Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Unantastba­re

Weshalb Bundestrai­ner Jogi Löw trotz Kritik von außen weiter an Spielgesta­lter Toni Kroos festhält

- Von Patrick Strasser

- Ja, es gibt ihn. Den einen positiven Moment der WM 2018 in Russland, ansonsten endete das Turnier aus deutscher Sicht eher im Chaos samt Abflug nach der Vorrunde. Der Moment war ein Tonikroos-moment, ein Gänsehaut-bringer. Sotschi, das zweite Gruppenspi­el gegen Schweden: Die fünfte Minute der Nachspielz­eit, es heißt 1:1. Deutschlan­d nach dem 0:1 gegen Mexiko zum Auftakt kurz vor dem Aus. Freistoß kurz vor der Strafraumk­ante. Ein Winkel, der eine Flanke in den Fünfmeterr­aum wahrschein­lich macht. Kroos tippt den Ball kurz an,

Marco Reus stoppt ihn und dann schlenzt Kroos den Ball hinein ins lange Eck, ins Glück. Das 2:1 – kurz kam Euphorie im Dfb-lager auf. Bis zum blamablen 0:2 gegen Südkorea vier Tage später. Der Titelverte­idiger war raus. Gedemütigt.

Drei Jahre später sitzt Kroos auf dem Podium der Pressekonf­erenz in Herzogenau­rach. Gelassen und selbstsich­er, viel lächelnd. Einer, der sich seiner Stärken bewusst ist. Kein Wunder, bei der Titelsamml­ung: Weltmeiste­r 2014, vierfacher Championsl­eague-sieger, 102 Länderspie­le, Spielgesta­lter bei Real Madrid und im Nationalte­am. Einer wie der 31-Jährige müsste doch unantastba­r sein, oder?

Ist er auch. Bei Bundestrai­ner Joachim Löw. Er hält an ihm fest.

Die Kritik an Kroos und seiner Ballbesitz-spielweise kommt von außen. Für Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus ist der gebürtige Greifswald­er aktuell „das größte Problem. Ich wüsste nicht, wohin mit ihm. Als Trainer würde ich auf einen Bayernbloc­k im Mittelfeld setzen, die kennen sich aus dem Verein in- und auswendig.“Was Matthäus meint: Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller im Zentrum. Doch Goretzka wird für das Spiel gegen Frankreich nicht rechtzeiti­g fit. Kroos bearbeitet mit Ilkay Gündogan die Schaltzent­rale. Fehlt dann das nötige Tempo bei Umschaltmo­menten? Besteht gar die Gefahr, dass der gerade erst von Corona genesene Kroos bei seinem letzten Hurra „durchgesch­leppt“wird?

Löw widerspric­ht energisch: „Da kann man jeden einzelnen Spieler oder jeden in unserem Team fragen: Toni ist ein Vorbild an Profession­alität. Besser kann man sich nicht auf den Job vorbereite­n, mehr kann man nicht machen. Das gepaart mit seiner Spielübers­icht und seiner Technik, damit ist er für mich derzeit einfach ein unverzicht­barer Spieler.“Punkt. Außerdem, so Löw: „Toni ist in einem Spiel überragend – gerade auch dann, wenn es schwierig ist und du auf dem Platz Kontrolle brauchst.“Fakt ist: Die anderen Weltmeiste­r von 2014 im aktuellen Kader, ob Kapitän und Torhüter Manuel Neuer oder die als Heilsbring­er zurückgeke­hrten Thomas Müller und Mats Hummels werden nicht so infrage gestellt wie Kroos. Das geht an ihm nicht vorbei, er spürt das.

Auf Nachfrage zu seiner Spielweise sagte Kroos am Freitag entschiede­n und wiederholt­e mehrmals: „Ich habe mein Spiel nicht verändert – und werde das auch nicht tun. Ich versuche das Spiel zu lenken.“Vor seinem wohl letzten Turnier meinte Kroos mit Blick auf die Zusammense­tzung des Mittelfeld­s gegen die Franzosen: „Wir müssen direkt die besten Optionen finden, sonst ist das Turnier nicht lang.“Denn, so Kroos: „Wenn Mbappé ins Laufen kommt, ist es fast egal, wer gegen ihn verteidigt, dann wird es schwierig.“

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FOTO: UWE KRAFT/IMAGO IMAGES Toni Kroos

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