Großer Sieg beim „kleinen Vorbereitungsturnier“
Wie Judoka Anna-maria Wagner vom KJC Ravensburg ihren Wm-titel erlebt hat
- Eigentlich sollte die Weltmeisterschaft für Judoka Annamaria Wagner nur eine Durchgangsstation sein, ein „kleines Vorbereitungsturnier“für die Olympischen Spiele, wie sie es selbst wenige Tage vor ihrem Wettkampf formulierte – doch dann kam am vergangenen Freitag alles ganz anders. In Budapest machte sich Wagner mit ganz starken Leistungen zur ersten deutschen Judo-weltmeisterin seit fast drei Jahrzehnten.
„Es ist irgendwie noch unbeschreiblich, ich kann es gar nicht realisieren. Ich bin einfach überglücklich“, sagte die 25-jährige am Samstag, als sie sich auf der Heimfahrt aus Ungarn in die Heimat befand. Sie wolle einen kleinen Zwischenhalt bei ihren Eltern in Ravensburg machen, erklärte Wagner. Dort, in Oberschwaben, hat ihre Weltkarriere einst beim KJC Ravensburg begonnen, dessen Mitglied sie noch immer ist und dessen Namen dadurch immer wieder im Zusammenhang mit internationalen Turnieren fällt.
Zweimal schon stand Wagner in diesem Jahr bei Grand-slam-turnieren ganz oben auf dem Podium, am Freitag kam ein weiterer erster Platz hinzu. Und was für einer. „Ich hab’ die Goldmedaille, aber was da eigentlich dahintersteckt, dieser Titel, ist noch nicht greifbar für mich“, sagte sie, nachdem sie eine Nacht zwischen sich und die Ereignisse in Budapest gebracht hatte.
Als Nummer 2 der Setzliste ging Wagner am Freitagmorgen in der Klasse bis 78 Kilogramm an den Start. Es begann mit einem leichten Auftaktsieg gegen die Mongolin Erdenet-od Batbayar, gefolgt von einem Sieg durch eine große Wertung in den letzten Sekunden gegen die Russin Antonia Schmelewa. Das war allerdings nur das Aufwärmprogramm. „Ich bin sehr, sehr gut gestartet, dann kamen kniffligere Kämpfe“, kommentierte Wagner ihren Weg.
Auf sie wartete nun im Viertelfinale die frühere Weltmeisterin Marhinde Verkerk aus den Niederlanden. Noch nie hatte Wagner gegen sie gewonnen, doch diesmal klappte es mit einer wahren Energieleistung. Im Halbfinale stand ihr in der Japanerin Mami Umeki die nächste frühere Weltmeisterin gegenüber, gegen die Wagner bisher ebenfalls immer verloren hatte. Erneut lieferte die Ravensburgerin eine herausragende Leistung ab und zog ins Finale ein.
Dort wartete in der amtierenden Weltmeisterin und Weltranglistenersten Madeleine Malonga aus Frankreich die ultimative Herausforderung. „Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich im Finale bin. Für mich war ganz klar, dass ich oben stehen will. Ich wusste, dass ich bereit bin“, beschrieb Wagner ihre Gedanken vor dem letzten Kampf.
Vom ersten Moment war ihr gegen Malonga der Wille anzumerken, als Siegerin von der Matte zu gehen. Wagner attackierte, Wagner riskierte
– und ihre Gegnerin wackelte. Mehrmals war die Ravensburgerin knapp an einer Wertung dran, Malonga kassierte zwei Verwarnungen. Doch in den ersten vier Minuten blieb es beim Unentschieden. So musste der Golden Score her. Und da machte Wagner einfach weiter. „Ich war so im Fokus, hatte so eine Power. Meine Kondition war besser als bei allen Kämpfen zuvor. Da hat alles zusammengespielt“, erinnerte sie sich. Schnell habe sie gemerkt, dass Malonga zu knacken sei. Aber
Anna-maria Wagner erst in der Verlängerung gelang ihr die entscheidende Aktion, in der sie die Französin auf die Matte warf. Als sie aus dem Augenwinkel sah, dass der Schiedsrichter eine Wertung anzeigte und das die Goldmedaille für sie bedeutete, brach es aus ihr heraus. Wagner brüllte noch am Boden liegend ihre Freude heraus, stand dann auf, jubelte weiter, strahlte, hielt sich die Hände vors Gesicht und genoss den Moment. Ihren größten Moment in ihrer Karriere. „Es ist einfach unbeschreiblich. Dieser Titel passt noch gar nicht zu mir“, sagte Wagner einen Tag später. Noch seien sie und die Medaille „zwei fremde Personen“. Es brauche wohl noch ein paar Tage, bis die vollbrachte Leistung ganz bei ihr ankomme.
Die Ruhe dazu wird Anna-maria Wagner auf jeden Fall haben. Nach einem Tag bei ihren Eltern in Ravensburg will sie eine Woche Urlaub machen. „Abschalten, alles Revue passieren lassen, diesen Tag noch einmal genießen“, freute sich Wagner. Danach geht es aber direkt weiter. Ein Trainingslager steht an, die Vorbereitung auf Tokio.
Tokio? Ja, Tokio! Denn dass Wagner nun zu den Olympischen Spielen fährt, darf als sicher gelten, auch wenn die offizielle Nominierung erst noch erfolgt. Aber an ihrer Teilnahme gibt es keinen Zweifel mehr. Zu stark waren ihre Leistungen, zu sehr überragte sie, während die nationale Rivalin Luise Malzahn bei der WM im Viertelfinale an Verkerk scheiterte und mit Platz sieben zufrieden sein musste. Immerhin gratulierte sie fair: „Ich ziehe vor Annas Leistung meinen Hut und habe den größten Respekt, wie sie das gemeistert hat“, sagte Malzahn am Samstag dem Fernsehsender MDR.
Malzahn muss nun zusehen, wenn ihre große Konkurrentin Wagner in wenigen Wochen in Tokio kämpft und auf der größtmöglichen Bühne die deutschen Farben vertritt. „Es ist ja noch nicht vorbei“, freute sich die Ravensburgerin am Samstag mit Blick auf Olympia. Nun könne sie „mit dieser Portion Selbstbewusstsein zu den Spielen fahren“, sagte sie. Und noch etwas freute sie ganz besonders. Sie darf nun ein Jahr lang mit einem roten Namensschild auf dem Rücken auf die Matte gehen, das die amtierende Weltmeisterin ausweist: „Diesen Flow von den letzten drei Turnieren will ich mitnehmen. Ich hoffe, dass ich das noch einmal abliefere bei den Spielen. Das wäre die Kirsche auf der Sahne!“
„Ich hoffe, dass ich das noch einmal abliefere bei den Spielen. Das wäre die Kirsche auf der Sahne!“