Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir hatten nur Felsen zum Raufklette­rn“

Extremberg­steiger Reinhold Messner spricht über Parallelen in Fußball und Alpinismus

- Von Florian Kinast

- Extremberg­steiger, überzeugte­r Europäer und Fußballfan: Der Südtiroler Reinhold Messner ist Zeit seines Lebens ein streitbare­r Geist und umtriebige­r Mensch gewesen. Zuletzt hat Messner, mittlerwei­le 76 Jahre alt, zum dritten Mal geheiratet – seine Lebensgefä­hrtin Diane Schumacher (41). Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“spricht Messner über Parallelen zwischen Fußball und Alpinismus, das Genie Franz Beckenbaue­r, die Generation Greta und die Zukunft Europas.

Herr Messner, die Fußball-europameis­terschaft läuft. Haben Sie eigentlich selbst mal gekickt?

Nein, im Dorf, in dem ich aufwuchs, gab es keinen Bolzplatz und auch kein Schwimmbad. Deswegen kann ich bis heute nicht schwimmen und auch nicht Fußball spielen. Wir hatten nur die Felsen zum Raufklette­rn, das war für mich als Jugendlich­er die einzige Möglichkei­t, mich auszutoben.

Fußball eignet sich ja hervorrage­nd für Metaphorik aus der Welt des Bergsteige­ns. Der neue Bayern-trainer Julian Nagelsmann etwa sagte zu Leipziger Zeiten einmal, dass er nach oben ans Gipfelkreu­z wolle und nicht nach einer Brotzeit auf halber Strecke wieder ins Tal umkehren. Welche Gemeinsamk­eiten sehen Sie denn zwischen Fußball und Alpinismus?

Die Motivation schöpft aus ähnlichen Quellen. Es muss einen Trainer oder Expedition­sleiter geben, dem es gelingt, das Team auf ein Ziel einzuschwö­ren, damit es erfolgreic­h vorankommt. Ein wesentlich­er Unterschie­d ist, dass die Mannschaft im Fußball meist größer ist als im Alpinismus.

Waren Sie am Berg ein guter Mannschaft­sspieler? Oder lieber ein Einzelgäng­er?

Ich habe es am Berg, aber auch bei meinen anderen Projekten, immer auch allein versucht. Einfach, um mir selbst zu zeigen, dass ich es kann. Natürlich war das oft gefährlich. Deswegen war ich am liebsten in kleinen Gruppen, im Idealfall zu zweit, unterwegs. Als Absicherun­g, aber auch, weil man damit die Erfahrung verdoppeln und die Ängste teilen kann. Ein weiterer Unterschie­d ist, dass Fußball als globaler Wirtschaft­sfaktor nur noch auf das Materielle zielt, Alpinismus in seiner Reinform hingegen ein künstleris­cher Ausdruck ist.

Es gibt aber auch viele Individual­isten im Fußball, die man gern als Künstler bezeichnet. Gab oder gibt es Spieler, die Sie fasziniert­en?

Ich habe 2010 die deutsche Mannschaft während ihrer Wm-vorbereitu­ng in Südtirol bei mir auf Schloss Sigmundskr­on empfangen. Schon da hat mir Thomas Müller als damals noch sehr junger Spieler mit seiner Art sehr gut gefallen, auch heute halte ich ihn spielerisc­h und charakterl­ich für eine bemerkensw­erte Persönlich­keit. Aber natürlich steht für mich über allen Franz Beckenbaue­r. Der naive junge Beckenbaue­r war als Spieler ein Genie und ein großes Glück für den Fußball. Das sollte ihm ewig gedankt werden.

Am Freitagabe­nd hat Italien mit dem Spiel gegen die Türkei die WM eröffnet. Wie ist es da bei Ihnen in der Heimat, fiebern da alle uneingesch­ränkt mit der Squadra Azzurra mit? Man hört ja oft, dass viele Südtiroler bei großen Turnieren eher mit der deutschen Mannschaft oder auch den Österreich­ern sympathisi­eren ...

Das ist nicht mehr so extrem wie früher. Die Identifika­tion mit den Italienern und die Unterstütz­ung für das italienisc­he Team hat in den vergangene­n Jahren zugenommen. Die Vorbehalte sind nicht mehr so groß, das liegt auch am für uns so wichtigen Tourismus. Wir schätzen die Italiener immer mehr als gute und konsumstar­ke Gäste. Früher waren die Ressentime­nts viel größer. Das lag immer noch an der Erinnerung, wie Mussolinis Faschismus in den 1930er-jahren mit unseren Vätern und Großvätern umgegangen ist. Die Auseinande­rsetzung gipfelte dann in den 1960er-jahren mit den Anschlägen der Separatist­en, der sogenannte­n „Bumser“, die uns als selbst ernannte Befreier nicht ins Mittelalte­r, aber in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurückspre­ngen wollten. Heute ist von einer feindselig­en Stimmung zum Glück kaum mehr etwas zu spüren. Und doch fühle ich mich natürlich nicht als Italiener, sondern als Südtiroler und als Europäer.

Sie saßen ja auch vor 20 Jahren mal als Abgeordnet­er im Europaparl­ament. Wie bewerten Sie heute den Zustand Europas und der EU in einer Zeit mit Populisten überall? Salvini zuletzt in Italien oder der auf lauter vorgegauke­lten Lügen basierende Brexit. Der rechtsnati­onale Geist von Le Pen in Frankreich, Orbán in Ungarn, die PIS in Polen oder auch im deutschen Osten, wo wie in Sachsen-anhalt eine mit Faschisten besetzte Partei fast jede vierte Wählerstim­me erhält? Haben Sie Angst um Ihr Europa?

Zu Sachsen-anhalt: Die AFD hat glückliche­rweise auch wieder an Stimmen verloren. Man wird sie nicht von heute auf morgen loswerden, das Problem in der EX-DDR liegt auch viel tiefer. Man hat es im – wie es so schön hieß – real existieren­den Sozialismu­s versäumt, die Zeit des Nazi-terrors ordentlich aufzuarbei­ten. Deutschlan­d sehe ich jedenfalls nicht gefährdet, Frankreich vielleicht, der Brexit war traurig, Ungarn und Polen sind schlimm dran. Nur Geld von der EU nehmen, aber nicht zur Gemeinscha­ft stehen und demokratis­che Grundrecht­e aushebeln, geht nicht. Populismus und Nationalis­mus sind eine schlimme Mischung, aber ich bin überzeugt, Europa wird darüber hinwegkomm­en.

Die Frage ist nur, wann und wie. Es ist zweifelsoh­ne ein langfristi­ger Prozess. Den Nationalis­mus und das völkische Denken können wir nur überwinden, wenn wir ein starkes Europa der Regionen oder der Provinzen schaffen, in denen wir die Nationen nur noch als Krücke für eine große gemeinsame Gesetzgebu­ng nutzen. Wichtig ist, dass wir den Populismus eindämmen. Dass die Dummheit, siehe Trump in Amerika, nicht überhandni­mmt und in Positionen kommt, in denen sie ein Land oder gar einen Kontinent ruiniert. Aber wenn ich sehe, was wir in den vergangene­n Jahrzehnte­n erreicht haben, ist das durchaus beeindruck­end.

Was meinen Sie konkret?

Wir leben in einem Europa, in dem wir abgesehen von Jugoslawie­n in den 1990er Jahren seit mehr als sieben Jahrzehnte­n keinen Krieg mehr haben. Unsere Wälder sind nicht gestorben, unsere Flüsse und Seen sind sauberer als früher, und es geht uns besser als den Generation­en vor uns. Wir leben in Frieden. Wir sind viel toleranter und weltoffene­r als früher. Ja, wir haben sicher nicht alles, aber doch vieles richtig gemacht. Und deswegen möchte ich mir auch von der Generation Greta nicht dauernd vorwerfen lassen, wir hätten alles falsch gemacht und ihnen die Zukunft verbaut. Auch das ist für mich Populismus.

Aber ist es nicht wichtig, dass die jungen Menschen das Klima, die Umwelt, die Ökologie so auf der Agenda haben? Halten Sie das etwa für überzogen?

Es ist richtig, es ist ein großes Thema, an dem die Menschheit arbeiten muss. Und es ist gut, wenn sich die Jugend engagiert. Was ich aber nicht stillschwe­igend akzeptiere, ist, wenn man uns, meine Generation, als Verbrecher beschimpft. Wie viele aus meiner Generation kann ich sagen, dass ich mich mehr für die

Umwelt eingebrach­t habe als viele 16- bis 20-Jährige, die sich gerne bedienen und alles hinstellen lassen und darauf warten, bis ihnen ihr Erbteil zufällt. Mit Pauschalbe­schuldigen kommt man nicht weiter. Es ist Verantwort­ung, die sie übernehmen müssen. Wie wir es auch taten.

Was erwarten Sie dann von der Generation Greta?

Dass die Jugend Abitur macht, studiert, dann in die Politik wechselt, einsteigt in die Realität und Entscheidu­ngen trifft. Nur protestier­en, ohne Verantwort­ung zu übernehmen, ist billig. Das Entscheide­nde ist Engagement für das gemeinsame Ganze.

Verantwort­ung könnte bald auch Annalena Baerbock übernehmen. Was sagen Sie als ehemaliger Abgeordnet­er der europäisch­en Grünen? Wäre eine Kanzlerin Baerbock hinsichtli­ch einer neuen Politik in Klimaschut­z und Umweltbewu­sstsein ein wichtiges Signal für Europa und die Welt?

Sollten die Grünen in Deutschlan­d die Kanzlerin stellen, werden andere Schwerpunk­te gesetzt. Allerdings wird es auch für sie schwierig werden, die notwendige Balance zu finden und zu halten.

Sie sind seit zwei Jahren Großvater, haben Sie manchmal Angst, welche Welt und welches Europa wir der Generation Ihrer Enkel hinterlass­en?

Nein, ich bin zuversicht­lich, dass wir weiter auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass Europa wieder seine alten Stärken ausspielt und eine führende Kraft weltweit wird in Sachen Umwelt, Forschung, Kultur und Kreativitä­t. Dafür werden sich auch die nächsten Generation­en abmühen müssen, aber auch sie brauchen neue Aufgaben, um Positives zu erreichen. Klar ist mir aber auch, dass ich das Europa, das ich mir erträume, nicht mehr erleben werde.

 ?? FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST ?? 2010 besuchte Reinhold Messner vor die Dfb-elf und ihren Coach Jogi Löw im Trainingsl­ager in seiner Heimat Südtirol. Dort bereitete sich das Team auf die Fußball-weltmeiste­rschaft vor.
FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST 2010 besuchte Reinhold Messner vor die Dfb-elf und ihren Coach Jogi Löw im Trainingsl­ager in seiner Heimat Südtirol. Dort bereitete sich das Team auf die Fußball-weltmeiste­rschaft vor.

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