des römischen Lebens und über die Bewohnerinnen und Bewohner. Gleichwohl bleibt vieles rätselhaft. Etwa wie bedeutend Brigantium wirklich war.
Dass Cambodunum-kempten zu einer planmäßig angelegten, zivilen Stadt heranwuchs, weiß man inzwischen. Gilt dies auch für Brigantiumbregenz, das anfangs wohl „nur“ein Militärlager war? Dafür fehlen deutliche Beweise. Zwar haben die Archäologen ein Forum, also einen zentralen Marktplatz gefunden, der so groß ist wie ein Fußballfeld. Außerdem gab es eine Therme, ein Handwerks- und Händlerquartier, einen Kaiser-kultbezirk. Das alles und noch etliches mehr lässt sich in der Ausstellung anhand von Fundstücken, Animationen, Nachbauten und Texten sehr gut nachvollziehen. Man kann also „gut informiert über die Siedlung und ihre Bewohner spekulieren“, wie das Vorarlberg-museum ehrlicherweise erklärt. Aber von einem gesicherten Wissen über die Größe der Siedlung, über deren Verwaltung, über die Bewohnerzahl sowie das Steuer- und Sozialwesen kann man immer noch nicht sprechen. Vieles bleibt Spekulation.
Dass es widersprüchliche wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, verschweigt die Schau nicht. Etwa 500 Soldaten lebten anfangs im Militärlager Brigantium, und mit ihnen eine gewisse Anzahl von Zivilisten. Den Bauwerken nach aber müsste die Siedlung sehr viel größer, gewichtiger gewesen sein. Neben dem großen Forum mit einem Tempel, einem umlaufenden, überdachten Gang mit rund acht Meter hohen Säulen und einer wohl dreischiffigen Versammlungshalle (Basilica) gab es viele mächtige Figuren. Alles sehr pompös für einen kleinen Ort mit einem kleinen Friedhof.
Vielleicht, so überlegen Römerexperten, wollten die Eroberer mit ihren überdimensionierten Bauten Macht demonstrieren. Da die ersten Bauwerke aus Holz waren, das über die Jahrhunderte verrottet, gibt es kaum Spuren – sofern es nicht verbrannte. Dann bleiben nämlich Aschespuren, die historisch gedeutet werden können. Ähnliche archäologische Probleme gibt es übrigens in Kempten.
Was der Bregenzer Boden bei den Grabungen vor fünf Jahren hergab, kann man nun im Vorarlberg-museum
bestaunen: Fragmente von Säulen und Gebäuden, Bruchstücke von Marmorverkleidungen, Schmuck aus Glas, Stein und Metall, Kochgeschirr, Becher aus Speckstein, Werkzeuge und Arbeitsgeräte für Bauern und Handwerker, Schlösser aus Metall, Tonscherben, Siegelringe, Tintenfässer aus Bronzeblech, Stifte aus Eisen und Beinen, Münzen. Bei der Präsentation setzen die Vorarlberger – natürlich – auf neue Medien. Beispielsweise wird eine Art Comic auf die Wand projiziert, der auf vergnügliche Weise die Römer-besiedlung in Bregenz erzählt. Das gefällt gewiss auch Kindern.
Die können zudem auf einen Schiffsbug klettern und Seeschlacht spielen oder aus Bauklötzen eine Stadt konstruieren. Apropos Schiff: Das kleine Brigantium war in den ersten zwei Jahrhunderten nach Christi Geburt vermutlich auch deshalb so bedeutend, weil die Siedlung günstig an zwei Verkehrsachsen sowie am Bodensee lag. Unter den archäologischen Funden befinden sich auch Amphoren, wie sie nur Großhändler brauchen konnten. Fermentierte Fischsauce aus dem Mittelmeer, die fürs Würzen von Speisen beliebt war, wurde darin angeliefert.
Während die Römer aus Cambodunum Mitte des fünften Jahrhunderts abzogen, genervt durch die andauernden Überfälle der Alamannen, verließen sie Brigantium viel früher – nämlich schon im dritten Jahrhundert nach Christi Geburt. Die Gebäude am Ufer des Bodensees (Lacus Brigantinus) verfielen; als Siedlungsgebiet gewann die Bregenzer Oberstadt an Bedeutung.
Das Vorarlberg-museum ist geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.