Die Schillerstraße – ein Drama in bislang drei öffentlichen Akten
Die Schillerstraße. Diese kleine, an den großen Dichter erinnernde Straße in der Wangener Kernstadt steht seit einigen Monaten im Mittelpunkt eines Dramas von drei öffentlichen Akten – und weiteren Ränkespielen hinter den Kulissen. Und sie ist Beispiel eines Kardinalproblems, wenn es in Wangen ums Neubauen in gewachsenen Siedlungen geht. Denn die Straße ist quasi Abziehbild für einen in Wangen währenden Grundkonflikt.
Und der lautet, vereinfacht gesagt, so: Ein Gebäude in einer Siedlung ist baufällig, wird vererbt oder wechselt auf anderem Weg den Besitzer. Die neuen Eigentümer wollen Neues errichten – und stoßen auf massive Widerstände in der Nachbarschaft: Zu klobig ist der geplante Bau, deshalb passt er nicht in die Gegend. Und zu hoch ist er sowieso, denn er ruiniert die schöne Aussicht. Der Engelberg und die Bregenzer Straße lassen grüßen.
Menschlich sind diese Einwände nachvollziehbar. Weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und vielfach Veränderungen skeptisch sieht, gerade wenn sie vor der eigenen Haustür passieren sollen. Natürlich ist es Geschmackssache, wenn moderne Architektur auf historische Gemäuer zu prallen droht – angesichts derzeit generell angesagter Baustile ganz besonders. Und selbstverständlich ist auch nachvollziehbar, dass niemand gern Beton vor die Nase gesetzt bekommen will und dafür auf die bislang so schöne Aussicht verzichten muss.
Dennoch sollten diese Beweggründe bei der Entscheidung, ob in der Schillerstraße neu gebaut werden darf, keine Rolle (Aussicht) oder nur eine – wenn auch wichtige – von vielen (Baustil) spielen. Denn es geht bei diesem und anderen Beispielen in der Stadt zuvorderst um anderes: die Schaffung dringend benötigten neuen Wohnraums – ohne auf Freiflächen zurückgreifen zu müssen. Auch dann, wenn gewiss ist, dass die neuen
Wohnungen ganz sicher nicht zum Sozialtarif zu haben sind.
Deshalb ist es richtig, dass die Mehrheit des Gemeinderats im bislang letzten von drei Akten zur Schillerstraße die Rolle rückwärts gewagt und das pauschale Stopp-schild für die Pläne des Bauherrn entfernt hat. Sicher, die CDU hatte gute Argumente, auf die Vorgaben des noch in den Kinderschuhen steckenden Bebauungsplans zu warten. Denn klar ist: Erhält der Bauherr für sein Projekt in der Schillerstraße die Genehmigung, schlägt diese schwer verrückbare Pflöcke ein, was Vorgaben etwa für die Immelmannstraße oder den Kneippweg angeht.
Angesichts genereller Zähigkeit von Bebauungsplanverfahren wäre dies dennoch unverhältnismäßig gewesen – zumal die künftigen Vorgaben für das Quartier sicher strittig sein werden, was die Prozedur nochmals in die Länge zieht. Denn letztlich hat der Bauherr nachgebessert und sein Plan macht jetzt – dem ersten Augenschein nach – einen städtebaulich gefälligeren Eindruck als die Ursprungsfassung. Und wer sich über diese echauffiert, müsste dies über bereits errichtete Neubauten in der Nachbarschaft ebenfalls tun.
Mit dem Entfernen des Stoppschilds allein ist es aber nicht getan. Die Stadt wäre gut beraten, tatsächlich ernsthaft und einigermaßen zügig an den generellen Bauleitlinien für das Quartier zu arbeiten. Denn sonst kommt wirklich der Eindruck auf, den Gol-fraktionschef Tilman Schauwecker verhindert sehen will, dass das im Herbst eingeleitete Verfahren eine „Lex Schillerstraße 24“wird.
Dann aber wäre das Drama garantiert um einen weiteren Akt reicher – und zwar um einen unrühmlichen. Dabei zeigen Schillerstraße und Vergangenheit, dass die Ursache dieses Wangener Kardinalproblems in vielfach gänzlich fehlenden oder uralten Bebauungsplänen liegt. Zumindest in diesem Quartier könnte es behoben werden.