Benzin als Brandbeschleuniger
Besserer Klimaschutz ja bitte, höhere Spritpreise nein danke – Ein Stimmungsbild von den Zapfsäulen im Dreiländereck
Die Rentnerin geht äußerst sorgsam mit dem Vehikel an einer Tankstelle auf österreichischer Seite in Hörbranz um: Ihr roter Kleinwagen – ein bejahrter, aber gepflegter Opel – blitzt geradezu auf, wenn sich die Sonne kurz durch den dunklen Wolkenbehang frisst. Sie zieht den Zapfhahn sehr behutsam aus dem Tank, den letzten Tropfen fängt sie mit einem eigens dafür mitgebrachten Lappen auf. Den wirft sie jetzt zurück in den Kofferraum, wo sie auch die Arbeitshandschuhe deponiert, ohne die sie nicht zu tanken pflegt. Dann schließt sie die Heckklappe, auf der ein Lindauer Kennzeichen befestigt ist. Sie rückt ihre über der Maske leicht beschlagene Brille zurecht und sagt: „Ich habe schon sehr lange nicht mehr getankt. Das ist meine Stammtankstelle.“Sie sagt das in einem derart überzeugenden Ton, als wiege dieser schwerer als die noch immer strikten Einreisebestimmungen – Stand Dienstag dieser Woche –, die im Land Vorarlberg noch immer gelten. Die Tankstellenkundin erfüllt die momentanen Kriterien – getestet, geimpft, genesen – zwar nicht, aber: „Ich will doch bloß tanken“, sagt sie mit einem Lächeln und deutet auf die Preistafel. Dort steht für den Diesel, den sie ihrem Opel genehmigt hat, ein Betrag von knapp 1,28 Euro pro Liter. In Lindau, wo die Dame wohnt, sind es knapp 1,40 Euro. Bei den 38 gezapften Litern hat sie genau 4,56 Euro gespart. „Und in Zukunft wird’s noch mehr“, glaubt sie und findet, man müsse mit dem Klimaschutz nicht bei den Kleinen anfangen, sondern bei den Großen. Bei der Industrie, zum Beispiel. Das bisschen Diesel, den ihr Mann und sie noch tanken, damit könne man das Klima eh nicht retten. Und: „Zu verschenken haben wir auch nichts“, daher lohne sich das Tanken in Österreich für sie auf jeden Fall.
Etwas Lustiges zum Thema Spritpreis weiß fast jeder zu erzählen. Zum Beispiel die Geschichte von der schrulligen Tante, der die Benzinpreise gänzlich schnurz sind, weil sie eh immer nur für 20 Euro tankt. Doch im Augenblick ist an den Tankstellen mal wieder Schluss mit lustig. Denn die Preise an den Zapfsäulen haben sich aus den Tiefen der Corona-krise herausgearbeitet, ja herauskatapultiert: Laut ADAC kostete der Diesel im Durchschnitt an deutschen Tankstellen im Mai 2020 1,05 Euro – teilweise sogar unter einem Euro. Aktuell pendelt er in der Region um die Marke von 1,40 Euro. Das verteuert die Füllung eines 45-Litertanks im Vergleich zu den niedrigen Ständen des Vorjahrs um etwa 16 Euro.
16 lautet auch die Zahl, die in der aktuellen Klima-debatte eine besondere Bedeutung hat. Denn um so viele Cent pro Liter möchte Annalena Baerbock den Sprit unabhängig vom Marktgeschehen verteuern. Damit sticht die Kanzlerkandidatin der Grünen in ein Wespennest, das dieser Tage für viel Gebrumm nicht nur in den politischen Lagern sorgt – eine Menge Kommentatoren glauben sogar, dass das Rühren am Spritpreis im tempolimitfreien Deutschland der Autofahrer ein ausgezeichnetes Mittel ist, um sich die eigenen Chancen auf das Kanzleramt zu versauen. Dabei spielt offenbar auch keine Rolle, dass die aktuelle Regierungskoalition aus CDU und SPD mit Blick auf die Klimaziele und die Einführung eines Co2-preises für die schrittweise Verteuerung von Kraftstoffen auch selbst schon gesorgt hat. Baerbocks Vorschlag will die eingeleiteten Schritte lediglich etwas schneller gehen als ohnehin schon beschlossen. Denn während der Co2-preis im Augenblick bei 25 Euro pro Tonne liegt, wird er bis 2025 auf 55 Euro steigen. Das ist Beschlusslage der amtierenden Bundesregierung.
Doch dem inzwischen lautstark zu vernehmenden Wahlkampfgetöse in der Spritpreisfrage zum Trotz: Das Dilemma um die Abwägung zwischen Klima und Mobilität ist so alt wie der Augenblick, als der Mensch erkennen musste, dass Abgase schädlich sind für die Zukunft des Planeten und damit am Ende auch für die Autofahrerinnen und Autofahrer selbst. Wie also umgehen damit? Ist es möglich, die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, ohne an der Preisschraube zu drehen? Und wenn nicht, darf man mit der Spritpreisfrage Wahlkampf machen?
Hermann Englert aus München findet schon diese Fragen unanständig: „Wie wollen Sie’s denn machen, mit dem Klima?“, fragt er mit hörbarer Verärgerung in der Stimme. Der Münchner ist zur Gartenschau nach Lindau gereist und schließt sein Elektrofahrzeug gerade an die E-ladesäule vor der Lindauer Insel an. Augenwischerei sei die Diskussion. „Dämlich“nennt er den grünen Vorstoß mit den 16 Cent pro Liter, so kurz vor den Wahlen. „Auf der anderen Seite sagen die wenigstens, dass es teurer wird. Muss es ja!“Die anderen Parteien täten so, als könne man die Klimaziele zum
Nulltarif erreichen. Englert glaubt aber, dass das eigene Auto am Ende immer gleich viel kosten werde. „Irgendjemand muss ja was dran verdienen. Dann halt nicht mehr mit dem Öl, sondern mit dem Strom. Zum Schluss kommt’s finanziell aufs Gleiche raus.“Seit er vor drei Jahren sein Elektrofahrzeug gekauft habe – einen weißen Renault Zoe – hätten sich die Kosten für den Ladestrom fast verdoppelt. „Da fehlt jetzt nicht mehr viel zum Diesel.“Trotzdem bereue er den Umstieg mit Blick aufs Klima nicht: „Ich habe drei Enkelinnen. Die wollen auch noch was von dieser schönen Welt haben.“Spricht’s – und macht sich mit seiner Frau auf in Richtung blühendes Gartenschaugelände.
Werner Schindele betreibt an acht Standorten Tankstellen – darunter neben Ravensburg unter anderem auch welche jenseits der österreichischen Grenze in Hörbranz. Er winkt bei der Frage ab, ob er denn Umsatzeinbußen fürchtet, wenn höhere Belastungen wie Steuern oder steigende Co2-bepreisung die Spritkosten belasten. „Wissen Sie, es hat schon so oft Änderungen gegeben – und oft ist das dann einfach verpufft.“Die große Unbekannte sei der Ölpreis selbst. Denn wenn der sinke, kompensiere das die anderen Faktoren. „Sie können das gar nicht richtig sagen, wie sich was auswirkt.“Eines weiß Schindele aber ganz gewiss: „Die Coronakrise hat generell dafür gesorgt, dass die Leute weniger unterwegs sind.“Den Einbruch im Umsatz wegen der Grenzschließung zu Österreich nennt der Unternehmer „brutal“, ohne genauer Zahlen zu verraten. Schindele hat vor mehr als 20 Jahren ganz bewusst den Schritt nach Österreich gemacht, um den Umsatz der Tanktouristen nicht zu verlieren. Während Corona sei diese an sich gute und erfolgreiche Idee nicht mehr aufgegangen. Erst müsse sich die gesamte Lage wieder beruhigen, um über künftige Szenarien überhaupt nachdenken zu können, die unter dem Einfluss der Klimapolitik stehen. Aber: Schindele betreibt an mehreren seiner Tankstellen inzwischen auch Ladesäulen für Elektrofahrzeuge.
Die lose Befragung von Kunden an den Zapfsäulen verschiedener Tankstellen zeigt das ganze Dilemma der Klimadebatte. Denn während die meisten durchaus der Meinung sind, dass das Klima unbedingt geschützt werden muss, gehen über das Wie die Meinungen auseinander. Gerade wenn der eigene Geldbeutel dafür ein Stück weiter geöffnet werden soll. Der Spritpreis bestehe ja jetzt schon mehrheitlich aus Steuern, sagt einer, wobei das Tanken ja mit Geld bezahlt werde, auf das ja bereits Einkommensteuer bezahlt worden sei. Ein anderer sagt, wenn das mit dem Klima wirklich so schlimm sei, würde die Regierung Verbrennungsmotoren sofort verbieten. Das zögerliche Handeln der politisch Verantwortlichen wecke nicht nur bei ihm den Eindruck, „so schlimm kann es wohl doch nicht sein“. Und während Autofahrer am Tankbudget besonders schmerzempfindlich zu sein scheinen, findet sich andererseits an jeder roten Ampel mindestens ein Fahrzeug, das beim Warten auf den Zug gar nicht daran denkt, den Motor auszuschalten.
Aber ist es nicht zutiefst ungerecht, Mobilität unabhängig von den Einkommensverhältnissen der Menschen an den Zapfsäulen zu verteuern? Während ein wohlhabender Mensch, der wenig fährt, von höheren Preisen kaum betroffen ist, kann es für einen beruflich aufs Auto angewiesenen Pendler zu einer Wohlstandsfrage werden. „Die politischen Lager haben auf diese Gerechtigkeitsfragen noch keine überzeugenden Antworten geliefert“, sagt Reinhard Merkle, der aus Reutlingen gekommen ist, um am Bodensee ein paar Tage auszuspannen. Der Mittsechziger kann dem Modell der Co2-kontingente viel abgewinnen: „Wenn jeder ein festes Budget hat, das er emittieren darf, kann er dann selber entscheiden, wie er es einsetzt.“Sich etwa einen Flug gönnen, dafür dann aber Elektroauto mit Ökostrom fahren. „Oder er kann sein Budget verkaufen und zu Fuß gehen“, sagt Merkle und lacht.
Dass die Klimadiskussion auch in einem überaus reichen Land wie der Schweiz vor allem eine Frage des Preises ist, legt die Volksabstimmung am kommenden Sonntag nahe: Laut einer aktuellen Umfrage der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG liegen die Befürworter nur noch leicht vor den Gegnern höherer Abgaben für Sprit sowie Flugtickets. Wird das Gesetz angenommen, wird Kraftstoff in der Schweiz um umgerechnet knapp zehn Cent teurer. Ein Kommentator des Senders analysiert: „Das Portemonnaie ist vielen wichtiger als schmelzende Gletscher.“Der Ausgang ist ungewiss. Für Christian Jäggli aus dem Kanton Zürich, der gerade aus der Tankstelle im Schweizer Grenzort Au kommt, ist die Sache klar: „Wenn wir uns das nicht leisten wollen – ja wer denn dann? Ich finde die Diskussion fast unanständig, oder?“An der Preistafel hinter ihm kostet der Liter Diesel umgerechnet 1,67 Euro.