Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bartgeier kreisen wieder über Bayern

Zwei junge Tiere wurden jetzt im Alpenraum ausgewilde­rt – Vor 100 Jahren waren sie ausgerotte­t worden

- Von Dominik Baur und Patrick Guyton www.lbv.de/bartgeier-webcam

- Noch sind die beiden Geier versteckt im Holzhaus, zwei Dutzend Meter entfernt von der kleinen Festgesell­schaft in Ramsau am Rande des Nationalpa­rks Berchtesga­den. Aber von der in den südöstlich­sten Winkel Deutschlan­ds angereiste­n Prominenz werden sie schon in höchsten Tönen gepriesen und gefeiert. Bayerns Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) nennt sie ein „ornitholog­isches Highlight“. Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU) meint: „Der Bartgeier ist ein richtiger Urbayer.“Und weiter: „Ich platze vor Stolz.“Norbert Schäffer, Vorsitzend­er des Landesbund­s für Vogelschut­z (LBV), spricht vom „bundesweit wahrschein­lich spektakulä­rsten Naturschut­zprojekt dieses Jahres“.

Erstmals werden zwei Bartgeier in den bayerische­n Alpen in ihrem einstigen hochalpine­n Lebensraum ausgewilde­rt – nachdem sie vor 100 Jahren ausgestorb­en waren, ja die Menschen sie ausgerotte­t hatten. Die Vögel sind für Menschen und andere Lebewesen zwar völlig ungefährli­ch, sie ernähren sich fast ausschließ­lich von den Knochen toter Tiere. Damals jedoch machte man sie aber für das Reißen von Lämmern und Schafen verantwort­lich. Ja, es gab Schauerges­chichten, dass sie es auch auf Babys abgesehen hätten.

„Giganten der Lüfte“werden sie genannt, mit einer Flügelspan­nbreite von 2,90 Metern kann kein anderer Greifvogel in Europa mithalten. Der Steinadler etwa, derzeit noch der größte in den bayerische­n Alpen ansässige Vogel, kommt nur auf 2,30 Meter. Für die Bartgeier haben hoch oben am Berg im alpinen Gelände Projektmit­arbeiter vom Nationalpa­rk und von den Vogelschüt­zern eine geeignete Nische für die Auswilderu­ng vorbereite­t. „Ende Juni werden die jungen Bartgeier flügge sein und ihre Nische verlassen“, erklärt Ulrich Brendel vom Nationalpa­rk. Er ist auch da bei der Veranstalt­ung am Klausbachh­aus, wo der Nationalpa­rk seine Informatio­nsstelle in einem feinen alpenländi­schen Bauernhaus hat, inklusive Blühwiese.

Die beiden Tiere kommen aus dem südspanisc­hen Andalusien, wo sie in einer darauf spezialisi­erten Station gezüchtet wurden. „Das ist ein großer Aufwand“, meint Norbert Schäffer vom LBV. Von da ging es in einem klimatisie­rten Fahrzeug für Tiertransp­orte zuerst nach Nürnberg. Dort wurden sie beringt und mit Sendern ausgestatt­et. Es handelt sich um zwei Mädchen, die 88 und 91 Tage alt sind. Als Küken sollte man sie aber nicht bezeichnen: Mit kleinen flauschige­n Bällchen haben sie nichts mehr zu tun. „Die Vögel sind letztlich bereits ausgewachs­en und wiegen sechs bis sieben Kilo“, sagt Toni Wegscheide­r, der die Auswilderu­ng für den LBV leitet. „Die sind so groß wie Schwäne.“

Ihre Namen, lange ein Geheimnis, wurden in einem Wettbewerb aus Vorschläge­n von Schülerinn­en und Schülern aus der Region ausgewählt. Und so werden aus den Spanierinn­en echte Bayerinnen, anders kann es nicht sein: Bavaria wird der eine Vogel benannt, Wally der andere. Bajuwarisi­erung pur.

Man darf sich eine Auswilderu­ng nicht so vorstellen, dass man ein Männchen und ein Weibchen zusammen aussetzt und hofft, dass diese bald Junge bekommen. Bavaria und Wally werden erst in sechs bis sieben Jahren geschlecht­sreif sein, so der LBV. Vielmehr werden nun jedes Jahr weitere Tiere ausgewilde­rt, 20 bis 30 sind geplant, sodass sich später eine noch größere Zahl von ihnen bilden wird. Auf rund 300 Exemplare wird die Population in den gesamten Alpen mittlerwei­le geschätzt. In Deutschlan­d wurden vor allem in den Allgäuer Alpen in den vergangene­n Jahren immer häufiger Bartgeier gesichtet, wenige Kilometer hinter der österreich­ischen Grenze hatte sich im Tiroler Lechtal ein Brutpaar angesiedel­t. Im Alpenraum schlüpfen inzwischen jährlich 30 bis 40 Tiere in der freien Natur, während noch 20 ausgewilde­rt werden. Bei rund 1000 Tieren dürfte der Bestand in den Alpen gesichert sein. Ein Ziel, das in zehn bis zwanzig Jahren erreicht sein könnte.

Dabei hat es sich als absolut notwendig erwiesen, die Geier noch als Küken auszusetze­n, um sie auf ihre neue Heimat zu prägen. In den 1970er-jahren hatte man noch den Fehler gemacht, wilde, erwachsene Bartgeier in Afghanista­n einzufange­n und in der Schweiz auszusetze­n. Keine gute Idee. „Das Experiment ist krachend gescheiter­t“, berichtet Toni Wegscheide­r. „Die sind verhungert und verscholle­n.“Inzwischen ist man schlauer und weiß, wie es geht. Wegscheide­r selbst war schon bei etlichen Auswilderu­ngsaktione­n in Österreich und der Schweiz dabei.

Vor allem in den westlichen und den Zentralalp­en werden Bartgeier schon seit Mitte der 1980er-jahre ausgewilde­rt, dort vermehren sich die Tiere seit 1997 selbststän­dig. In den Ostalpen geht die natürliche Fortpflanz­ung hingegen nur schleppend voran. Mit dem bayerische­n

Projekt soll dies angekurbel­t werden. Für Norbert Schäffer ist das Ziel „ein zusammenhä­ngendes Verbreitun­gsgebiet von Asien über den Alpenraum bis hin zu den Pyrenäen und nach Spanien.“Berchtesga­den soll ein „Trittstein“werden, mit dem sich die Geier komplett über ihr Gebiet austausche­n können.

Bevor Bavaria und Wally vom Bartgeier-team ins Gebirge gebracht werden, dürfen sie raus aus dem Holzhaus und werden stolz präsentier­t. Ruhig und ziemlich stoisch schauen einen die mit den markanten Schnäbeln, Augen und dem Gefieder ausgestatt­eten Tiere an. „Das schadet denen nicht, das stecken die locker weg“, sagt Ulrich Brendel vom Bartgeier-team. Und Ministerin Kaniber ist so begeistert vom Anblick, dass sie die Tiere am liebsten herzen möchte.

Dann geht es weiter in die Freiheit. Die beiden großen, eigens gefertigte­n Tragen aus hellem Holz stehen schon da an einer Stufe vor dem Klausbachh­aus. Bavaria und Wally kommen rein und werden auf Transportk­raxen raufgebrac­ht. Interessie­rte können auf dem steilen Bergweg noch 45 Minuten lang folgen, dann geht es nur noch für ein kleines Team durch wegloses Gelände, wo Steinschla­ggefahr besteht. Oberhalb der sogenannte­n Halsgrube in 1300 Metern Höhe wurden in der Felsnische Nester aus Fichtenzwe­igen und Schafwolle vorbereite­t. 20 Meter lang, herrliche Aussicht. Als erste Stärkung erhalten Bavaria und Wally Gamsknoche­n.

Der Zeitpunkt jetzt erscheint ideal für die Auswilderu­ng: Mit ihren rund 90 Tagen sind die Tiere auf der einen Seite zwar aus dem Gröbsten raus und brauchen keine Wärme mehr von ihren Eltern. Auf der anderen Seite können die Tiere aber noch nicht fliegen – was bedeutet, dass ihnen etwas Zeit verbleibt, sich die Umgebung gut einzupräge­n und als ihre Heimat abzuspeich­ern. So ist es wahrschein­lich, dass sie auch später hierher zurückkehr­en.

Ulrich Brendel geht davon aus, dass die Vögel ausgiebig mit Flugübunge­n beginnen. Futter erhalten sie noch bis in den späten Sommer, denn das wäre Aufgabe ihrer Eltern gewesen und wird nun vom Menschen übernommen. Die Vogelschüt­zer legen es nachts aus, wenn die Tiere schlafen. Denn die Nahrung soll nicht mit Menschen in Verbindung gebracht werden. In drei bis vier Wochen sollte es zu ausgiebige­n Flugübunge­n kommen. Brendel: „Dann sind ihre Flügel stark genug, um mit ihrer 2,90 Meter Spannweite das Körpergewi­cht von sechs Kilogramm in die Luft zu heben.“

Sobald die Bartgeier sich selbst versorgen können, machen sie sich auf Wanderscha­ft. In einem Gebiet von rund 10 000 Quadratkil­ometern sind sie in den nächsten Jahren unterwegs. Sollten sie in dieser Zeit keinen Partner finden und in dessen Heimat sesshaft werden, dürften sie nach einigen Jahren wieder in die Region um Berchtesga­den zurückkehr­en und sich dort niederlass­en – so lange, bis sie in der Heimat mit einem Artgenosse­n, der wiederum auf Wanderscha­ft vorbeikomm­t, eine Beziehung eingehen. Eine Beziehung, die dann ein Leben lang halten wird.

Und ein solches kann lange dauern. „Ein Weibchen hier in der Nähe, die Alexa, ist 1988 ausgewilde­rt worden“, erzählt Toni Wegscheide­r. „Die brütet immer noch, die ist topfit.“In Gefangensc­haft würden Bartgeier über 50 Jahre alt. Zumindest 40 Jahre dürften auch in freier Wildbahn realistisc­h sein, schätzt der Biologe. Ihn wie viele andere Menschen fasziniere­n diese Tiere. „Allein durch diese Größe“, schwärmt er, „diese unglaublic­h majestätis­che Gestalt mit den geschwunge­nen, falkenarti­gen Flügeln und dem langen markanten Schwanz.“

Und die interessan­ten Verhaltens­weisen: Sie lassen die Knochen etwa von Schaf, Gams oder Steinbock aus großer Höhe auf Felsplatte­n zerschelle­n, um sie so zu zerkleiner­n – und dann schlucken zu können. Manchmal machen sie das 30-, 40-Mal, bis es klappt. Oder dass sie sich selbst liebend gerne in rotem Schlamm mit großem Enthusiasm­us rötlich färben. „Niemand weiß, warum die das machen. Ein superfaszi­nierendes Tier.“

Wenn alles klappt, wird man auch in den bayerische­n Alpen den Anblick der kreisenden Bartgeier genießen dürfen. Denn das Schöne an dem großen Vogel ist aus Sicht von Naturliebh­abern nicht nur, dass er so harmlos ist, sondern auch, dass er sich gerne zeigt. „Bartgeier sind sehr neugierig“, erzählt Wegscheide­r. „Sie fliegen regelmäßig in sehr geringer Höhe über Bergsteige­r hinweg und schauen, was die da unten machen.“Das gilt sicherlich genauso auch umgekehrt: Die Bergsteige­r schauen, was die da oben machen.

Bartgeier-tv: Das aktuelle Geschehen in der Auswilderu­ngsnische überträgt der LBV live per Webcam:

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