„Viele Menschen sind ins Schleudern gekommen“
So wirkt sich die Corona-krise auf die regionale Armut in Wangen aus
- Kurzarbeit und weniger Aufträge für Soloselbstständige – die Corona-krise hat viele Menschen hart getroffen. Der Armutsbericht der Bundesregierung zeigt, dass die Pandemie vor allem die unteren Einkommensschichten belastet. Arme Menschen sind auch in der Region stärker betroffen – doch auch neue Gruppen suchen die lokalen Hilfsangebote auf.
So sieht die regionale Arbeitslosigkeit aus
Im Mai dieses Jahres waren laut dem Pressesprecher der Agentur für Arbeit Konstanz-ravensburg, Walter Nägele, im Geschäftsstellenbezirk Wangen 1606 Menschen arbeitslos gemeldet. Die Arbeitslosenquote betrug damals 2,6 Prozent. 2019 lag sie im gleichen Monat bei 2,2 Prozent.
Im gesamten Landkreis Ravensburg waren im Mai 4953 Menschen arbeitslos. Dies entspricht einer Quote von drei Prozent. Vor zwei Jahren lag die Quote dagegen nur bei 2,3 Prozent. Im November letzten Jahres hatten 1053 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, von welcher 8847 Arbeitnehmer betroffen waren.
„Die Corona-krise hat im gesamten Jahresverlauf 2020 zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Seit Jahresbeginn 2021 sind die Zahlen kontinuierlich rückläufig. Der Arbeitsmarkt zeigt sich auf einem relativ stabilen Erholungskurs“, sagt
Nägele. Im Landkreis Ravensburg seien derzeit 2560 offene Stellen gemeldet, im Bezirk Wangen fast 1100.
„Gute Beschäftigungschancen bieten sich beispielsweise It-spezialisten, Fachkräften im Bereich Lager und Logistik sowie in der Zukunftsbranche der Gesundheits- und Pflegeberufe. Gute, zeitgemäße Qualifikationen und Kenntnisse sind der Schlüssel zum Arbeitsmarkt – mehr denn je“, so der Pressesprecher.
Auch für junge Menschen biete der Ausbildungsstellenmarkt in der Region gute Chancen. In Wangen gebe es rund 600 freie Lehrstellen. „Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler jetzt den Kontakt mit der Berufsberatung aufnehmen, um die Weichen für die berufliche Zukunft zu stellen“, empfiehlt Nägele.
Wer zurzeit bei der Caritas Bodensee-oberschwaben Hilfe sucht
Christopher Schlegel, Fachleitung Sucht, Armut und Existenzsicherung der Caritas Bodensee-oberschwaben, sieht im Kreis Ravensburg bisher noch keinen sichtbaren Anstieg von Armut: „In unserem armutsspezifischen Arbeitsbereich gibt es noch keinen signifikanten Anstieg an Fallzahlen. Allerdings nehmen wir wahr, dass es zunehmend komplexe Fallkonstellationen gibt, die einen höheren Beratungsaufwand brauchen.“
Vor der Krise seien meist Personen mit einigen Zahlungsverzügen oder unklaren Finanzsituationen gekommen. Jetzt gebe es viele Anfragen zur Überbrückungshilfe, Kurzarbeit und Sonderzahlungen. „Wir haben jetzt auch Soloselbstständige, die sonst nicht zu unserem Klientel gehören. Viele Menschen sind ins Schleudern gekommen“, sagt Schlegel.
Von der Krise besonders betroffen seien jedoch nicht nur vereinzelte Soloselbstständige, die in Not geraten sind, sondern auch arme Menschen, die vorher schon prekär gewohnt haben. „Wir haben keine komplett neue Zielgruppe. Die Menschen, die sich vorher schon schwergetan haben, trifft es jetzt auch besonders schwer.“Für diese seien die Pandemiefolgen ungleich schwieriger zu bewältigen – vor allem aufgrund beengter Wohnverhältnisse.
Die Ursachen der regionalen Armut würden darin liegen, dass sich die Krise für Arbeiter im Niedriglohnsektor durch Kurzarbeit, Kündigungen und den Wegfall von Minijobs finanziell stark auswirke. Und: „Familien werden mit der Beschulung und anderen Aspekten, die sonst über das Schulsystem geleistet werden, doppelt belastet. Da fallen Strukturen weg, die sonst die Problematik kompensieren.“Ein Beispiel wäre das Mittagessen in der Schulkantine.
Bei der Entwicklung der regionalen Armut in den letzten Jahren stelle er fest, dass ein wachsender Anteil der Arbeitslosen langzeitarbeitslos sei. „Die Dynamik, aus der Langzeitarbeitslosigkeit
wieder herauszukommen, ist eher gebremst. Wir haben einen großen Personenkreis, der sich schwer damit tut.“
Regionale Hilfestellen seien neben der Tafel und Mittagstischen die allgemeine Sozialberatung, bei der Menschen mit unterschiedlichen Anliegen, meist finanziellen Notlagen, geholfen werde. „Unser primäres Ziel ist es, mit den Menschen Hilfeplanungen auf den Weg zu bringen, damit sie dauerhaft aus ihrer prekären Lage kommen.“
Effektive Maßnahmen zur Armutsbekämpfung sind aus seiner Sicht die Bündelung von verschiedenen Leistungsgesetzgebungen für Hilfesuchende. Denn: „Klienten scheitern oft im Irrwald der Leistungsansprüche. Für viele ist es schwierig, wenn sie von einer zur nächsten Behörde geschickt werden und eine Vielzahl von Anträgen ausfüllen müssen.“
Zudem habe er gute Erfahrungen mit dem Langzeitarbeitslosenprogramm des Bundes gemacht. Er wünsche sich dieses als dauerhaftes Instrument der Arbeitsmarktintegration. „Das tut den Menschen auch sozial gut und wir räumen ihnen damit wieder bessere Chancen ein.“
Wie es bei der Tafel in Wangen aussieht
Eine weitere Hilfestelle für unter Armut leidende Menschen in der Region stellen auch die Tafeln im Altkreis Wangen dar, die vom Caritasverband
Bodensee-oberschwaben und dem Kreisverband Wangen des Deutschen Roten Kreuzes getragen werden. Für den Wangener Tafelladen am Buchweg haben ungefähr 100 Haushalte einen Tafelausweis.
Laut der Koordinatorin der Tafel in Wangen, Susanne Pfeffer, gibt es keine vermehrte Anzahl an Kunden, die zur Tafel kommen. Dennoch gebe es eine leichte Verschiebung: „Wir haben zurzeit andere Kunden. Früher waren es viele Flüchtlinge, viele sind jetzt in Lohnarbeit und haben damit keine Berechtigung mehr. Dafür sind andere Menschen dazu gekommen.“
Die Kunden bei der Tafel seien seit der Krise überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund, große Familien und Alleinerziehende. „Die Hürde, zu uns zu kommen, ist nicht ungroß. Für viele Menschen ist es schwierig, sich zu ’outen’. Sie lösen das solange wie möglich anders, etwa durch Einsparungen“, berichtet Pfeffer.
Sie würde sich wünschen, dass die Menschen in Not die Tafeln nicht als Stempel sehen, sondern als Unterstützung für sozial Benachteiligte. Zurzeit sei die Wangener Tafel gut versorgt mit Ehrenamtlichen. Auch die Spendenbereitschaft der Bürger sei groß. „Das ist ein tolles Phänomen, dass so gut weitergegeben wird. Wir haben keine Warennot“, so die Koordinatorin.