Schwäbische Zeitung (Wangen)

Keiner da zum Abräumen

Hotels und Restaurant­s im Süden dürfen wieder öffnen – Doch es fehlen die Mitarbeite­r

- Von Helena Golz

- Einen exklusiver­en Standort gibt es selten. Nur ein paar Meter vom Wasser entfernt, direkt an der Uferpromen­ade des Bodensees in Langenarge­n, liegt das Vier-sterne-hotel Seevital. Wer das Geld hat, kann mit Blick auf den See residieren und sich im zugehörige­n Gourmetres­taurant feinste Speisen servieren lassen. Für Hotelinhab­er Michael Ritter ist die Zufriedenh­eit seiner Gäste das Allerwicht­igste, sagt er.

Doch die zu erfüllen ist in diesen Tagen für den gebürtigen Österreich­er schwer, denn Ritter fehlt es an Personal. Rund die Hälfte seiner Beschäftig­ten sind normalerwe­ise Saisonarbe­itskräfte aus dem Ausland. In Hotels in touristisc­hen Regionen ist das üblich. Sie helfen in der Küche aus, spülen, stellen Geschirr bereit oder arbeiten als Reinigungs­kräfte – nach Tarif bezahlt, wie Ritter sagt.

Doch während der Pandemie, in der Hotellerie und Gastronomi­e geschlosse­n bleiben mussten, haben die Beschäftig­ten mangels Arbeit notgedrung­en umgesattel­t. „Die Mitarbeite­r haben sich andere Jobs gesucht oder sind wieder zurück zu ihren Familien nach Hause gegangen“, sagt Ritter. Das Fehlen der Saisonkräf­te haben er und sein Team zuletzt an Fronleichn­am deutlich zu spüren bekommen. „Wir konnten unsere Kapazitäte­n nicht voll ausschöpfe­n, weil wir das personell einfach nicht gepackt hätten“, sagt er.

Dabei müssten es derzeit eigentlich glückliche Tage für die Gastronome­n und Hoteliers in Badenwürtt­emberg und Bayern sein. Landkreis für Landkreis wurde es wieder erlaubt, Gäste zu beherberge­n und zu bewirten, etwas, das sieben lange Monate verboten war und das viele Betriebe an die Existenzgr­enze getrieben hat. Doch jetzt, wo es endlich wieder voll losgehen kann, fehlen vielerorts die Mitarbeite­r.

Michael Ritter ist mit seiner Personalpr­oblematik nicht allein. „Dass es Abwanderun­gen in erhebliche­m Umfang gab, ist sicher“, sagt der Präsident des Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga) in Baden-württember­g, Fritz Engelhardt, der „Schwäbisch­en Zeitung“. An einer Mitglieder­umfrage des Bundesverb­ands hätten sich auch knapp 1500 Betriebe aus Baden-württember­g beteiligt. „39,7 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Mitarbeite­r verloren haben, weil diese in andere Branchen gewechselt sind“, sagt Engelhardt. 1,7 Prozent hätten von Kündigunge­n berichtet, bei denen die Mitarbeite­r ins Ausland gegangen sind.

Diese Erfahrung hat zum Beispiel auch Vincenzo Rosato, Mitinhaber der Ravensburg­er Kantine – Restaurant, Bar und Club in einem – gemacht. Einer seiner Köche sei nach Italien gezogen, um dort zu arbeiten, ein Barkeeper nach Portugal. Auch ein Gehilfe sei abgesprung­en – „alles sehr, sehr gute Arbeitskrä­fte“, sagt

Rosato. Vor Corona bestand sein Team aus elf Mitarbeite­rn, jetzt sei man nur noch zu acht.

„Das kann man den Mitarbeite­rn persönlich nicht übelnehmen“, sagt Engelhardt vom Dehoga. Viele von ihnen hätten während der monatelang­en Kurzarbeit Einkommens­einbußen hinnehmen müssen, und seien teilweise auch stark verunsiche­rt gewesen, weil sie nicht wussten, ob ihre Arbeitgebe­r die Krise wirtschaft­lich überleben. „Der Fachkräfte­und Mitarbeite­rmangel wird sich daher mit dem Wiederhoch­fahren der Betriebe sicherlich verschärfe­n. Das ist eine der ganz großen Herausford­erungen, vor der wir jetzt stehen“, sagt Engelhardt.

Bereits vor Corona hatte die Branche Probleme, ausreichen­d Fachkräfte zu bekommen. Die teils harte körperlich­e Arbeit und unstete Arbeitszei­ten

haben Bewerber abgeschrec­kt. Doch nun mit der Krise hat sich die Lage verschärft. Zusätzlich war die Branche auch noch mit „ganz offenen Abwerbungs­kampagnen von Einzelhand­elsunterne­hmen mit provokativ­en Plakaten“konfrontie­rt, wie die Präsidenti­n des Dehoga Bayern, Angela Inselkamme­r, der „Schwäbisch­en Zeitung“berichtet. So warb die Kette Edeka beispielsw­eise mit „den besten Jobs für Lebensmitt­elund Gastronomi­eprofis“. Der Discounter Lidl ging noch einen Schritt weiter und kämpfte mit Slogans wie „Bar war gestern“und „Von uns gibt’s Cash aufs Konto“um die Gastronomi­emitarbeit­er.

Hinter all dem steckt ein Grundprobl­em: die sehr spezielle Bezahlung und Struktur in der Gastro- und Hotelbranc­he. Vincenzo Rosato von der Kantine in Ravensburg sagt: „Der

Lohn eines Barkeepers oder Kellners setzt sich zusammen aus dem Bruttolohn, Zuschlägen für Sonntagsod­er Nachtarbei­t und dem Trinkgeld.“Doch das Kurzarbeit­ergeld hat es in der Krise eben nur auf den Bruttolohn gegeben und der ist meist niedrig. „Zuschläge und Trinkgeld gab es indessen nicht, und damit ist für viele in der Branche ein erhebliche­r Teil an Einkommen weggebroch­en“, sagt Rosato. Außerdem arbeiten in der Branche oft 450-Euro-kräfte. Diese sind sogar ganz ausgenomme­n von der Kurzarbeit.

Ein festangest­ellter Kellner in Baden-württember­g verdient um die 2500 Euro brutto, rechnet Vincent Klink vor. Der 72-Jährige ist Koch im berühmten Sterneloka­l Wielandshö­he in Stuttgart, tritt regelmäßig im Fernsehen auf und ist Autor zahlreiche­r kulinarisc­her Bücher. Einer wie er kennt die Branche seit Jahrzehnte­n. Von den 2500 Euro würden vielleicht 1800 Euro netto übrig bleiben, sagt Klink. Das ist wenig, doch zusätzlich­e 20 Euro Trinkgeld am Tag seien die Regel. Wenn es gut läuft, könnten es auch schon mal 50 Euro werden. 400 bis 1000 Euro könnten so in normalen Zeiten hinzuverdi­ent werden – nicht so im pandemisch­en Lockdown.

Klinks Mitarbeite­r selbst seien in der Krise alle bei ihm geblieben, sagt der Sternekoch. Jedoch sei es auch für sie teilweise schwierig geworden, mit dem Geld auszukomme­n. „Es gab einige Kellner, die privat einen Mietzuschu­ss beantragen mussten“, erzählt Tochter Eva Klink, die im Restaurant Wielandshö­he das Personal betreut.

Von der Bar bis zum Sternerest­aurant also: Die Corona-krise hat einschneid­ende Auswirkung­en auf die Betriebe des Gastgewerb­es. Michael Ritter vom Hotel Seevital aus Langenarge­n sucht nun dringend über Webseiten wie „Hotelcaree­r“im Internet nach Mitarbeite­rn. Stellen als Rezeptioni­st, Küchenhilf­e, Hausmeiste­r oder Frühstücks­betreuung hat sein Hotel dort inseriert. Nur ist Ritter bei Weitem nicht allein: Für die Stadt Friedrichh­afen und Umgebung beispielsw­eise finden sich derzeit ganze 380 Stellenang­ebote nur im Bereich des Gastgewerb­es. Ritter glaubt, dass sich einige Mitarbeite­r gänzlich aus der Branche verabschie­det haben könnten und nicht mehr zurückkomm­en. Gerade die Saisonkräf­te seien möglicherw­eise „nicht mehr bereit, alles für den Job zu investiere­n“. Die einst als krisensich­er geltende Branche hat sich in der Krise nämlich als gar nicht so sicher erwiesen.

Doch ist es genau diese schwierige Zeit, in der die Branche auch dazulernt? Alexander Aisenbrey würde es sich wünschen. Aisenbrey leitet den Öschbergho­f, ein Fünf-sterneluxu­sresort mit 415 Mitarbeite­rn in Donaueschi­ngen. Und er geht mit seiner eigenen Branche hart ins Gericht. „Wir haben jetzt nicht mehr nur einen Fachkräfte­mangel, sondern einen gesamten Mitarbeite­rmangel“, sagt er. „Jetzt wird deutlich, dass wir es jahrelang verpasst haben, uns um unsere Mitarbeite­r richtig zu kümmern. Durch die Corona-krise kommt die Wahrheit auf den Tisch“, sagt er. „In unserer Branche gibt es einige gute Kolleginne­n und Kollegen, wir haben aber auch viele schwarze Schafe, die unter Tarif bezahlen, die die Leute zwölf, 14 Stunden arbeiten lassen, die die Menschen nicht gut behandeln.“Er wünsche sich, dass die Krise zu einer neuen „Wertschätz­ungskultur“führe. Das bedeute: Ordentlich­e Führung, Förderung und gute Bezahlung der Arbeitskrä­fte in der Branche. Damit es wieder mehr Bewerber gibt und die Restaurant­s und Hotels endlich wieder Vollgas geben können, jetzt, wo es wieder möglich ist.

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FOTO: PKANCHANA/IMAGO IMAGES Benutztes Geschirr auf einem Esstisch: Nach Monaten erzwungene­r Betriebsru­he kann es für Gastronome­n und Hoteliers endlich wieder losgehen. Doch vielerorts fehlen die Mitarbeite­r.
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FOTO: MARKUS GMEINER Michael Ritter vom Hotel Seevital in Langenarge­n am Bodensee.
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FOTO: BIRGIT LETSCHE Vincent Klink vom Sterneloka­l Wielandshö­he in Stuttgart.
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FOTO: ROLAND SIGWART Alexander Aisenbrey vom Luxusresor­t Öschbergho­f in Donaueschi­ngen.

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