Eriksen gewinnt den wichtigsten Kampf
Dänemarks Mittelfeldstar kollabiert während Spiel gegen Finnland – Notärzte retten nach Herzinfarkt sein Leben
(SID) - Auch nach dem Tag, an dem der Fußball einer seiner größten Tragödien entronnen war, befand sich Dänemark noch im Schockzustand. Das Drama um Mittelfeldstar Christian Eriksen ließ niemanden kalt. Die Fernsehsender des Landes kannten am Sonntag kein anderes Thema, am Nachmittag sagte Sportdirektor Peter Möller: „Die Spieler möchten das Turnier zu Ende spielen. Es mag sich hart anhören, aber das Leben geht weiter.“
Trainer Kasper Hjulmand ergänzte, dass die Mannschaft nun „für Christian spielen“wolle, nachdem sich auch das dänische Königshaus tief betroffen gezeigt hatte. „Das Wichtigste ist, dass es Christian Eriksen den Umständen entsprechend gut geht“, schrieb das Kronprinzenpaar Frederik und Mary bei Instagram und betonte zugleich: „Es war rührend, den fantastischen Teamgeist und die Unterstützung von Spielern und Fans zu sehen, nachdem wir alle einen großen Schrecken erlebt hatten.“
Und dieser Schrecken wirkt nach, auch wenn es aus dem dänischen Lager, das von Krisenpsychologen betreut wird, positive Nachrichten gab. Eriksen sei stabil, teilte der nationale Verband DBU mit. Man habe am Morgen mit ihm sprechen können, den Spielern habe es einen „riesigen Boost gegeben, als sie ihn lachen gesehen haben“, berichtete Hjulmand und fügte bewegt hinzu: „Er hat uns gefragt, wie es uns geht. Das ist typisch Christian, dass er mehr an andere denkt als an sich.“
Eriksen selbst darf nach seinem Zusammenbruch, der nach erster Einschätzung des behandelnden Kardiologen Jesper Kjärgaard die Folge eines Herzinfarktes war, auf eine vollständige Genesung hoffen. „Wenn es ein Herzinfarkt war, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass er bereits bei Bewusstsein ist“, sagte der Mediziner. Danach hatte es quälend und schier endlose 50 Minuten am Samstag zunächst nicht ausgesehen, nachdem Eriksen in der 43. Minute des Spiels gegen Finnland (0:1) kollabiert war. „Wir haben es geschafft, ihn zurückzuholen“, schilderte Dänemarks Mannschaftsarzt Martin Boesen die dramatischen Szenen.
Spieler und Zuschauer hielten sich im Parken-stadion entsetzt die Hände vors Gesicht – die Schockwelle erfasste ganz Europa. Eriksens Freundin kämpfte sich auf das Feld. Die Dänen stellten sich auf Anweisung ihres Kapitäns Simon Kjaer im Kreis um Eriksen und die Notärzte auf, um einen Sichtschutz zu bilden.
Hjulmand sank betend auf die Knie. Die Finnen verließen mit Tränen in den Augen den Platz.
„Ich bin etwas emotional. Es macht etwas mit einem, wenn ein
Freund leidet. Es ist eine harte Nacht“, schluchzte der 49 Jahre alte Hjulmand mit Tränen in den Augen nach dem Spiel, das trotz der dramatischen Ereignisse „auf Wunsch“beider Teams zu Ende gespielt worden war. Dabei habe es „keinen Druck“von der UEFA gegeben, betonte Hjulmand, gestand aber am Sonntag ein, er habe nun doch ein „schlechtes
Gewissen“deswegen: „Wenn ich zurückblicke, war es aus meiner Sicht die falsche Entscheidung. Die Spieler waren unter Schock und sollten dann aus diesen zwei Alternativen entscheiden. Vielleicht hätten wir einfach in den Bus steigen sollen und dann gucken, was am nächsten Morgen ist. Das ist mein Gefühl.“
Die Alternative wäre dann aber eine Fortsetzung des Spiels am Sonntagmittag gewesen, doch das sei zunächst nicht infrage gekommen, berichtete Hjulmand. „Die Spieler konnten sich nicht vorstellen, schlafen zu können und dann Sonntagmorgen zum Spiel in den Bus zu steigen. Es war besser, es gleich hinter uns zu bringen.“Auch Sportdirektor Peter Möller schlug in die gleiche Kerbe. Er habe zwar keinen Druck der UEFA gespürt, aber er müsse im Nachhinein klar sagen, „es war nicht die richtige Entscheidung weiterzuspielen“. Generell müsse man „darüber nachdenken, was man in Zukunft in so einer Situation macht“.
Die dänische Fußball-ikone Michael Laudrup jedenfalls kritisierte: Die Spieler wurden „vor eine Wahl gestellt, die keine echte Wahl ist“. Auch Christoph Kramer hielt die Fortsetzung für falsch: „Das ist für mich der absolute Wahnsinn, das geht nicht. Da liegt der Fehler meiner Meinung nach bei der UEFA. Da muss irgendjemand sagen: ,Leute, jetzt schlaft mal eine Nacht drüber’“, sagte der Weltmeister von 2014 im ZDF. Nationalspieler Antonio Rüdiger zeigte sich ähnlich betroffen und betonte: „Ich glaube, ich hätte nicht weiterspielen können.“Der Chelseaverteidiger wolle aber nicht über richtig oder falsch entscheiden. Die UEFA verteidigte sich jedenfalls mit Verweis auf die Regularien.
Allerdings war es nur eine Nebensache, dass das Spiel fortgesetzt wurde, dass Joel Pohjanpalo (60.) für die Finnen traf und dass Pierre-emile Hojberg mit einem Foulelfmeter an Lukas Hradecky scheiterte (74.). Von Bedeutung war etwas anderes. „Eriksen hat den einzig wichtigen Kampf gewonnen“, titelte etwa das dänische Boulevardblatt „B.T“.
„Die beste Nachricht des Tages ist, dass es ihm gut geht. Das ist das Einzige, das mir etwas bedeutet“, sagte der sichtlich bewegte Pohjanpalo. Auch die finnische Presse nahm Anteil: „Zwei kleine Kinder waren nah daran, ihren Vater zu verlieren“, schrieb „Hufvudstadsbladet“und ergänzte: „Dass der Fußball und andere Dinge eigentlich ziemlich bedeutungslos sind, wenn es um Leben und Tod geht, wurde selten so deutlich.“
Tor: 0:1 Pohjanpalo (60.). – Zuschauer: 15 200 in Kopenhagen. – Besonderes Vorkommnis: Hradecky (Finnland) hält Foulelfmeter von Højbjerg (74.).