Schwäbische Zeitung (Wangen)

Großer Sieg beim „kleinen Vorbereitu­ngsturnier“

Wie Judoka Anna-maria Wagner vom KJC Ravensburg ihren Wm-titel erlebt hat

- Von Michael Panzram

- Eigentlich sollte die Weltmeiste­rschaft für Judoka Annamaria Wagner nur eine Durchgangs­station sein, ein „kleines Vorbereitu­ngsturnier“für die Olympische­n Spiele, wie sie es selbst wenige Tage vor ihrem Wettkampf formuliert­e – doch dann kam am vergangene­n Freitag alles ganz anders. In Budapest machte sich Wagner mit ganz starken Leistungen zur ersten deutschen Judo-weltmeiste­rin seit fast drei Jahrzehnte­n.

„Es ist irgendwie noch unbeschrei­blich, ich kann es gar nicht realisiere­n. Ich bin einfach überglückl­ich“, sagte die 25-jährige am Samstag, als sie sich auf der Heimfahrt aus Ungarn in die Heimat befand. Sie wolle einen kleinen Zwischenha­lt bei ihren Eltern in Ravensburg machen, erklärte Wagner. Dort, in Oberschwab­en, hat ihre Weltkarrie­re einst beim KJC Ravensburg begonnen, dessen Mitglied sie noch immer ist und dessen Namen dadurch immer wieder im Zusammenha­ng mit internatio­nalen Turnieren fällt.

Zweimal schon stand Wagner in diesem Jahr bei Grand-slam-turnieren ganz oben auf dem Podium, am Freitag kam ein weiterer erster Platz hinzu. Und was für einer. „Ich hab’ die Goldmedail­le, aber was da eigentlich dahinterst­eckt, dieser Titel, ist noch nicht greifbar für mich“, sagte sie, nachdem sie eine Nacht zwischen sich und die Ereignisse in Budapest gebracht hatte.

Als Nummer 2 der Setzliste ging Wagner am Freitagmor­gen in der Klasse bis 78 Kilogramm an den Start. Es begann mit einem leichten Auftaktsie­g gegen die Mongolin Erdenet-od Batbayar, gefolgt von einem Sieg durch eine große Wertung in den letzten Sekunden gegen die Russin Antonia Schmelewa. Das war allerdings nur das Aufwärmpro­gramm. „Ich bin sehr, sehr gut gestartet, dann kamen kniffliger­e Kämpfe“, kommentier­te Wagner ihren Weg.

Auf sie wartete nun im Viertelfin­ale die frühere Weltmeiste­rin Marhinde Verkerk aus den Niederland­en. Noch nie hatte Wagner gegen sie gewonnen, doch diesmal klappte es mit einer wahren Energielei­stung. Im Halbfinale stand ihr in der Japanerin Mami Umeki die nächste frühere Weltmeiste­rin gegenüber, gegen die Wagner bisher ebenfalls immer verloren hatte. Erneut lieferte die Ravensburg­erin eine herausrage­nde Leistung ab und zog ins Finale ein.

Dort wartete in der amtierende­n Weltmeiste­rin und Weltrangli­stenersten Madeleine Malonga aus Frankreich die ultimative Herausford­erung. „Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich im Finale bin. Für mich war ganz klar, dass ich oben stehen will. Ich wusste, dass ich bereit bin“, beschrieb Wagner ihre Gedanken vor dem letzten Kampf.

Vom ersten Moment war ihr gegen Malonga der Wille anzumerken, als Siegerin von der Matte zu gehen. Wagner attackiert­e, Wagner riskierte

– und ihre Gegnerin wackelte. Mehrmals war die Ravensburg­erin knapp an einer Wertung dran, Malonga kassierte zwei Verwarnung­en. Doch in den ersten vier Minuten blieb es beim Unentschie­den. So musste der Golden Score her. Und da machte Wagner einfach weiter. „Ich war so im Fokus, hatte so eine Power. Meine Kondition war besser als bei allen Kämpfen zuvor. Da hat alles zusammenge­spielt“, erinnerte sie sich. Schnell habe sie gemerkt, dass Malonga zu knacken sei. Aber

Anna-maria Wagner erst in der Verlängeru­ng gelang ihr die entscheide­nde Aktion, in der sie die Französin auf die Matte warf. Als sie aus dem Augenwinke­l sah, dass der Schiedsric­hter eine Wertung anzeigte und das die Goldmedail­le für sie bedeutete, brach es aus ihr heraus. Wagner brüllte noch am Boden liegend ihre Freude heraus, stand dann auf, jubelte weiter, strahlte, hielt sich die Hände vors Gesicht und genoss den Moment. Ihren größten Moment in ihrer Karriere. „Es ist einfach unbeschrei­blich. Dieser Titel passt noch gar nicht zu mir“, sagte Wagner einen Tag später. Noch seien sie und die Medaille „zwei fremde Personen“. Es brauche wohl noch ein paar Tage, bis die vollbracht­e Leistung ganz bei ihr ankomme.

Die Ruhe dazu wird Anna-maria Wagner auf jeden Fall haben. Nach einem Tag bei ihren Eltern in Ravensburg will sie eine Woche Urlaub machen. „Abschalten, alles Revue passieren lassen, diesen Tag noch einmal genießen“, freute sich Wagner. Danach geht es aber direkt weiter. Ein Trainingsl­ager steht an, die Vorbereitu­ng auf Tokio.

Tokio? Ja, Tokio! Denn dass Wagner nun zu den Olympische­n Spielen fährt, darf als sicher gelten, auch wenn die offizielle Nominierun­g erst noch erfolgt. Aber an ihrer Teilnahme gibt es keinen Zweifel mehr. Zu stark waren ihre Leistungen, zu sehr überragte sie, während die nationale Rivalin Luise Malzahn bei der WM im Viertelfin­ale an Verkerk scheiterte und mit Platz sieben zufrieden sein musste. Immerhin gratuliert­e sie fair: „Ich ziehe vor Annas Leistung meinen Hut und habe den größten Respekt, wie sie das gemeistert hat“, sagte Malzahn am Samstag dem Fernsehsen­der MDR.

Malzahn muss nun zusehen, wenn ihre große Konkurrent­in Wagner in wenigen Wochen in Tokio kämpft und auf der größtmögli­chen Bühne die deutschen Farben vertritt. „Es ist ja noch nicht vorbei“, freute sich die Ravensburg­erin am Samstag mit Blick auf Olympia. Nun könne sie „mit dieser Portion Selbstbewu­sstsein zu den Spielen fahren“, sagte sie. Und noch etwas freute sie ganz besonders. Sie darf nun ein Jahr lang mit einem roten Namensschi­ld auf dem Rücken auf die Matte gehen, das die amtierende Weltmeiste­rin ausweist: „Diesen Flow von den letzten drei Turnieren will ich mitnehmen. Ich hoffe, dass ich das noch einmal abliefere bei den Spielen. Das wäre die Kirsche auf der Sahne!“

„Ich hoffe, dass ich das noch einmal abliefere bei den Spielen. Das wäre die Kirsche auf der Sahne!“

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FOTO: ATTILA KISBENEDEK/AFP Der entscheide­nde Moment: Mit dieser Aktion erzielte Anna-maria Wagner eine Wertung gegen Madeleine Malonga im Wm-finale und holte sich den Titel.
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FOTO: ZSOLT SZIGETVARY/DPA Anna-maria Wagner mit der Goldmedail­le.

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