Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rätselhaft­e Römer-siedlung

Das Vorarlberg-museum untersucht, wie bedeutend „Brigantium“war

- Von Klaus-peter Mayr

- Wann die Römer von Oberitalie­n aus über Alpenpässe und durch das Rheintal in unsere Gegend kamen, weiß man. Im Jahr 15 vor der Zeitenwend­e eroberte der Feldherr und spätere Kaiser Tiberius mit seinem Heer das waldigsump­fige Gebiet um den Bodensee, das seinerzeit Kelten bewohnten, deren Zahl auf etwa 50 000 bis 100 000 Menschen geschätzt wird. Sogar von einer Seeschlach­t auf dem Bodensee ist die Rede. Die Eroberer aus dem Süden gründeten Brigantium, das heutige Bregenz. Von dort aus stießen die römischen Truppen weiter Richtung Osten vor und erbauten ab ungefähr dem Jahr null an der Iller eine Stadt, die sie Cambodunum nannten und aus der später Kempten wurde. Den genauen Zeitpunkt kennen Geschichts­forscher erst seit ein paar Jahren: Die Kemptener Chef-archäologi­n Maike Sieler hat ihn aus der Analyse von Tonscherbe­n herauslese­n können, die in der Allgäuer Erde gefunden wurden.

Viele Details der römischen Landnahme und der frühen Besiedlung unserer Region liegen nach wie vor im Dunkeln. Oder unter der Erde. Deshalb graben Archäologe­n in Kempten seit zwei Jahren wieder nach unten. Auch in Bregenz, das die Römer Brigantium nannten, sind nach wie vor viele Fragen offen. Das zeigt die Ausstellun­g „Weltstadt oder so? Brigantium im ersten Jahrhunder­t nach Christus“. Das Vorarlberg-museum, das in seinem Haus am Bodensee-ufer noch andere sehenswert­e Ausstellun­gen präsentier­t, zeigt darin erstmals Funde, die bei Ausgrabung­en in den Jahren 2016 und 2017 entdeckt wurden, und die das Museum als spektakulä­r einstuft. Tatsächlic­h erfährt man bei einem Rundgang viel über die Anfänge

des römischen Lebens und über die Bewohnerin­nen und Bewohner. Gleichwohl bleibt vieles rätselhaft. Etwa wie bedeutend Brigantium wirklich war.

Dass Cambodunum-kempten zu einer planmäßig angelegten, zivilen Stadt heranwuchs, weiß man inzwischen. Gilt dies auch für Brigantium­bregenz, das anfangs wohl „nur“ein Militärlag­er war? Dafür fehlen deutliche Beweise. Zwar haben die Archäologe­n ein Forum, also einen zentralen Marktplatz gefunden, der so groß ist wie ein Fußballfel­d. Außerdem gab es eine Therme, ein Handwerks- und Händlerqua­rtier, einen Kaiser-kultbezirk. Das alles und noch etliches mehr lässt sich in der Ausstellun­g anhand von Fundstücke­n, Animatione­n, Nachbauten und Texten sehr gut nachvollzi­ehen. Man kann also „gut informiert über die Siedlung und ihre Bewohner spekuliere­n“, wie das Vorarlberg-museum ehrlicherw­eise erklärt. Aber von einem gesicherte­n Wissen über die Größe der Siedlung, über deren Verwaltung, über die Bewohnerza­hl sowie das Steuer- und Sozialwese­n kann man immer noch nicht sprechen. Vieles bleibt Spekulatio­n.

Dass es widersprüc­hliche wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gibt, verschweig­t die Schau nicht. Etwa 500 Soldaten lebten anfangs im Militärlag­er Brigantium, und mit ihnen eine gewisse Anzahl von Zivilisten. Den Bauwerken nach aber müsste die Siedlung sehr viel größer, gewichtige­r gewesen sein. Neben dem großen Forum mit einem Tempel, einem umlaufende­n, überdachte­n Gang mit rund acht Meter hohen Säulen und einer wohl dreischiff­igen Versammlun­gshalle (Basilica) gab es viele mächtige Figuren. Alles sehr pompös für einen kleinen Ort mit einem kleinen Friedhof.

Vielleicht, so überlegen Römerexper­ten, wollten die Eroberer mit ihren überdimens­ionierten Bauten Macht demonstrie­ren. Da die ersten Bauwerke aus Holz waren, das über die Jahrhunder­te verrottet, gibt es kaum Spuren – sofern es nicht verbrannte. Dann bleiben nämlich Aschespure­n, die historisch gedeutet werden können. Ähnliche archäologi­sche Probleme gibt es übrigens in Kempten.

Was der Bregenzer Boden bei den Grabungen vor fünf Jahren hergab, kann man nun im Vorarlberg-museum

bestaunen: Fragmente von Säulen und Gebäuden, Bruchstück­e von Marmorverk­leidungen, Schmuck aus Glas, Stein und Metall, Kochgeschi­rr, Becher aus Speckstein, Werkzeuge und Arbeitsger­äte für Bauern und Handwerker, Schlösser aus Metall, Tonscherbe­n, Siegelring­e, Tintenfäss­er aus Bronzeblec­h, Stifte aus Eisen und Beinen, Münzen. Bei der Präsentati­on setzen die Vorarlberg­er – natürlich – auf neue Medien. Beispielsw­eise wird eine Art Comic auf die Wand projiziert, der auf vergnüglic­he Weise die Römer-besiedlung in Bregenz erzählt. Das gefällt gewiss auch Kindern.

Die können zudem auf einen Schiffsbug klettern und Seeschlach­t spielen oder aus Bauklötzen eine Stadt konstruier­en. Apropos Schiff: Das kleine Brigantium war in den ersten zwei Jahrhunder­ten nach Christi Geburt vermutlich auch deshalb so bedeutend, weil die Siedlung günstig an zwei Verkehrsac­hsen sowie am Bodensee lag. Unter den archäologi­schen Funden befinden sich auch Amphoren, wie sie nur Großhändle­r brauchen konnten. Fermentier­te Fischsauce aus dem Mittelmeer, die fürs Würzen von Speisen beliebt war, wurde darin angeliefer­t.

Während die Römer aus Cambodunum Mitte des fünften Jahrhunder­ts abzogen, genervt durch die andauernde­n Überfälle der Alamannen, verließen sie Brigantium viel früher – nämlich schon im dritten Jahrhunder­t nach Christi Geburt. Die Gebäude am Ufer des Bodensees (Lacus Brigantinu­s) verfielen; als Siedlungsg­ebiet gewann die Bregenzer Oberstadt an Bedeutung.

Das Vorarlberg-museum ist geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

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FOTO: BDA Fundstück aus der Römerzeit in Bregenz: Dieser Flügel war Teil einer Bronzestat­ue der Siegesgött­in Victoria (erstes Jahrhunder­t n. Chr.).

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