Nervenprobe für Baerbock
Die Grünen stehen vor ihrem Bundesparteitag massiv in der Kritik – Nun drohen auch noch interne Debatten
- Auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende könnte es heftige Debatten geben. Dabei kann Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Revolte gerade nicht gebrauchen.
Für Michael Kellner waren die vergangenen Tage lang, extrem lang. Der Wahlkampfchef der Grünen hatte es mit 3280 Änderungsanträgen für den Parteitag zu tun und musste sortieren, komprimieren, telefonieren. Ab Freitag wollen die Grünen ihr Wahlprogramm bestätigen und Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin wählen. Kellners Arbeit im Vorfeld ist entscheidend. Denn es geht um mehr als um das Wahlprogramm. Die Grünen wollen wenig Konflikte und stattdessen zeigen, wie sie das Land umkrempeln wollen. Es soll ein Feuerwerk der Erfolgsmeldungen werden. Doch stattdessen könnte der Parteitag zur Zerreißprobe werden.
Aus Sicht der politischen Konkurrenz hat der Wettstreit längst begonnen. Union und SPD schlachteten die Fehler der Grünen gnadenlos aus. Davon gab es einige. Erst musste Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Bonuszahlungen nachmelden, dann kamen Ungenauigkeiten im Lebenslauf ans Licht, schließlich gab es noch eine Benzinpreisdebatte, bei der die Grünen einmal mehr den Stempel Verbotspartei aufgedrückt bekamen. Die Grünen mussten zurückrudern und standen plötzlich als Truppe von Dilettanten da.
Zumindest der Diskussion über ihren Lebenslauf wollte Baerbock vor dem Bundesparteitag ein Ende setzen. Sie entschuldigte sich dafür, dass in ihrer Vita falsche Angaben standen. „Das war Mist“, sagte sie. Sie habe ihre Lektion gelernt. Für Bundesgeschäftsführer Kellner war das Thema damit erledigt. „Wir haben einige Fehler gemacht“, gab Kellner zu. Doch: „Annalena Baerbock ist die richtige Kandidatin. Sie steht für Erneuerung“, betonte er. Wie solche Fehler überhaupt passieren konnten, ließ Kellner offen.
Dem Forscher für politische Kommunikation der Universität Hohenheim, Frank Brettschneider, zufolge habe die Partei den Fehler gemacht, sich nach dem furiosen Ergebnis bei der baden-württembergischen Landtagswahl zu sicher zu sein. „Die Grünen dachten wohl, es geht bis zur Bundestagswahl so weiter und waren dann nicht vorbereitet. Sie konnten nicht schnell genug reagieren, als die ersten Probleme auftraten“, sagt Brettschneider. Der Schaden sei doppelt. Jetzt werde nicht über Themen wie den Klimaschutz gesprochen, sondern über Persönliches.
Dabei wollen gerade die Grünen mit Inhalten bei der Wählerschaft punkten. Deshalb soll es am Wochenende um Themen gehen, nicht um Lebensläufe. An Debatten wird es nicht mangeln. Teile der Basis wollen einen Co2-preis von 120 statt 60 Euro, wie es im Wahlprogramm gefordert wird, der Mindestlohn soll nicht zwölf, sondern 13 Euro betragen und der Ausstieg aus dem Verbrenner schon 2025 und nicht 2030 erfolgen.
Eine „verbale Schlacht“erwartet Oliver Krischer trotzdem nicht. „Anders als bei früheren Parteitagen sind die großen Linien klar. Jetzt geht es um viele Detailfragen“, sagt Krischer.
Stimmt das? Die Grünen haben regen Zulauf erfahren. Bei der Bundestagswahl 2017 bestand die Partei aus 60 000 Mitgliedern, nun sind es 115 000. Viele davon sind junge, linke Aktivisten ohne politische Erfahrung und möglicherweise mit wenig Kompromissbereitschaft. Auf der anderen Seite steht die etablierte Spitze, die den Kurs in die Mitte lenken will, um in viele Richtungen anschlussfähig zu sein. Im Hintergrund rumort es, Partei- und Fraktionsmitglieder zittern dem Wochenende entgegen, weil unklar ist, ob es nicht doch zu Revolten kommt. Fraktionsvize Krischer verneint, dass es eine Zerrissenheit in der Partei gebe. „Es geht um ein gemeinsames Ringen um das beste Programm. Der Parteitag wird zeigen, wie geschlossen die Partei ist und dass sie ein gemeinsames Ziel hat“, sagt Krischer.
Doch die besten Argumente bringen nichts, wenn man sie dem Wähler nicht vermitteln kann. Das hat etwa die Benzinpreisdebatte gezeigt. Am Ende blieb hängen, dass die Grünen Sprit teurer machen wollen und den sozial Benachteiligten schaden. Dabei ist die Anhebung des CO
längst von der Bundesregierung beschlossen.
Wissenschaftler Brettschneider rechnet damit, dass Union und SPD weiter darauf setzen, die Grünen schlecht zu machen. Sollten Baerbock und Parteichef Robert Habeck deswegen ebenfalls in den Angriffsmodus schalten? „Nein“, sagt Brettschneider. Zum einen würden sie damit die Stammwähler verprellen. Zum anderen löse das bei potenziellen Wechselwählern Verunsicherung aus. „Zwar ist die Integrität von Frau Baerbock derzeit angekratzt. Am Ende entscheidet aber, welches Thema kurz vor der Wahl dominant war“, sagt der Wissenschaftler.