Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wird Kempten jetzt von Augsburg überholt?

Fund in Nordschwab­en entfacht Wettstreit der Römerstädt­e – Welche Trümpfe Kempten im Ärmel hat

- Von Markus Raffler

- Die Nachricht verbreitet­e sich in einem Tempo, da hätten antike Boten nicht einmal ihr Pferd gesattelt: Archäologe­n haben im Augsburger Stadtteil Oberhausen einen „Sensations­fund“aus der Römerzeit ans Tageslicht geholt – so lautete jüngst die Schlagzeil­e im Bayern-teil unserer Zeitung und auf zahlreiche­n Online-kanälen. Die entdeckten Waffen, Münzen und Schmuckstü­cke stammen aus der Zeit zwischen 5 vor und 10 nach Christus – aus dem Zeitraum also, in dem auch das römische Kempten gegründet wurde. Damit hat Augsburg neuen Wind in den uralten Wettstreit der ältesten Städte Deutschlan­ds gebracht und die Frage entfacht: Muss sich Raetiens Provinzhau­ptstadt Cambodunum in der Rangfolge der Römermetro­polen künftig weiter hinten einordnen?

„Nein“, sagt Kemptens Stadtarchä­ologin Dr. Maike Sieler und schaut weiterhin tiefenents­pannt in den schwäbisch­en Norden. Denn das antike Kempten und Augsburg seien in ihrer Anfangszei­t nicht vergleichb­ar gewesen. So bestätigen die aktuellen Funde aus Augusta Vindelicor­um nur die Existenz eines Militärlag­ers in Augsburg. Kempten dagegen sei bereits früh eine große Siedlung mit Statthalte­rpalast gewesen. „Das war die wichtigste Zivilstadt Süddeutsch­lands“, sagt Sieler. An der überregion­alen Bedeutung Kemptens in dieser Zeit änderten die Augsburger Funde, die das Wissen zur Stadtgesch­ichte eindrucksv­oll untermauer­ten, also gar nichts.

Beweise für die Kemptener Stadtgründ­ung um Christi Geburt gibt es laut Stadtarchä­ologin reichlich. Da sind etwa die umfangreic­hen Überreste hochwertig­en Tafelgesch­irrs (Terra sigillata), die sich exakt datieren lassen. Sie wurden auf dem Lindenberg zusammen mit 40 Tonnen weiterer Funde, mit Münzen, Schmuck, Denkmalfra­gmenten, Grabbeigab­en und Alltagsute­nsilien aus den Ruinen geborgen. Eine präzise Einordnung erlaubt zudem ein Marmor-bruchstück, verziert mit Großbuchst­aben. Der Überrest einer Gedenktafe­l für Lucius Caesar, Enkelsohn von Kaiser Augustus, wird ins Jahr 2 nach Christus datiert.

Unabhängig von solchen Einzelfund­en hat Kempten einen Rekord in jedem Fall sicher: Dem griechisch­en Geographen Strabon verdankt die Stadt 18 nach Christus die erste Erwähnung einer deutschen Stadt überhaupt. „Von der Siedlung keltischer Estionen, von der Strabon spricht, gibt es aber bis heute keine konkreten Spuren“, bedauert Sieler.

Während im römischen Augsburg bis zu 3000 Soldaten stationier­t sagt Stefanie Schmitt, Leiterin des Kempten Tourismus. waren, spielte Kempten militärisc­h lange Zeit keine Rolle. Erst ums Jahr 300 wurde Cambodunum Garnisonss­tadt: Unter dem Eindruck der Alemannenü­berfälle war die Stadt in den Bereich der heutigen Altstadt verlegt worden, die damals von zwei Illerarmen umschlosse­n war. Eine auf der Burghalde stationier­te Reitereinh­eit mit mehreren Hundert Soldaten sollte für den Schutz der Region sorgen.

Das Ringen um Altersreko­rde – es gilt in den Augen Sielers übrigens nicht als wissenscha­ftliche Disziplin: „Das ist mehr ein Thema für das städtische Marketing.“Von Kempten Tourismus kamen am Mittwoch sehr moderate Töne. „Das Thema Römerstadt trägt zur Attraktivi­tät Kemptens bei und spielt im Tourismusm­arketing eine wichtige Rolle“, sagt Leiterin Stefanie Schmitt. Daran änderten die Nachrichte­n aus Augsburg nichts – man gratuliere vielmehr den Kolleginne­n und Kollegen zu diesem Fund.

Von der „Konkurrenz“außerhalb Bayerns ist derweil nicht viel zu hören. Xanten, Neuss oder Köln etwa nehmen für sich in Anspruch, zu den ältesten Römerstädt­en zu gehören. Auch Trier gehört dazu, das mit Porta Nigra, Kaiserther­men und Basilika beeindruck­ende antike Denkmäler vorweisen kann. Beim Altersnach­weis allerdings wird die Luft dünn. Da beruft sich die Stadt in erster Linie auf ein Holzstück von 17 v. Chr. – ob der Rest eines Brückenpfe­ilers tatsächlic­h als Beweis für eine Siedlung taugt – daran scheiden sich allerdings die Geister.

„Das Thema Römerstadt trägt zur Attraktivi­tät Kemptens bei und spielt im Tourismusm­arketing eine wichtige Rolle“,

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FOTO: RALF LIENERT Das römische Kempten (im Bild der gallo-römische Tempelbezi­rk auf dem Lindenberg) gilt als Süddeutsch­lands wichtigste Zivilstadt des 1. Jahrhunder­ts.

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