Lass dich nicht täuschen!
Die Kunsthalle Weishaupt in Ulm stellt den Schweizer Künstler Beat Zoderer mit einer vielfältigen Retrospektive vor
- So viel Abwechslung in einer Ausstellung, die drei Jahrzehnte eines Künstlerlebens umfasst, ist selten. Der Schweizer Beat Zoderer bezog in seiner Laufbahn zwar wichtige Impulse von den Zürcher Konkreten. Aber während die Künstlerbewegung streng dogmatisch arbeitete, geht Zoderer spielerisch mit Formen, Farben und Materialien um. Seine Arbeiten sind sowohl ästhetisch als auch technisch enorm vielfältig. Die Kunsthalle Weishaupt in Ulm zeigt jetzt rund 150 Werke auf 1300 Quadratmetern, davon sind neun aus der hauseigenen Sammlung. Alles andere stammt aus den Beständen des Künstlers.
Klarheit, Logik und Stringenz sind die Maximen der Konkreten Kunst. Subjektive Willkür hat da keinen Platz. In den Arbeiten von Beat Zoderer allerdings schon. Er spielt Materialien und Techniken mit viel Kreativität gestalterisch durch, bevorzugt in Serien. Er leimt, stapelt, schichtet, wickelt, stanzt aus, rollt auf und rahmt. Der 67-jährige Zürcher verwendet dabei mit Vorliebe Alltagsmaterialien wie Alureste, Büroartikel, Bastelpapiere, Wollknäuel, ausrangierte Dämmplatten oder Bretter. Ein schönes Beispiel dafür ist seine Serie aus dem Jahr 1992, in der er mit Ringlochverstärkern, Aktenfolien, Briefetiketten, Reißnägel, Gummiringe und anderen Büroartikeln auf Din-a4-papier kleine, flirrende Op-art-kunstwerke geschaffen hat.
Zweifelsohne gehört es zu den Stärken Zoderers, das Potenzial von Dingen zu erkennen und in Blickfänge zu verwandeln, sodass der Besucher in Ulm immer wieder staunen und schmunzeln muss. Im Vordergrund steht das grenzüberschreitende Experiment. Das deutet auch der Titel der Schau an: „Visuelle Interferenzen“bedeutet einerseits visuelle Überlagerung, Verschachtelung, Verflechtung und andererseits optische Gegensätze und Täuschung.
Aus der Ferne etwa wirken seine Wickelbilder von 1997/98 wie Malerei. Erst aus der Nähe erkennt der Kunstfreund, dass die bunten Streifen aus Wolle oder Geschenkbändern auf Leinwand bestehen. Eines davon ist ganz in Gold gehalten und schimmert verführerisch. Zoderer scheint es Spaß zu machen, den Betrachter an der Nase herumzuführen, der Ratio ein Schnippchen zu schlagen.
Oft verleiht er den von ihm genutzten Materialien auch gänzlich neue Wirkungen. Seine aktuellen Zick-zack-wandplastiken erinnern an Metallplatten – tatsächlich bestehen sie aber aus lackiertem Holz. Eine große Rolle spielen auch die Titel, wie „Quadratur des Kreises“, „Möbiusschleife“oder „Plattenbau“. Letzterer erinnert an menschenfeindliche Wohnsilos, bei Zoderer ist es aber schlicht der „Aufbau einer thronähnlichen Sitzgelegenheit, die wie ein ironischer Kommentar auf die kühnen Visionen des Konstruktivismus oder des De Stijl wirkt“, schreibt Christoph Schreier im Katalog. Vermutlich spielt der Schweizer hier an den berühmten Rietfeld-stuhl an, der zwar fantastisch aussieht, aber äußerst unbequem ist und an den Bedürfnissen der Menschen vorbei geplant wurde – wie eben auch die Plattenbauten in Ost und West.
Was überrascht ist, dass der Künstler Reste konsequent wiederverwertet und damit Positiv-negativobjekte schafft. So schneidet er beispielsweise aus Sperrholz Quadrate aus, die er lackiert und übereinander schichtet. Mit den übrig gebliebenen Rahmen macht er dann das gleiche. In den großzügigen Räumen der Kunsthalle Weishaupt sind diese Arbeiten oft nebeneinandergehängt.
Die Schau umfasst Plastiken, Reliefe, Papierarbeiten und Malereien, im großen wie im kleinen Format. Die kleinen Arbeiten werden auf Wunsch des Künstlers in der Petersburger Hängung präsentiert und füllen die ganze Seitenwand im ersten sowie im zweiten Stock. Die großen haben dagegen ausreichend Platz, um ihre Wirkung entfalten zu können.
Ein Hingucker ist vor allem die brandneue „Horizontale Partitur“an der Etagen übergreifenden Wand im großen Saal. Über acht Meter hat Zoderer farbige Bretter und Böden in einem Hängeregal so vertikal geschichtet, dass sie förmlich zu schweben scheinen.
Der Bezug zur Musik ist dank des Titels zwar eindeutig, aber aus der Froschperspektive betrachtet erinnert das Ganze auch wieder an eine Hochhaussiedlung mit unterschiedlich großen Balkonen. Allein schon dieses Werk lohnt den Weg nach Ulm. Man muss es unbedingt live erlebt haben.
Die Ausstellung sollte ursprünglich bis 10. Oktober dauern, wegen der langen Schließung aufgrund der Pandemie ist die Schau bis ins nächste Jahr verlängert. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, von 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag, von 11 bis 18 Uhr, freier Eintritt an jedem ersten Freitag im Monat.
Das Magazin zur Ausstellung kostet 8 Euro.