Der Unantastbare
Weshalb Bundestrainer Jogi Löw trotz Kritik von außen weiter an Spielgestalter Toni Kroos festhält
- Ja, es gibt ihn. Den einen positiven Moment der WM 2018 in Russland, ansonsten endete das Turnier aus deutscher Sicht eher im Chaos samt Abflug nach der Vorrunde. Der Moment war ein Tonikroos-moment, ein Gänsehaut-bringer. Sotschi, das zweite Gruppenspiel gegen Schweden: Die fünfte Minute der Nachspielzeit, es heißt 1:1. Deutschland nach dem 0:1 gegen Mexiko zum Auftakt kurz vor dem Aus. Freistoß kurz vor der Strafraumkante. Ein Winkel, der eine Flanke in den Fünfmeterraum wahrscheinlich macht. Kroos tippt den Ball kurz an,
Marco Reus stoppt ihn und dann schlenzt Kroos den Ball hinein ins lange Eck, ins Glück. Das 2:1 – kurz kam Euphorie im Dfb-lager auf. Bis zum blamablen 0:2 gegen Südkorea vier Tage später. Der Titelverteidiger war raus. Gedemütigt.
Drei Jahre später sitzt Kroos auf dem Podium der Pressekonferenz in Herzogenaurach. Gelassen und selbstsicher, viel lächelnd. Einer, der sich seiner Stärken bewusst ist. Kein Wunder, bei der Titelsammlung: Weltmeister 2014, vierfacher Championsleague-sieger, 102 Länderspiele, Spielgestalter bei Real Madrid und im Nationalteam. Einer wie der 31-Jährige müsste doch unantastbar sein, oder?
Ist er auch. Bei Bundestrainer Joachim Löw. Er hält an ihm fest.
Die Kritik an Kroos und seiner Ballbesitz-spielweise kommt von außen. Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ist der gebürtige Greifswalder aktuell „das größte Problem. Ich wüsste nicht, wohin mit ihm. Als Trainer würde ich auf einen Bayernblock im Mittelfeld setzen, die kennen sich aus dem Verein in- und auswendig.“Was Matthäus meint: Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller im Zentrum. Doch Goretzka wird für das Spiel gegen Frankreich nicht rechtzeitig fit. Kroos bearbeitet mit Ilkay Gündogan die Schaltzentrale. Fehlt dann das nötige Tempo bei Umschaltmomenten? Besteht gar die Gefahr, dass der gerade erst von Corona genesene Kroos bei seinem letzten Hurra „durchgeschleppt“wird?
Löw widerspricht energisch: „Da kann man jeden einzelnen Spieler oder jeden in unserem Team fragen: Toni ist ein Vorbild an Professionalität. Besser kann man sich nicht auf den Job vorbereiten, mehr kann man nicht machen. Das gepaart mit seiner Spielübersicht und seiner Technik, damit ist er für mich derzeit einfach ein unverzichtbarer Spieler.“Punkt. Außerdem, so Löw: „Toni ist in einem Spiel überragend – gerade auch dann, wenn es schwierig ist und du auf dem Platz Kontrolle brauchst.“Fakt ist: Die anderen Weltmeister von 2014 im aktuellen Kader, ob Kapitän und Torhüter Manuel Neuer oder die als Heilsbringer zurückgekehrten Thomas Müller und Mats Hummels werden nicht so infrage gestellt wie Kroos. Das geht an ihm nicht vorbei, er spürt das.
Auf Nachfrage zu seiner Spielweise sagte Kroos am Freitag entschieden und wiederholte mehrmals: „Ich habe mein Spiel nicht verändert – und werde das auch nicht tun. Ich versuche das Spiel zu lenken.“Vor seinem wohl letzten Turnier meinte Kroos mit Blick auf die Zusammensetzung des Mittelfelds gegen die Franzosen: „Wir müssen direkt die besten Optionen finden, sonst ist das Turnier nicht lang.“Denn, so Kroos: „Wenn Mbappé ins Laufen kommt, ist es fast egal, wer gegen ihn verteidigt, dann wird es schwierig.“