Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn der Kinderwuns­ch teuer wird

Eine künstliche Befruchtun­g kann tausende Euro kosten - Ein Paar aus Kempten erzählt von seinen Erfahrunge­n

- Von Kerstin Schellhorn

- Eigene Kinder zu bekommen, ist für viele ein dringender Wunsch. Doch nicht immer klappt es auf natürliche­m Weg – Erkrankung­en können der Grund sein, aber auch ein fortgeschr­ittenes Alter. Eine künstliche Befruchtun­g, wie sie im Kinderwuns­chzentrum in Kempten angeboten wird, kann die Lösung sein. Aber die Behandlung gibt es nicht umsonst. Mit einem vierstelli­gen Betrag müssen Paare rechnen, sagt Thomas Michel, Direktor der AOK Kemptenobe­rallgäu-lindau. Ein Paar aus Kempten, das anonym bleiben möchte, hat es besonders hart getroffen.

„Ich war der Meinung, dass ich gut versichert bin“, sagt die 33Jährige. „Wir fühlen uns von der Krankenkas­se im Stich gelassen“, sagt ihr Mann. 8000 Euro hat das Paar die sogenannte ICSI gekostet, aus der ein inzwischen knapp 20 Monate alter Junge hervorgega­ngen ist. Dabei werden nach einer Hormonstim­ulation der Frau, die privat versichert ist, in einem kleinen, operativen Eingriff Eizellen entnommen. In einer Petrischal­e wird ein Spermium dann mithilfe einer feinen Nadel in die Eizelle gespritzt.

Hintergrun­d ist das Verursache­rprinzip, das private Versichere­r anwenden. Die jeweilige Kasse erstatte die Kosten aller Behandlung­smaßnahmen eines Versichert­en, sofern dieser nachweisen kann, dass er oder sie aufgrund einer organisch bedingten Unfruchtba­rkeit der „Verursache­r“der ungewollte­n Kinderlosi­gkeit ist, teilt ein Sprecher des Verbands der Privaten Krankenver­sicherung (PKV) auf Anfrage mit.

Im Falle des Kemptener Paars ist der „Verursache­r“nicht die Frau, sondern der Mann. Der 38-Jährige hat eine Krebserkra­nkung überstande­n. Während der Therapie wurden die Spermien so geschädigt, dass sie den Weg zur Eizelle nicht mehr alleine schaffen. Er ist jedoch, anders als seine Frau, gesetzlich versichert. Die private Versicheru­ng der 33-Jährigen hat deshalb eine Kostenüber­nahme abgelehnt.

Das Paar hat mehrfach Widerspruc­h eingelegt – erfolglos. Zwar verdienen die beiden gut. „Aber unsere Ersparniss­e aus den letzten Jahren gehen dafür drauf“, sagt sie. Man habe ein Recht darauf, finanziell unterstütz­t zu werden, ist die 33-Jährige überzeugt. „Weil es für die Psyche wichtig ist und die Kinderlosi­gkeit mit körperlich­en Beeinträch­tigungen zu tun hat.“

Dass finanziell­e Hilfe bei ungewollte­r Kinderlosi­gkeit geleistet werden sollte, sieht auch der Gesetzgebe­r so. Demnach übernehmen gesetzlich­e Krankenkas­sen 50 Prozent der Kosten für drei Versuche – unabhängig davon, wer der „Verursache­r“ist. So war es auch bei dem Mann aus Kempten – allerdings handelte es sich dabei nur um einen Bruchteil der Gesamtkost­en.

Frauen dürfen aber nicht älter als 40, Männer nicht älter als 50 Jahre sein. Bei den Paaren bleibe ein Eigenantei­l zwischen 1600 und 1800 Euro, sagt Dr. Anke Brössner, ärztliche Leiterin des Kinderwuns­chzentrums. Ein Versuch umfasst die Hormonstim­ulation, die Eizellen-entnahme, die Befruchtun­g der Eizelle und das Einsetzen in den Körper.

Sie könne sich an kein Paar erinnern, das die Behandlung nicht finanziere­n konnte, sagt sie. Aber natürlich sei die Finanzieru­ng für jeden unterschie­dlich schwer. Seit etwa einem halben Jahr gewähre das Land Bayern betroffene­n Paaren ebenfalls einen Zuschuss: zwischen 800 und 900 Euro für die ersten drei Versuche, zwischen 1600 und 1800 Euro für den vierten Versuch. Der Versicheru­ngs

und der Ehestatus spiele dabei keine Rolle, sagt Brössner. Um die gesetzlich­e Unterstütz­ung erhalten zu können, müssen Paare dagegen verheirate­t sein. Homosexuel­le Paare erhalten keinen der beiden Zuschüsse.

„Wir versuchen, die Paare zu unterstütz­en, wo es geht“, sagt die Ärztin. „Den Antrag beim Land bereiten wir vor.“Und sie weise Paare darauf hin, dass es immer wieder Krankenkas­se gebe, die die Behandlung­skosten komplett übernehmen. Medizinisc­h betrachtet sei es wünschensw­ert, dass die Kassen mehr als nur drei Versuche bezuschuss­en, sagt Brössner. Denn während die Erfolgscha­ncen bei drei Versuchen bei etwa 50 Prozent lägen, seien es bei sechs Versuchen 70 Prozent.

Die AOK Kempten-oberallgäu­lindau übernehme vier Versuche, sagt Direktor Thomas Michel. „Wir wollen dem Kinderwuns­ch Rechnung tragen.“Wichtig sei, sich beraten zu lassen – und zwar, bevor eine Kinderwuns­chbehandlu­ng in Anspruch genommen werde. Dass der Gesetzgebe­r diese in den Leistungsk­atalog aufgenomme­n habe, sei das richtige familienpo­litische Signal. Hier greife auch das Prinzip der Solidargem­einschaft, auf dem die Kassen beruhen: jung für alt, gesund für krank. „Ich bin selbst Familienva­ter und weiß, wie erfüllend das ist.“

 ?? FOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? Gesetzlich­e Krankenkas­sen gewähren bei Kinderwuns­ch-behandlung­en einen Zuschuss von 50 Prozent. Private Kassen übernehmen die Kosten komplett, wenn der Vericherte der „Verursache­r“der Kinderlosi­gkeit ist.
FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Gesetzlich­e Krankenkas­sen gewähren bei Kinderwuns­ch-behandlung­en einen Zuschuss von 50 Prozent. Private Kassen übernehmen die Kosten komplett, wenn der Vericherte der „Verursache­r“der Kinderlosi­gkeit ist.
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FOTO: PRIVAT Dr. Anke Brössner
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FOTO: PRIVAT Thomas Michel

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