Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kanzlerin im Bunde mit der Wissenscha­ft

Merkel gibt im Robert-koch-institut die Mahnerin – Für sie bleibt die Inzidenz relevant

- Von Dieter Keller

- „Die Pandemie ist nicht vorbei. Aber wir können uns glückliche­rweise mehr gönnen.“Angela Merkel wird nicht müde, die Menschen zur Vorsicht zu mahnen, auch wenn die Corona-neuinfekti­onen erfreulich niedrig sind. Nicht dass auf zu viel Unvernunft im Sommer ein harter Herbst und Winter folgen. Die Bundeskanz­lerin nutzte am Dienstag den Besuch beim Robertkoch-institut (RKI) in Berlin, um nachdrückl­ich fürs Impfen zu werben: Es sorge dafür, dass auch eine steigende Inzidenz das Gesundheit­ssystem nicht überlaste.

Noch halten sich die Neuansteck­ungen in Grenzen: Die Siebentage-inzidenz liegt bei 6,5. Doch seit einer Woche geht die Kurve wieder nach oben. Binnen eines Tages wurden 646 Neuansteck­ungen gemeldet, über 200 mehr als eine Woche zuvor. Der R-faktor liegt deutlich über 1. Einfacher ausgedrück­t: 100 Infizierte stecken rechnerisc­h 115 weitere Menschen an. Das kann schnell eine große Dynamik entwickeln.

Lothar Wieler, der Chef des Bundesinst­ituts für Infektions­krankheite­n, machte der Kanzlerin deutlich, welch hohe Impfquote nach Ansicht seiner Wissenscha­ftler nötig ist, um auch mit aggressive­ren Varianten wie Delta klarzukomm­en: Die 12- bis 59-Jährigen müssten zu 85 Prozent geimpft sein, die über 60-Jährigen zu 90 Prozent. Davon sind wir noch weit entfernt: Bis einschließ­lich Montag waren 41,1 Prozent der 18- bis 59-Jährigen vollständi­g geimpft und 70,7 Prozent der über 60-Jährigen. Weitere 17 beziehungs­weise 13,2 Prozent, hatten erst einen Piks bekommen.

„Es gibt keine Ausreden mehr: Impfstoff ist genug da, Termine sind problemlos zu bekommen“, assistiert­e Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Jetzt seien kreative Ideen gefragt, mehr Menschen zu erreichen, ob auf Marktplätz­en, vor Kirchen und Moscheen oder mit Impfen to go: „Gelegenhei­t macht Impfung“.

Wieler sieht eine hohe Impfbereit­schaft von „an die 90 Prozent“. Nur ein einstellig­er Prozentsat­z lehne dies grundsätzl­ich ab, zitierte er Umfragen. Für einen 30-jährigen Gesunden sei es noch vor wenigen Wochen schwer gewesen, an eine Impfung zu kommen. Das ändere sich jetzt.

Neben Erwachsene­n, die nicht geimpft werden können, sorgen sich Merkel und Spahn insbesonde­re um eine Gruppe: „Impfen Sie sich, auch um Kinder und Jugendlich­e zu schützen“, warb der Gesundheit­sminister Denn auch die können erkranken, wenngleich meist nicht so schwer, und die Langzeitfo­lgen sind noch nicht erforscht. Bisher sind 600 000 über zwölf Jahren geimpft. Für noch Jüngere gibt es keinen zugelassen­en Impfstoff.

Für Merkel bleibt die Inzidenz, also die Ansteckung­en pro 100 000 Einwohner in den vergangene­n sieben Tagen, eine wichtige Größe, weil sie eine mögliche Überlastun­g des Gesundheit­swesens zeige. Das sei aber nie der alleinige Gradmesser gewesen, reagierte sie auf die Ankündigun­g des RKI, künftig die Klinikeinw­eisungen stärker zu berücksich­tigen. Zumindest bei den Intensivbe­tten ist die Lage entspannt: Am Montag waren bundesweit 435 belegt, zwei mehr als am Tag zuvor. 278 der Patienten mussten invasiv beatmet werden. Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle Anfang des Jahres drohten die Intensivst­ationen noch angesichts von fast 5800 Patienten in die Knie zu gehen. Sie verwies aber auf die Gefahr, dass sich durch hohe Fallzahlen neue Virusvaria­nten entwickeln könnten.

In ihrer Vorsicht sieht sich Merkel durch die Niederland­e bestätigt, die angesichts von 7000 Neuinfekti­onen binnen 24 Stunden gerade wieder das Nachleben dichtmache­n und andere Lockerunge­n zurückdreh­en mussten. Dort sei zu sehen, dass ab einer bestimmten Zahl von Fällen der Anstieg so ungebremst sei, dass dies Auswirkung­en auf die Gesundheit vieler habe.

In anderen europäisch­en Ländern ist der Anstieg schon deutlicher. Großbritan­nien ist wieder bei mehr als 30 000 Neuansteck­ungen am Tag.

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FOTO: M. KAPPELER/DPA Kanzlerin Angela Merkel vor dem Robert-koch-institut.

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