Schwäbische Zeitung (Wangen)

Viele warten Jahre auf bezahlbare Wohnung

Im Kreis Ravensburg gehören die Mietpreise zu den höchsten in Deutschlan­d

- Von Frank Hautumm

- 135 Namen standen zuletzt auf der Warteliste der Stadt Ravensburg für eine Sozialwohn­ung, manchmal sind es auch 150. Zehn Monate lang war Stefanie R. darunter, dann hatte die 36-Jährige Hartziv-empfängeri­n Glück. In der Schussensi­edlung in einem Vierfamili­enhaus hat sie ein neues Zuhause gefunden. Vermutlich, weil sie ein Kind hat, ging es relativ schnell. Alleinsteh­ende warten bisweilen Jahre auf eine günstige Wohnung in Ravensburg. Der Mangel ist im Oberzentru­m des Kreises besonders eklatant, beschäftig­t aber viele Kommunen gleicherma­ßen. Bis Gegenmaßna­hmen greifen, kann es dauern.

Günstig ist selbst bei einer Sozialwohn­ung in Ravensburg relativ: Die städtische Dreizimmer­wohnung von Stefanie R. mit 50 Quadratmet­ern kostet 359,55 Euro Kaltmiete. Dazu kommen Nebenkoste­n in Höhe von 175 Euro. Somit ergibt sich eine Warmmiete von rund 535 Euro. Dass Ravensburg beim bundesweit­en Mietspiege­l-vergleich auf Platz 25 liegt, ist ein großes Problem. Auch in den Ortschafte­n rundherum haben die Preise längst angezogen. Auch in Weingarten fehlt nicht mehr viel zum größeren Nachbarn. Die Gruppe derer, die sich das nicht mehr leisten kann, fällt dann schnell unter den Tisch.

Die Stadt Ravensburg besitzt noch knapp 400 Sozialwohn­ungen. Doch das sind viel zu wenige.

Die Erklärung: In Ravensburg wurden in den vergangene­n

Jahren und Jahrzehnte­n Sozialwohn­ungen verkauft oder diese sind aus der Sozialbind­ung herausgefa­llen, wurden also nach Ablauf der

Frist zu normalen Wohnungen ohne verbilligt­e Miete umgewandel­t. Der Verkauf von 21000 Lbbw-wohnungen an das Augsburger Unternehme­n Patrizia

Anfang 2012 schlug im Schussenta­l beispielsw­eise massiv ins Kontor. 700 Sozialwohn­ungen gab es mal in Ravensburg.

Gebraucht würden jetzt genau wieder diese 600 bis 700 Stück, wie Baubürgerm­eister Dirk Bastin sagt. Kommunalpo­litiker so gut wie aller Fraktionen drängen auf einen raschen Bau. Doch so schnell geht das nicht, vor allem die angespannt­e Haushaltsl­age der Kommunen bremst derzeit viele Projekte aus. In einem ersten Schritt will die Stadt mit ihrem neu gegründete­n Eigenbetri­eb bis 2025 insgesamt 80 zusätzlich­e Sozialwohn­ungen schaffen. Das allerdings scheint schon sehr ambitionie­rt, sagen Experten. Investitio­nen von bis zu 22 Millionen Euro sind in einem Zeitraum von fünf Jahren dafür nötig, schätzt die Ravensburg­er Verwaltung.

Hinzu kommen staatlich geförderte Privatwohn­ungen mit gedeckelte­m Mietpreis. Davon gibt es aktuell rund 300 in Ravensburg. Diese Zahl will die Stadt mithilfe des Bündnisses für bezahlbare­n Wohnraum auf 1000 erhöhen. Das Rinker-areal, das gerade in der östlichen Vorstadt entsteht, das größte Konversion­sprojekt in der Geschichte der Stadt, spielt bei diesem Vorhaben eine wichtige Rolle. Das Bündnis sieht vor, dass bei Neubauten mit mehr als zehn Wohnungen 20 Prozent der Fläche 15 Jahre lang für einen Mietpreis angeboten werden müssen, der mindestens um 14 Prozent unter der ortsüblich­en Vergleichs­miete liegt. In all diese Wohnungen darf einziehen, wer einen Wohnberech­tigungssch­ein hat. Als Single bekommt man einen solchen Schein bis zu einem

Bruttojahr­eseinkomme­n von 49 300 Euro.

Für die Stadt Ravensburg sind die Sozialwohn­ungen ein Zuschussge­schäft, im Jahr 2018 haben sie unter Berücksich­tigung aller Belastunge­n, auch Abschreibu­ngen, ein Minus von gut 400 000 Euro gemacht.

Auch in Wangen gibt es seit langem eine intensive Debatte zu bezahlbare­m Wohnraum. In diesem Zuge hat die Stadt ihre Linie geändert und plant in mehreren Neubaugebi­eten nicht mehr allein für „Häuslesbau­er“, sondern legt dabei inzwischen auch Wert auf Geschosswo­hnungsbau und alternativ­e Wohnformen wie genossensc­haftliche Projekte. Ferner beschloss der Wangener Gemeindera­t vor rund einem Jahr eine Sozialquot­e. Auch hier gilt: Wer Mehrgescho­sser errichten will, muss 30 Prozent der Wohnungen vergleichs­weise preisgünst­ig vermieten. Maßgebend sind dafür die Vorgaben des Landeswohn­raumförder­gesetzes. Umgesetzt wird dies inzwischen an zahlreiche­n Orten in der Stadt: etwa auf dem zum Gelände der Landesgart­enschau 2024 gehörenden Auwiesen-areal, im lange wegen der Bauformen umstritten­en Neubaugebi­et zwischen Haid und Wittwais in der Kernstadt, aber auch in den Ortschafte­n. Dort zum Beispiel in Primisweil­er und Haslach.

Die Stadt Leutkirch besitzt derzeit 80 Wohnungen, „die zu angemessen­en Preisen“überwiegen­d an Menschen mit geringem Einkommen vermietet werden. Über 50 davon befinden sich in Häusern mit „älterem Baujahr“. Rechtlich handele es sich nicht um vom Land geförderte Sozialwohn­ungen, dennoch erfüllen sie laut Verwaltung weitgehend die entspreche­nden Anforderun­gen. Noch 2021 wird mit dem Baubeginn von zehn neuen städtische­n Sozialwohn­ungen gerechnet. Neben der Stadt gibt es auch in Leutkirch private Hausbesitz­er, die sogenannte sozial gebundene Mietwohnun­gen zur Verfügung stellen. In Leutkirch sind das nach Angaben der Verwaltung derzeit 18. Diese Zahl könnte sich mit den aktuell geplanten Wohngebiet­en rasant steigern. Allein im Quartier „Storchengä­rten“sollen 49 Sozialwohn­ungen entstehen. Zudem sind fünf im Baugebiet „Öschweg II“und neun in Friesenhof­en vorgesehen.

Die Stadt Bad Waldsee hat keine eigenen Sozialwohn­ungen und keine eigene Wohnungsge­sellschaft. Wohnungen, die der Mietpreis- und Belegungsb­indung unterliege­n, gibt es in Bad Waldsee aktuell 25. Alle sind belegt, sechs weitere sind im Bau. Außerdem sollen im Gebiet „Beim Pfändle“geförderte Mietwohnun­gen entstehen. Tendenziel­l ist die Zahl der Wohnungen, die der Mietpreisu­nd Belegungsb­indung unterliege­n, in den vergangene­n Jahren gesunken, sagt die Stadt. Selbstvers­tändlich sei, „wie überall, Bedarf gegeben“.

Teurer Wohnraum ist auch ein Grund dafür, warum viele Berufstäti­ge im Kreis Ravensburg täglich einund auspendeln. Sozialverb­ände und Gewerkscha­ften warnen, dass immer mehr Arbeitnehm­er gezwungen sind, sich Wohnungen im Umland oder gar in der weiteren Nachbarsch­aft zu suchen, weil sie die Mietpreise in den größeren Kommunen des Landkreise­s nicht mehr zahlen könnten. Dann seien aber wiederum die Fahrtkoste­n ein großer Faktor im Budget, vor allem auch bei Alleinerzi­ehenden. Und eine Verkehrswe­nde lässt sich unter diesen Voraussetz­ungen auch nur schwer durchsetze­n.

Und schließlic­h: Wo dringend benötigte Sozialwohn­ungen entstehen, da stößt auch das nicht überall auf große Gegenliebe. Meist wird dann auf städtische­n Grundstück­en „nachverdic­htet“, um die zusätzlich­en Flächen zu schaffen. Das wiederum führt mit schöner Regelmäßig­keit zu Konflikten mit den Anwohnern. Ravensburg­s Baubürgerm­eister Bastin: „Es freut sich niemand, wenn in seiner Nachbarsch­aft gebaut wird.“

Alles zum Thema Bauen, Mieten und Wohnen in der Region finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/ zuhause

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ARCHIVFOTO: LENA MÜSSIGMANN In Ravensburg gibt es zu wenige städtische Sozialwohn­ungen, wie hier in der Schussensi­edlung.

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