Zwischen Großzügigkeit und „Narretei“
G7-staaten spenden eine Milliarde Corona-impfdosen – Kritiker fordern Patentfreigabe
- Wie kann sich die Weltwirtschaft möglichst rasch von der katastrophalen Corona-pandemie erholen, ohne in klimaschädliche Verhaltensweisen zurückzufallen? Die Frage stand am Freitag im Mittelpunkt der Beratungen auf dem G7gipfel in Cornwall. Gemeinsam verpflichteten sich die wichtigsten westlichen Industrienationen auf die Finanzierung und Produktion von einer Milliarde Dosen Impfstoff bis Mitte nächsten Jahres – ein Plan, den Hilfsorganisationen heftig als „zu wenig und zu spät“kritisierten.
Das persönliche Stelldichein im atlantischen Seebad Carbis Bay markiert die Rückmeldung der USA als westlicher Führungsmacht unter dem neuen Präsidenten Joe Biden.
Aus den vorbereitenden Runden zum Gipfel berichteten Teilnehmer in den vergangenen Tagen, die Stimmung sei „sehr, sehr gut“gewesen, weil nach der Abwahl von Ex-uspräsident Donald Trump gemeinsame Politik überhaupt erst wieder möglich werde. Die Gruppe großer, demokratischer Volkswirtschaften wolle Handlungsfähigkeit beweisen und dem Rest der Welt ein „attraktiveres Angebot“machen.
Ohne dass der Name je genannt wird, zielt der Vergleich vor allem auf die weltpolitischen Rivalen China und Russland, die in den vergangenen Monaten durch „Impf-diplomatie“Sympathien erworben haben.
Dem wollen die Demokratien durch großzügige Spenden an das Unimpfprogramm Covax entgegentreten. Präsident Biden kündigte den Ankauf von 500 Millionen Dosen des Biontech-pfizer-vakzins an und sagte, man werde die Spenden an rund 100 Entwicklungsländer „nicht an Konditionen knüpfen“.
Doch noch reichen die Versprechen der G7 nicht aus, um den Bedarf zu decken. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind elf Milliarden Impfdosen nötig – oder zumindest acht Milliarden, um für eine Herdenimmunität 80 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen zu impfen. Weniger als ein Prozent der Impfungen weltweit sind bisher Menschen in ärmeren Ländern verabreicht worden.
Gesundheits- und Entwicklungsorganisationen kritisierten das Versprechen der Industrienationen daher als unzureichend. Wichtig sei der Aufbau von Arzneimittel-fabriken in den Empfängerländern, dazu gehöre auch die Freigabe von Patenten für die begehrten Impfstoffe. Dagegen sträubt sich die deutsche Kanzlerin Merkel, unterstützt von Großbritanniens Premier Johnson, mit aller Macht. Zur nötigen Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen gehöre Patentschutz.
Die Bundesregierung ist zwar einer der großzügigsten Spender und hat eine Milliarde Euro für Covax sowie 30 Millionen Impfdosen bis Ende des Jahres versprochen. Wie andere reiche Länder beharrt Kanzlerin Angela Merkel aber darauf, zuerst der eigenen Bevölkerung das Angebot einer Impfung zu machen.
Die Weltgesundheitsorganisation hätte es gerne anders. Sie sieht es als unmoralisch an, dass reiche Länder gesunde Jüngere impfen, während in armen Ländern selbst Pflegepersonal, das sein Leben für Covid-kranke aufs Spiel setzt, weiter auf die Impfung warten müsse.
Die unzureichenden Bemühungen der G7-staaten stellten „eine ökonomische Narretei, moralisches Versagen und eine diplomatische Katastrophe“dar, schimpft das Wirtschaftsmagazin „Economist“. Stattdessen sollte sich die industrialisierte Welt dazu verpflichten, die Kosten von geschätzt 50 Milliarden Dollar zur Impfung von 70 Prozent der Weltbevölkerung zu übernehmen.
Wie für den neuen amerikanischen Präsidenten stellt der Gipfel in Cornwall auch für den Gastgeber Johnson eine wichtige Bewährungsprobe auf dem weltpolitischen Parkett dar. Das anglo-amerikanische Duo betonte zuletzt seine Eindämmungspolitik gegenüber dem kommunistischen Regime in Peking; hingegen mahnte Gipfel-routinier Angela Merkel zu Beginn ihres letzten G7-treffens, wichtige Probleme der Welt ließen sich nur „gemeinsam mit China“lösen.
Das gilt nicht zuletzt für die zukünftige Besteuerung weltweit agierender Konzerne. Dafür schlägt das westliche Bündnis eine weltweit gültige Steuer auf digitale Dienstleistungen sowie die Mindestbesteuerung auf Gewinne von 15 Prozent vor. Seit die G7-finanzminister sich am vergangenen Wochenende auf den Deal einigten, macht ausgerechnet Großbritannien durch heftiges Lobbying für eine Ausnahmeregel zugunsten der starken Finanzindustrie von sich reden.
Am späten Nachmittag und Abend gesellte sich zur politischen Prominenz ein wenig royaler Glanz. Dem Empfang im berühmten Botanischen Garten des Eden-projekts präsidierte Königin Elizabeth II. persönlich, unterstützt von ihrem Enkel Prinz William und dessen Frau Catherine. Beim Dinner, bestehend aus Melonen-gazpacho, Steinbutt und Erdbeertörtchen, fungierte anstelle seiner 95-jährigen Mutter der Thronfolger Charles als Gastgeber.
Der seit Jahrzehnten als Öko-aktivist bekannte Prinz hatte zuvor den Staatsgästen seine Initiative zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vorgestellt, dabei unterstützt durch eine Gruppe von Leitern international aufgestellter Unternehmen. Nur in der Kombination aus staatlichen und privaten Investitionen könne die Welt den Kampf für Klimaschutz und biologische Vielfalt gewinnen, mahnte der 72-Jährige: „Wenn wir die Innovation und Finanzkraft des Privatsektors nicht effektiver einsetzen, haben wir keine Chance.“