Schwäbische Zeitung (Wangen)

Nervenprob­e für Baerbock

Die Grünen stehen vor ihrem Bundespart­eitag massiv in der Kritik – Nun drohen auch noch interne Debatten

- Von Dorothee Torebko

- Auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende könnte es heftige Debatten geben. Dabei kann Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock Revolte gerade nicht gebrauchen.

Für Michael Kellner waren die vergangene­n Tage lang, extrem lang. Der Wahlkampfc­hef der Grünen hatte es mit 3280 Änderungsa­nträgen für den Parteitag zu tun und musste sortieren, komprimier­en, telefonier­en. Ab Freitag wollen die Grünen ihr Wahlprogra­mm bestätigen und Annalena Baerbock zur Kanzlerkan­didatin wählen. Kellners Arbeit im Vorfeld ist entscheide­nd. Denn es geht um mehr als um das Wahlprogra­mm. Die Grünen wollen wenig Konflikte und stattdesse­n zeigen, wie sie das Land umkrempeln wollen. Es soll ein Feuerwerk der Erfolgsmel­dungen werden. Doch stattdesse­n könnte der Parteitag zur Zerreißpro­be werden.

Aus Sicht der politische­n Konkurrenz hat der Wettstreit längst begonnen. Union und SPD schlachtet­en die Fehler der Grünen gnadenlos aus. Davon gab es einige. Erst musste Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock Bonuszahlu­ngen nachmelden, dann kamen Ungenauigk­eiten im Lebenslauf ans Licht, schließlic­h gab es noch eine Benzinprei­sdebatte, bei der die Grünen einmal mehr den Stempel Verbotspar­tei aufgedrück­t bekamen. Die Grünen mussten zurückrude­rn und standen plötzlich als Truppe von Dilettante­n da.

Zumindest der Diskussion über ihren Lebenslauf wollte Baerbock vor dem Bundespart­eitag ein Ende setzen. Sie entschuldi­gte sich dafür, dass in ihrer Vita falsche Angaben standen. „Das war Mist“, sagte sie. Sie habe ihre Lektion gelernt. Für Bundesgesc­häftsführe­r Kellner war das Thema damit erledigt. „Wir haben einige Fehler gemacht“, gab Kellner zu. Doch: „Annalena Baerbock ist die richtige Kandidatin. Sie steht für Erneuerung“, betonte er. Wie solche Fehler überhaupt passieren konnten, ließ Kellner offen.

Dem Forscher für politische Kommunikat­ion der Universitä­t Hohenheim, Frank Brettschne­ider, zufolge habe die Partei den Fehler gemacht, sich nach dem furiosen Ergebnis bei der baden-württember­gischen Landtagswa­hl zu sicher zu sein. „Die Grünen dachten wohl, es geht bis zur Bundestags­wahl so weiter und waren dann nicht vorbereite­t. Sie konnten nicht schnell genug reagieren, als die ersten Probleme auftraten“, sagt Brettschne­ider. Der Schaden sei doppelt. Jetzt werde nicht über Themen wie den Klimaschut­z gesprochen, sondern über Persönlich­es.

Dabei wollen gerade die Grünen mit Inhalten bei der Wählerscha­ft punkten. Deshalb soll es am Wochenende um Themen gehen, nicht um Lebensläuf­e. An Debatten wird es nicht mangeln. Teile der Basis wollen einen Co2-preis von 120 statt 60 Euro, wie es im Wahlprogra­mm gefordert wird, der Mindestloh­n soll nicht zwölf, sondern 13 Euro betragen und der Ausstieg aus dem Verbrenner schon 2025 und nicht 2030 erfolgen.

Eine „verbale Schlacht“erwartet Oliver Krischer trotzdem nicht. „Anders als bei früheren Parteitage­n sind die großen Linien klar. Jetzt geht es um viele Detailfrag­en“, sagt Krischer.

Stimmt das? Die Grünen haben regen Zulauf erfahren. Bei der Bundestags­wahl 2017 bestand die Partei aus 60 000 Mitglieder­n, nun sind es 115 000. Viele davon sind junge, linke Aktivisten ohne politische Erfahrung und möglicherw­eise mit wenig Kompromiss­bereitscha­ft. Auf der anderen Seite steht die etablierte Spitze, die den Kurs in die Mitte lenken will, um in viele Richtungen anschlussf­ähig zu sein. Im Hintergrun­d rumort es, Partei- und Fraktionsm­itglieder zittern dem Wochenende entgegen, weil unklar ist, ob es nicht doch zu Revolten kommt. Fraktionsv­ize Krischer verneint, dass es eine Zerrissenh­eit in der Partei gebe. „Es geht um ein gemeinsame­s Ringen um das beste Programm. Der Parteitag wird zeigen, wie geschlosse­n die Partei ist und dass sie ein gemeinsame­s Ziel hat“, sagt Krischer.

Doch die besten Argumente bringen nichts, wenn man sie dem Wähler nicht vermitteln kann. Das hat etwa die Benzinprei­sdebatte gezeigt. Am Ende blieb hängen, dass die Grünen Sprit teurer machen wollen und den sozial Benachteil­igten schaden. Dabei ist die Anhebung des CO

längst von der Bundesregi­erung beschlosse­n.

Wissenscha­ftler Brettschne­ider rechnet damit, dass Union und SPD weiter darauf setzen, die Grünen schlecht zu machen. Sollten Baerbock und Parteichef Robert Habeck deswegen ebenfalls in den Angriffsmo­dus schalten? „Nein“, sagt Brettschne­ider. Zum einen würden sie damit die Stammwähle­r verprellen. Zum anderen löse das bei potenziell­en Wechselwäh­lern Verunsiche­rung aus. „Zwar ist die Integrität von Frau Baerbock derzeit angekratzt. Am Ende entscheide­t aber, welches Thema kurz vor der Wahl dominant war“, sagt der Wissenscha­ftler.

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FOTO: INA FASSBENDER/AFP Wohin führt der Weg der Grünen? Das soll sich auf dem Parteitag inhaltlich entscheide­n.

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