Die Rollenspieler
Robin Gosens, der Anti-lagerkoller-mitarbeiter auf der linken Außenbahn – Leroy Sané, der Individualist für den Joker-part – Joshua Kimmich, der Sechser, der rechts ran muss
- Einerseits ist es ein Zeichen des Aufstiegs, andererseits muss demjenigen klar sein: Wirklich ruhig wird es nicht. Robin Gosens bewohnt auf dem Gelände von Dfbsponsor Adidas einen der edlen Holzbungalows mit Thomas Müller, dem mangelndes Sendungsbewusstsein nicht nachgesagt werden kann. Neben „Radio Müller“sind die Wgkumpel in Herzogenaurach für die Zeit der Em-endrunde Leon Goretzka, ebenfalls FC Bayern München, und Frankfurts Torhüter Kevin Trapp. Für Italien-legionär Gosens von Atalanta Bergamo gilt es also, sich auch in dieser Viererrunde durchzusetzen. Und Führungsspieler Müller zum Freund zu haben, kann bei der ersten Turnierteilnahme sicher nicht schaden.
Beim 7:1 gegen Lettland hatte sich die Startelf der deutschen Nationalelf für das Auftaktspiel kommenden Dienstag gegen Frankreich herauskristallisiert. Mit Gosens, dem überraschendsten Aufsteiger im Kader seit der WM 2018 in Russland. Der 26-Jährige hat sich als Linksaußen etabliert, soll Linksverteidiger und Außenstürmer zugleich sein im variablen System mit Dreier- beziehungsweise Fünferabwehrkette von Bundestrainer Joachim Löw.
Bei seinem ersten Länderspieltor gegen die Letten (im sechsten Einsatz) ging Gosens, wie er frank und frei formulierte, „mal so richtig einer ab, weil meine Familie und Freunde im Stadion waren“. Während des Trainingslagers in Seefeld betonte er, man müsse sich bei den Übungseinheiten „auch mal auf die Eier gehen und dem anderen sagen, dass er Sülze spielt“. Seit dem Abschied von Lukas Podolski aus der Nationalelf im März 2017 hat man solch eine Wortwahl nicht mehr gehört bei den sonst so glatten, Pr-mäßig durchgestylten Nationalspielern. Geradeaus, schlagfertig, authentisch – das ist Gosens, der zum
Poldi-mime bei der EM werden könnte. Als Entertainer und Stimmungsmacher, ganz wichtig für die 26 Mann große Gruppe. Ein wertvoller Antilagerkoller-mitarbeiter, dessen Energie, Dynamik und Power an Podolski erinnert. „Den linken Huf vom Lukas hätte ich schon gerne“, sagt er, der sich „als emotionaler Spieler“beschreibt, „der schon mal ausbricht“. Einer mit vielen Facetten: Mutter Deutsche, Vater Niederländer, bekennender Schalke-fan und Fernstudent der Psychologie.
Ein Rollenspieler möchte auch Leroy Sané bei dieser EM werden, am liebsten in einer Hauptrolle. Doch der 25-Jährige, der eine sehr passable erste Saison beim FC Bayern hinter sich hat, verkörpert so gar nicht Gosens’ Eigenschaften. Sané gilt als introvertierter Spieler, sein Witz und sein Charme offenbaren sich erst im intimen Gespräch, wenn er jemandem vertraut. In der Vorbereitung konnte
Sané erneut nicht überzeugen, weiter kämpft er gegen das nicht unbegründete Image, ein Bruder Leichtfuß zu sein, der auch aufgrund seiner Statur und Spielweise hin und wieder abwesend und lethargisch rüberkommt. Das alles erinnert an Mario Götze (seit letztem Sommer bei der PSV Eindhoven), dessen individuelle Extraklasse so unbestritten war und ist wie seine besondere Individualität neben dem Platz. Beide Künstlertypen, denen zuweilen der Punch fehlt. Sané könnte eine Joker-rolle einnehmen und womöglich in einem besonderen Turniermoment der Welt zeigen, dass er besser ist als sein Ruf. Siehe Götzes goldenes Joker-tor im Wm-finale 2014 gegen Argentinien.
In der „Opferrolle“befindet sich Joshua Kimmich, der seinen Part zum Wohle der Mannschaft akzeptiert. Bei Bayern uneingeschränkter Mittelfeldherrscher und als Sechser mit allen Befugnissen ausgestattet, zieht er nun unter Löw zähneknirschend um. In Ermangelung eines Rechtsverteidigers von internationalem Niveau (Lukas Klostermann fiel durch) und aufgrund des Überangebots an Weltklasse im zentralen Mittelfeld (Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Rekonvaleszent Goretzka) wird Kimmich zu Phillipp Lahn anno 2021. Der zog während der WM 2014 aus dem Zentrum auf die rechte Außenbahn – mit Erfolg. „Jo hat das Format Philipp Lahm“, lobte Löw. Der Lahm-imitator meinte: „Solange wir die Spiele gewinnen, ist mir das eigentlich komplett egal, ob ich rechts spiele oder in der Mitte spiele.“
Für Ard-experte Bastian Schweinsteiger hat Kimmich „als einer der besten Sechser das Pech, dass er als Rechtsverteidiger immer noch weit besser ist als jede andere Option. Es tut mir sehr leid für ihn, aber ich habe das immer vermutet, dass sich das für Joshua so ergeben könnte.“