Der ewig junge Abenteurer
Warum die Film-reihe „Indiana Jones“trotz aller Mängel weiter fasziniert
(KNA) - Im Juni 1981 ging der Archäologe und Abenteurer Indiana Jones, gespielt von Harrison Ford, erstmals auf die Suche nach einem magischen Artefakt; vier Jahrzehnte später ist der Mann mit Hut und Peitsche immer noch eine populäre Ikone. Teil 5 soll 2022 starten.
„Ein passendes Ende für die Bestrebungen ihres Lebens. Sie werden diesen Fund dauerhaft ergänzen. In tausend Jahren sind vielleicht selbst Sie etwas wert.“So spottet einer von Indiana Jones’ zahllosen Widersachern in „Jäger des verlorenen Schatzes“(1981), kurz bevor er den Archäologen und Abenteurer in einer Gruft zurücklässt. Natürlich entkommt der Held diesem düsteren Schicksal. Ihn erwarten noch zahllose Abenteuer.
Und dennoch ist der große Jäger archäologischer Kostbarkeiten, wie von seinem Gegenspieler vorhergesagt, selbst längst zum Artefakt geworden. Nicht erst ein Jahrtausend, sondern nicht mal 40 Jahre haben ausgereicht, aus ihm eine Ikone zu machen. Er ist eine dieser Figuren der Popkultur, die man schon an der Silhouette erkennt. Mensch und Symbol gleichermaßen. Schon im ersten Film zeigte ihn Regisseur Steven Spielberg immer wieder als unverkennbaren Schattenriss mit Hut und Peitsche.
Zu „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“schrieb eine Kritikerin treffend: „In den 1920er- und 1930erjahren sprach man von Kunst als Ersatz für Religion; heute sind B-movies ein Ersatz für Religion.“Und natürlich sind die heutigen Blockbuster gewaltig aufgeblähte B-filme – Multiplex trifft Mega-church.
Man muss wohl nicht mehr detailliert nacherzählen, worum es in den vier zwischen 1981 und 2008 veröffentlichten Filmen geht. Es ist ja auch immer dieselbe Geschichte, minimal variiert. Ein Schatz, der nicht in die falschen Hände fallen darf: erst die Bundeslade, dann die Shankara-steine, der Heilige Gral und zuletzt ein mystischer Kristallschädel. Auf dem Weg dorthin: Feinde und Begleiter, Fallen, Verfolgungsjagden, Exotisches.
Jones braucht dringend Nazis, Kommunisten und irrsinnige Blutpriester, um im Kontrast zu ihnen als Held zu glänzen. Seine Feinde werden von Rotoren zerfetzt, zerquetscht, gesprengt, zermalmt, von Krokodilen und Ameisen gefressen, erschossen, mit Grillspießen erstochen, erhängt und in Alien-portale gesaugt. Wohldosierte Grausamkeiten. Das verbindet Spielberg mit Walt Disney: Ein klares Bewusstsein dafür, dass gerade die vermeintlich harmlose Familienunterhaltung
oft das Abgründige und Schockierende braucht.
Jahrzehntelang galt der Regisseur aus Cincinnati einem erheblichen Teil der Filmkritik als eine Art Antichrist. Die Dekade des düsteren, zornigen New Hollywoods war vorbei und Wellen von aggressiv-sorglosem Spielzeugkino spülten über die Leinwände. Filmemacher wie George Lucas und Steven Spielberg galten als Rückschritt mit Ansage, Wegbereiter und wichtige Figuren des Reagan-kinos.
Man kann immer nur spekulieren, aber es ist nicht abwegig anzunehmen, dass bestimmte Bilder und Klischees ohne den Welterfolg von Indiana Jones heute nicht denselben Resonanzraum in der Popkultur hätten. Die grotesken Karikaturen, in die Chinesen, Inder, Peruaner, Ägypter und eigentlich alle Nicht-amerikaner verwandelt werden, waren nie unschuldig. Sie waren kalkuliert, letztlich die Voraussetzung und Existenzgrundlage der Reihe. America first: Endlich wieder jemand sein nach Watergate und Vietnam.
Früher als die meisten brachte die Filmreihe auch das hervor, was der Filmkritiker Matt Singer später als „Legacyquel“bezeichnete. Eine Fortsetzung, die dem Publikum gleichzeitig eine neue, jüngere Hauptfigur vorstellen will. Doch wie so oft scheiterte auch hier die Übergabe der Fackel von einer Generation zur nächsten. Ein anvisierter Film mit der von Shia Labeouf gespielten Figur Mutt aus „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“in der Hauptrolle ist bis heute nicht erschienen. Jetzt muss der fast 80-jährige Harrison Ford noch einmal ran.
Natürlich ist es schwer, diese Art von Blockbuster zu kritisieren, weil sie im vorauseilenden Gehorsam jeden möglichen Kritikpunkt selbst formulieren. Alles, was Kritiker oder Fans bemängeln, wird irgendwann in den Filmen selbst kommentiert. Und immer auf eine Weise, die diese Kritik einhegt und neutralisiert. Im dritten Teil darf Jones sich von einem Feind anhören, nicht die Schätze, sondern er gehöre in ein Museum. Man schreibt das ins Drehbuch, damit es die Zuschauer nicht mehr sagen müssen.
Indiana Jones ist im Kern ein ungemein langweiliger Held. Noch seine größte Reaktion wirkt träge und stoisch; Harrison Ford spielt ihn mit einem existenziellen Desinteresse. Mit kosmischer Teilnahmslosigkeit. Aber letztlich lassen die Dinge ihn kalt, sie dringen kaum zu ihm durch.
Gleich mehrfach wird er mit göttlichen Mächten konfrontiert, mit den höchsten Wesenheiten verschiedenster Religionen von Judentum bis Hinduismus. Indy sieht Aliens, trifft auf Adolf Hitler. Er durchlebt Dinge, die jeden anderen Menschen für immer verändern würden. Gerade für einen Wissenschaftler sollten sie essenziell sein; jede einzelne wäre die Krönung eines forschenden Lebens. Er entkommt Hunderte Male dem Tod, er tötet Hunderte Menschen. Doch das ist alles egal, für ihn wie für den Zuschauer. Die Jones-filme sind erfüllt von einem kuriosen Nihilismus.
Natürlich ist Steven Spielberg ein begabter Handwerker. Außerdem umgibt er sich mit anderen begabten Handwerkern. Spielbergs Bilder sind von bemerkenswerter Klarheit. Er weiß, wie er Ereignisse auf eine schlichte Kamerabewegung reduziert. Ein Messer wird gezogen, die Kamera fährt hinauf zu zwei gezückten Pistolen, die Lage ist klar. Das meiste würde man wohl auch verstehen, ohne die Dialoge zu hören.
Doch das allein erklärt nicht, warum sein indifferentes, infantilisierendes Rummelplatz-kino heute oft selbst wie ein heiliger Gral behandelt wird. Tausende kluge Köpfe haben sich zu hymnischen Apologien aufgeschwungen, und dabei eigentlich immer nur ihre Kindheit besungen. Man kann sich auch zu sehr am Poptimismus der Gegenwart berauschen.
Nein, Indiana Jones gehört nicht in ein Museum. Wir sollten uns für ihn höchstens so sehr interessieren wie er für die Welt. Indiana Jones, dieser angebliche Archäologe, will Zeit und Geschichte nicht ordnen oder dokumentieren, sondern uns von ihrer Last befreien. Und wenn es keine Geschichte mehr gibt, macht endlich die Zeit allein die Dinge wertvoll.