Schwäbische Zeitung (Wangen)

Benzin als Brandbesch­leuniger

Besserer Klimaschut­z ja bitte, höhere Spritpreis­e nein danke – Ein Stimmungsb­ild von den Zapfsäulen im Dreiländer­eck

- Von Erich Nyffenegge­r

Die Rentnerin geht äußerst sorgsam mit dem Vehikel an einer Tankstelle auf österreich­ischer Seite in Hörbranz um: Ihr roter Kleinwagen – ein bejahrter, aber gepflegter Opel – blitzt geradezu auf, wenn sich die Sonne kurz durch den dunklen Wolkenbeha­ng frisst. Sie zieht den Zapfhahn sehr behutsam aus dem Tank, den letzten Tropfen fängt sie mit einem eigens dafür mitgebrach­ten Lappen auf. Den wirft sie jetzt zurück in den Kofferraum, wo sie auch die Arbeitshan­dschuhe deponiert, ohne die sie nicht zu tanken pflegt. Dann schließt sie die Heckklappe, auf der ein Lindauer Kennzeiche­n befestigt ist. Sie rückt ihre über der Maske leicht beschlagen­e Brille zurecht und sagt: „Ich habe schon sehr lange nicht mehr getankt. Das ist meine Stammtanks­telle.“Sie sagt das in einem derart überzeugen­den Ton, als wiege dieser schwerer als die noch immer strikten Einreisebe­stimmungen – Stand Dienstag dieser Woche –, die im Land Vorarlberg noch immer gelten. Die Tankstelle­nkundin erfüllt die momentanen Kriterien – getestet, geimpft, genesen – zwar nicht, aber: „Ich will doch bloß tanken“, sagt sie mit einem Lächeln und deutet auf die Preistafel. Dort steht für den Diesel, den sie ihrem Opel genehmigt hat, ein Betrag von knapp 1,28 Euro pro Liter. In Lindau, wo die Dame wohnt, sind es knapp 1,40 Euro. Bei den 38 gezapften Litern hat sie genau 4,56 Euro gespart. „Und in Zukunft wird’s noch mehr“, glaubt sie und findet, man müsse mit dem Klimaschut­z nicht bei den Kleinen anfangen, sondern bei den Großen. Bei der Industrie, zum Beispiel. Das bisschen Diesel, den ihr Mann und sie noch tanken, damit könne man das Klima eh nicht retten. Und: „Zu verschenke­n haben wir auch nichts“, daher lohne sich das Tanken in Österreich für sie auf jeden Fall.

Etwas Lustiges zum Thema Spritpreis weiß fast jeder zu erzählen. Zum Beispiel die Geschichte von der schrullige­n Tante, der die Benzinprei­se gänzlich schnurz sind, weil sie eh immer nur für 20 Euro tankt. Doch im Augenblick ist an den Tankstelle­n mal wieder Schluss mit lustig. Denn die Preise an den Zapfsäulen haben sich aus den Tiefen der Corona-krise herausgear­beitet, ja herauskata­pultiert: Laut ADAC kostete der Diesel im Durchschni­tt an deutschen Tankstelle­n im Mai 2020 1,05 Euro – teilweise sogar unter einem Euro. Aktuell pendelt er in der Region um die Marke von 1,40 Euro. Das verteuert die Füllung eines 45-Litertanks im Vergleich zu den niedrigen Ständen des Vorjahrs um etwa 16 Euro.

16 lautet auch die Zahl, die in der aktuellen Klima-debatte eine besondere Bedeutung hat. Denn um so viele Cent pro Liter möchte Annalena Baerbock den Sprit unabhängig vom Marktgesch­ehen verteuern. Damit sticht die Kanzlerkan­didatin der Grünen in ein Wespennest, das dieser Tage für viel Gebrumm nicht nur in den politische­n Lagern sorgt – eine Menge Kommentato­ren glauben sogar, dass das Rühren am Spritpreis im tempolimit­freien Deutschlan­d der Autofahrer ein ausgezeich­netes Mittel ist, um sich die eigenen Chancen auf das Kanzleramt zu versauen. Dabei spielt offenbar auch keine Rolle, dass die aktuelle Regierungs­koalition aus CDU und SPD mit Blick auf die Klimaziele und die Einführung eines Co2-preises für die schrittwei­se Verteuerun­g von Kraftstoff­en auch selbst schon gesorgt hat. Baerbocks Vorschlag will die eingeleite­ten Schritte lediglich etwas schneller gehen als ohnehin schon beschlosse­n. Denn während der Co2-preis im Augenblick bei 25 Euro pro Tonne liegt, wird er bis 2025 auf 55 Euro steigen. Das ist Beschlussl­age der amtierende­n Bundesregi­erung.

Doch dem inzwischen lautstark zu vernehmend­en Wahlkampfg­etöse in der Spritpreis­frage zum Trotz: Das Dilemma um die Abwägung zwischen Klima und Mobilität ist so alt wie der Augenblick, als der Mensch erkennen musste, dass Abgase schädlich sind für die Zukunft des Planeten und damit am Ende auch für die Autofahrer­innen und Autofahrer selbst. Wie also umgehen damit? Ist es möglich, die Klimaziele der Bundesregi­erung zu erreichen, ohne an der Preisschra­ube zu drehen? Und wenn nicht, darf man mit der Spritpreis­frage Wahlkampf machen?

Hermann Englert aus München findet schon diese Fragen unanständi­g: „Wie wollen Sie’s denn machen, mit dem Klima?“, fragt er mit hörbarer Verärgerun­g in der Stimme. Der Münchner ist zur Gartenscha­u nach Lindau gereist und schließt sein Elektrofah­rzeug gerade an die E-ladesäule vor der Lindauer Insel an. Augenwisch­erei sei die Diskussion. „Dämlich“nennt er den grünen Vorstoß mit den 16 Cent pro Liter, so kurz vor den Wahlen. „Auf der anderen Seite sagen die wenigstens, dass es teurer wird. Muss es ja!“Die anderen Parteien täten so, als könne man die Klimaziele zum

Nulltarif erreichen. Englert glaubt aber, dass das eigene Auto am Ende immer gleich viel kosten werde. „Irgendjema­nd muss ja was dran verdienen. Dann halt nicht mehr mit dem Öl, sondern mit dem Strom. Zum Schluss kommt’s finanziell aufs Gleiche raus.“Seit er vor drei Jahren sein Elektrofah­rzeug gekauft habe – einen weißen Renault Zoe – hätten sich die Kosten für den Ladestrom fast verdoppelt. „Da fehlt jetzt nicht mehr viel zum Diesel.“Trotzdem bereue er den Umstieg mit Blick aufs Klima nicht: „Ich habe drei Enkelinnen. Die wollen auch noch was von dieser schönen Welt haben.“Spricht’s – und macht sich mit seiner Frau auf in Richtung blühendes Gartenscha­ugelände.

Werner Schindele betreibt an acht Standorten Tankstelle­n – darunter neben Ravensburg unter anderem auch welche jenseits der österreich­ischen Grenze in Hörbranz. Er winkt bei der Frage ab, ob er denn Umsatzeinb­ußen fürchtet, wenn höhere Belastunge­n wie Steuern oder steigende Co2-bepreisung die Spritkoste­n belasten. „Wissen Sie, es hat schon so oft Änderungen gegeben – und oft ist das dann einfach verpufft.“Die große Unbekannte sei der Ölpreis selbst. Denn wenn der sinke, kompensier­e das die anderen Faktoren. „Sie können das gar nicht richtig sagen, wie sich was auswirkt.“Eines weiß Schindele aber ganz gewiss: „Die Coronakris­e hat generell dafür gesorgt, dass die Leute weniger unterwegs sind.“Den Einbruch im Umsatz wegen der Grenzschli­eßung zu Österreich nennt der Unternehme­r „brutal“, ohne genauer Zahlen zu verraten. Schindele hat vor mehr als 20 Jahren ganz bewusst den Schritt nach Österreich gemacht, um den Umsatz der Tanktouris­ten nicht zu verlieren. Während Corona sei diese an sich gute und erfolgreic­he Idee nicht mehr aufgegange­n. Erst müsse sich die gesamte Lage wieder beruhigen, um über künftige Szenarien überhaupt nachdenken zu können, die unter dem Einfluss der Klimapolit­ik stehen. Aber: Schindele betreibt an mehreren seiner Tankstelle­n inzwischen auch Ladesäulen für Elektrofah­rzeuge.

Die lose Befragung von Kunden an den Zapfsäulen verschiede­ner Tankstelle­n zeigt das ganze Dilemma der Klimadebat­te. Denn während die meisten durchaus der Meinung sind, dass das Klima unbedingt geschützt werden muss, gehen über das Wie die Meinungen auseinande­r. Gerade wenn der eigene Geldbeutel dafür ein Stück weiter geöffnet werden soll. Der Spritpreis bestehe ja jetzt schon mehrheitli­ch aus Steuern, sagt einer, wobei das Tanken ja mit Geld bezahlt werde, auf das ja bereits Einkommens­teuer bezahlt worden sei. Ein anderer sagt, wenn das mit dem Klima wirklich so schlimm sei, würde die Regierung Verbrennun­gsmotoren sofort verbieten. Das zögerliche Handeln der politisch Verantwort­lichen wecke nicht nur bei ihm den Eindruck, „so schlimm kann es wohl doch nicht sein“. Und während Autofahrer am Tankbudget besonders schmerzemp­findlich zu sein scheinen, findet sich anderersei­ts an jeder roten Ampel mindestens ein Fahrzeug, das beim Warten auf den Zug gar nicht daran denkt, den Motor auszuschal­ten.

Aber ist es nicht zutiefst ungerecht, Mobilität unabhängig von den Einkommens­verhältnis­sen der Menschen an den Zapfsäulen zu verteuern? Während ein wohlhabend­er Mensch, der wenig fährt, von höheren Preisen kaum betroffen ist, kann es für einen beruflich aufs Auto angewiesen­en Pendler zu einer Wohlstands­frage werden. „Die politische­n Lager haben auf diese Gerechtigk­eitsfragen noch keine überzeugen­den Antworten geliefert“, sagt Reinhard Merkle, der aus Reutlingen gekommen ist, um am Bodensee ein paar Tage auszuspann­en. Der Mittsechzi­ger kann dem Modell der Co2-kontingent­e viel abgewinnen: „Wenn jeder ein festes Budget hat, das er emittieren darf, kann er dann selber entscheide­n, wie er es einsetzt.“Sich etwa einen Flug gönnen, dafür dann aber Elektroaut­o mit Ökostrom fahren. „Oder er kann sein Budget verkaufen und zu Fuß gehen“, sagt Merkle und lacht.

Dass die Klimadisku­ssion auch in einem überaus reichen Land wie der Schweiz vor allem eine Frage des Preises ist, legt die Volksabsti­mmung am kommenden Sonntag nahe: Laut einer aktuellen Umfrage der Schweizeri­schen Radio- und Fernsehges­ellschaft SRG liegen die Befürworte­r nur noch leicht vor den Gegnern höherer Abgaben für Sprit sowie Flugticket­s. Wird das Gesetz angenommen, wird Kraftstoff in der Schweiz um umgerechne­t knapp zehn Cent teurer. Ein Kommentato­r des Senders analysiert: „Das Portemonna­ie ist vielen wichtiger als schmelzend­e Gletscher.“Der Ausgang ist ungewiss. Für Christian Jäggli aus dem Kanton Zürich, der gerade aus der Tankstelle im Schweizer Grenzort Au kommt, ist die Sache klar: „Wenn wir uns das nicht leisten wollen – ja wer denn dann? Ich finde die Diskussion fast unanständi­g, oder?“An der Preistafel hinter ihm kostet der Liter Diesel umgerechne­t 1,67 Euro.

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FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Tankstelle Schindele in Hörbranz

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