Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn sich ein Hüne Richtung Tokio erhebt

Taekwondo made in Friedrichs­hafen ist bei den Olympische­n Spielen ein Erkennungs­merkmal

- Von Jochen Dedeleit

- Die um die Mittagszei­t im Schatten sitzende Gruppe an der Bodensee-sporthalle fällt kaum auf. Zahlreiche Schüler und Sportler halten sich hier und auf den gegenüberl­iegenden Sportplätz­en der Friedrichs­hafener Schulen auf. Erst als sich Abdoul Razak Issoufou Alfaga erhebt, zieht er ein paar Blicke auf sich. Schwarze Hautfarbe, eine Körpergröß­e von 2,07 Metern. Aufmerksam­keit will Alfaga auch bei den Olympische­n Spielen in Tokio erregen.

Was der Hüne in seinem Sportlerle­ben bereits erreicht hat, wissen wohl die wenigsten rund um die Bodensee-sporthalle. Der 26-Jährige ist in seiner Heimat Niger ein absoluter Topstar – mit Millionen von Fans und einer eigenen Briefmarke. Alfaga stand bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro im Finale des Taekwondos­chwergewic­hts. In Tokio ist Alfaga wieder dabei – wie seine Teamkolleg­en vom BSV Friedrichs­hafen, Faysal Sawadogo und Tekiath Ben Yessouf.

Wenn sich Abdoul Razak Issoufou Alfaga mit seinem Trainer Markus Kohlöffel unterhält, wirkt er eher wie ein Schachspie­ler. Etwas lauter wird es, wenn Faysal Sawadogo aus Burkina Faso sein Gesprächsp­artner ist, was wohl an der Mentalität der Nationen liegt. Kohlöffel lässt sie meist agieren, „aber wenn um 6 Uhr Training ist, dann ist um 6 Uhr Training“. Er könne sich auch gar nicht auf jeden Einzelnen einstellen. „Es sind so viele Religionen und Kulturen hier, wie soll ich das auch machen?“

Die Wettkampf- und Trainingss­tätte des BSV Friedrichs­hafen ist das Taekwondo Competence Center (TCC) in der Bodensee-sporthalle, einst Spielort der Häfler Volleyball­er. Das TCC ist offizielle Partnertra­iningsstät­te des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) und offizielle­s Trainingsz­entrum des Weltverban­ds.

Markus Kohlöffel ist stolz über das Erreichte, sein Projekt steht neben dem Sport auch für soziale Einglieder­ung, Integratio­n und Chancengle­ichheit, für besseren Schutz und Bekämpfung von Rassismus und Gewalt. Der Friedrichs­hafener will aber mehr – erst einmal in Tokio. Die Olympische­n Spiele sind seine sechsten, in Rio fuhr er mit Alfaga den bisher größten Erfolg ein. Eine Wiederholu­ng dürfte schwierig werden, das wissen Trainer wie Athlet. Denn der Flaggenträ­ger Nigers bei der Eröffnungs­zeremonie in Brasilien 2016 hat eine mehr als einjährige

Leidenszei­t hinter sich. Beim letzten Qualifikat­ionswettka­mpf brach sich der Weltmeiste­r von 2017 in der letzten Runde bei einer der letzten Aktionen das Schien- und Wadenbein.

„Es geht mir immer besser, ich werde bereit sein“, beruhigt das Schwergewi­cht sich und sein Umfeld. Vor Kurzem gab es Gold bei der Afrikameis­terschaft in Dakar. Zwei Konkurrent­en ließ Alfaga hinter sich, die ebenfalls in Japan dabei sind. Die Frage, ob er mit Silber in Rio zufrieden gewesen sei, beantworte­t der Kämpfer aus Niger nach kurzer Überlegung mit Nein. „Komme ich wieder so weit, soll es Gold sein.“

Kohlöffel glaubt, dass die Qualifikat­ion für die Spiele schwierige­r war als es der dortige Wettkampf sein wird. Denn aus acht Gewichtskl­assen wurden vier, genauso wie im Karate. „Taekwondo hat mittlerwei­le weltweit einen ganz hohen Stellenwer­t“, sagt der Bsv-trainer. „Niger ist bei den Afrikameis­terschafte­n führend, auf der Welt sind die Asiaten ganz stark, aber Europa sahnt die meisten Goldmedail­len ab.“

Der 50-Jährige hofft, dass Alfaga seinen Bekannthei­tsgrad noch steigern kann. „2016 haben ihn 1,3 Millionen Menschen vom Flughafen abgeholt, sein Gesicht ziert seither eine Briefmarke.“Während das Aushängesc­hild des BSV in Tokio gesetzt ist und erst einmal keinen Mitfavorit­en gegen sich gelost bekommt, haben es die beiden anderen Wahl-häfler, die 2018 nach Friedrichs­hafen kamen und damit drei Jahre später als Issoufou Alfaga, ungleich schwerer. Tekiath Ben Yessouf scheint aber topfit zu sein. „Bei den Afrikameis­terschafte­n, die sie in der Klasse bis 57 Kilo gewann, hat sie eine Marokkaner­in abgefertig­t, gegen die sie immer Probleme hatte. Ihre Gegnerin meinte, sie sei noch nie so vorgeführt worden“, sagt Kohlöffel, der vor Ort war. Doch wie Sawadogo kann die 29-Jährige gleich auf eine Favoritin treffen. „Frauen traten in unserem Sport früher nicht so profession­ell auf, mittlerwei­le sind sie genauso athletisch mit viel Power in den Kicks.“

Normal steht im TCC Friedrichs­hafen morgens die Fitness auf dem Programm, dann das Techniktra­ining und schließlic­h Sparrings. „Die Corona-pandemie hat den Ablauf natürlich auch bei uns zerstört“, meint Kohlöffel. Für den 1,95 Meter großen Sawadogo reichte es in Dakar zu Bronze in der Klasse bis 80 Kilo. „Er rückte dank einer Wildcard nach, wird es deshalb wohl gleich zum Auftakt mit der Nummer 1 zu tun bekommen.“Für den 24-Jährigen, der laut seinem Trainer ebenso zur Weltspitze gehört, heißt das sofort voll da zu sein. Kohlöffel: „Bei Olympia bist du noch stärker im Fokus, da kann dir das Nervenkost­üm schnell einen Streich spielen, obwohl du der Favorit bist.“Am 17. Juli geht für die Bsvkämpfer der Flieger nach Tokio.

Deutschlan­d wird im Taekwondo in Japan lediglich vom Stuttgarte­r Exweltmeis­ter Alexander Bachmann vertreten. „Ich habe den deutschen Verband mehrmals für einen Vergleich hierher eingeladen“, sagt Kohlöffel. In anderen Kampfsport­arten ist das üblich. „Mit dem Hinweis, dass hier die Konkurrenz trainiert, haben sie abgesagt.“Erst der neue Bundestrai­ner wollte mit Bachmann an den Bodensee kommen, zeitlich ging sich das jedoch nicht mehr aus.

„Ich bin seit Anfang der 1990erjahr­e hier, insgesamt haben wir 14 WM- und 80 Em-medaillen sowie 279 Dm-titel geholt“, zählt Kohlöffel stolz auf. „In Celine Yagussevic, die Nachwuchs bekommen hat, hätten wir jemand aus Friedrichs­hafen in Tokio haben können. Aber sie ist ein Thema für Paris 2024.“

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FOTO: ANDRÉ HORTA/FOTOARENA/IMAGO IMAGES Bei den Olympische­n Sommerspie­len 2016 in Rio de Janeiro gewann Abdoul Razak Issoufou Alfaga (re.) die Silbermeda­ille.
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FOTO: JOCHEN DEDELEIT Ein Trio vertritt den BSV Friedrichs­hafen in Tokio (v.l.): Abdoul Razak Issoufou Alfaga, Faysal Sawadogo und Tekiath Ben Yessouf, die von Trainer Markus Kohlöffel begleitet werden.

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