Schwäbische Zeitung (Wangen)

Dutzende Opfer, versunkene Orte

Überschwem­mungen wie jetzt im Westen des Landes hat Deutschlan­d lange nicht erlebt

- Von Michael Gabel, Michael Heider, Dieter Keller, Ellen Hasenkamp und Dorothee Torebko Von Sophia Weimer www. schwäbisch­e.de/hochwasser

- Das Hochwasser in Westdeutsc­hland ist schon wegen der hohen Opferzahl eine der schwersten Naturkatas­trophen der vergangene­n Jahre in Deutschlan­d. Wie kommen solche Tragödien zustande – und wie kann man sie verhindern? Fragen und Antworten:

Wie kann man sich in einer akuten Hochwasser­lage schützen?

Das Wichtigste: Bei Hochwasser­gefahr solle man sich unbedingt von fließenden Gewässern fernhalten, rät das Hydrologis­che Landesamt Sachsen. Und man soll sich davor hüten, überflutet­e Bereiche zu Fuß zu durchquere­n, da hohe Fließgesch­windigkeit­en Menschen umreißen können, auch wenn das Wasser nicht besonders hoch ist. Ist das Wasser ins Gebäude eingedrung­en, gilt: Nicht in den Keller oder in die Tiefgarage gehen beziehungs­weise fahren.

Das Technische Hilfswerk rät zudem, bei akuter Hochwasser­gefahr am Haus den Gas- beziehungs­weise Ölhahn an der Heizung zu schließen und den Strom abzuschalt­en. Fenster und Türen mit vorgeferti­gten Brettern abzudichte­n, könne ebenfalls sinnvoll sein.

Warum treten die Überschwem­mungen gerade jetzt, in den Sommermona­ten, auf?

Weil im Sommer warme Luftmassen über dem Boden auf breiter Front in die Höhe gedrückt werden, wo sie abkühlen. Der Meteorolog­e Markus Übel vom Deutschen Wetterdien­st vergleicht die aktuelle Wetterlage mit einem Kochtopf: „In der Luft sind viel Energie und Feuchtigke­it. Es beginnt zu brodeln, irgendwann platzen die Blasen“, sagt er. Die Folge sind Wolkenbrüc­he wie jetzt im Westen Deutschlan­ds.

Warum kann man so schlecht vor Überschwem­mungen warnen?

Starkregen sei viel schwerer vorherzusa­gen als etwa ein Sturm, heißt es beim Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe.

Der Grund: Starkregen entwickelt sich, anders als ein Sturm, oft in kürzester Zeit. Darüber hinaus sind starke Regengüsse häufig lokal begrenzt. Dann wird ein kleiner Bach zu einer gefährlich­en Sturzflut. Die bekannten Hochwasser­warnungen beziehen sich in der Regel nur auf größere Flüsse.

Ein Informatio­nssystem der Versichere­r informiert über Starkregen­gefährdung­sklassen. Demnach ist unter den 50 größten Städten Wuppertal am meisten und Kiel am wenigsten gefährdet.

Es gibt erdbebensi­chere Häuser. Kann man in Flutgefähr­dungsgebie­ten auch flutsicher bauen?

„Am besten wäre es, erst gar nicht in gefährdete­n Gebieten zu siedeln“, sagt der Präsident der Bayerische­n Ingenieure­kammer-bau, Norbert

(dpa) Die Wassermass­en wälzen sich regelrecht durch die Straßen, ganze Orte versinken in braunen Fluten. Es sind unfassbare Bilder und Szenen, die sich am Donnerstag in der Eifel und in Teilen von Nordrhein-westfalen abspielen. Das, was die meisten Menschen in Deutschlan­d bislang nur aus weiter Ferne kannten, ist plötzlich ganz nah.

Dutzende Menschen sterben nach Überflutun­gen und Dauerregen. In Rheinland-pfalz werden auch am Nachmittag Dutzende weitere vermisst. Mehrere Häuser sind eingestürz­t, viele instabil. Menschen fliehen in Not auf ihre Hausdächer und warten auf Rettung.

Als die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) im Landtag in Mainz das Wort ergreift, wird deutlich, welche Katastroph­e sich gerade ereignet hat – und noch ereignet. „Es gibt Tote, es gibt Vermisste, es gibt viele, die noch

Gebbeken. Doch es gebe bauliche Möglichkei­ten. „Das Warftenpri­nzip ist eine davon.“In Hochwasser­gebieten sieht es den Bau von Häusern auf Erdaufschü­ttungen oder Stelzen vor. Auch bei den verwendete­n Baumateria­len könne angesetzt werden. „Um Wasser abzuhalten, braucht es besonders dichten Beton, Naturmater­ialien wie Holz eignen sich hier weniger.“In Gebieten mit Sturzflutg­efahr kann zudem hoher Wasserdruc­k und mittranspo­rtiertes Geröll zum in Gefahr sind“, sagt Dreyer. „Es ist wirklich verheerend.“Ganze Orte seien überflutet, Häuser einfach weggeschwo­mmen. Polizeihub­schrauber sind unterwegs, um Menschen von Hausdächer­n zu retten. Es gebe sehr viele Vermisste, sagt Dreyer. Es sei unklar, ob sie sich selbst hätten retten können. Sie zu erreichen, sei schwierig, da das Mobilfunkn­etz zum Teil ausgefalle­n sei.

Auch in Nordrhein-westfalen bleiben nach der Katastroph­e Zerstörung und Verwüstung. Mindestens 24 Menschen sterben im Zusammenha­ng mit dem Hochwasser, allein im Kreis Euskirchen im Süden des Landes kommen nach Behördenan­gaben 15 Menschen ums Leben. In Solingen retteten Einsatzkrä­fte etwa 130 Menschen aus akuter Not vor den Fluten. „Wir haben die Menschen über Drehleiter­n, Boote, Bojen herausgeho­lt“, sagte ein Feuerwehrs­precher.

Teilweise bestehe kein Zugang zu den Orten, teilte der Kreis Euskirchen mit. Im Kreisgebie­t sei die Kommunikat­ion weitgehend ausgefalle­n.

Problem werden. „Dort braucht es entspreche­nde Fassaden, die dem standhalte­n.“

Sind die Schäden versichert?

In vielen Fällen vermutlich nicht. Zwar haben die Eigentümer fast aller Häuser eine Gebäudever­sicherung abgeschlos­sen. Aber nur 46 Prozent haben einen Zusatzvert­rag, der auch Naturgefah­ren wie Starkregen abdeckt. Auch vom Staat ist selten Hilfe zu erwarten, zumindest wenn sich die Ministerpr­äsidenten Auch der Feuerwehr-notruf 112 und die Kreisverwa­ltung seien nicht zu erreichen. Die Altstadt von Bad Münstereif­el wurde völlig verwüstet. Am Mittag stehen die Menschen fassungslo­s zwischen den Trümmern.

In Rheinland-pfalz traf es den kleinen Eifel-ort Schuld besonders schwer. Das Dorf mit etwa 700 Einwohnern – nahe der Landesgren­ze zu Nordrhein-westfalen – liegt in einer Schleife an der Ahr, die normalerwe­ise ein kleiner Fluss ist. Nun hat sich die Ahr in ein reißendes Gewässer verwandelt. Die Fluten rissen mehrere Häuser weg. Es lief ein dramatisch­er Rettungsei­nsatz, weil sich Dutzende Menschen auf den Dächern in Sicherheit gebracht haben. Viele weitere Häuser gelten als einsturzge­fährdet.

19 Menschen starben nach ersten Erkenntnis­sen im Raum Bad Neuenahr-ahrweiler. Auf Bildern zeigt sich die Gewalt, mit der das Wasser die Dörfer und Orte überflutet hat: Autos, Bäume, ganze Häuser sind einfach

an ihren Beschluss von 2017 halten, nur noch im Ausnahmefa­ll einzusprin­gen, nämlich bei denen, die sich erfolglos um eine Versicheru­ng bemüht haben oder wenn die Prämie unzumutbar hoch gewesen wäre. 99 Prozent aller Gebäude in Deutschlan­d sind versicherb­ar, betont der Versichere­rverband GDV. Er klagt allerdings schon lange, dass in Überschwem­mungsgebie­ten zu viel gebaut wird. Seit dem Jahr 2000 seien 32 000 Wohnhäuser in hochwasser­gefährdete­n Risikogebi­eten neu entstanden. „Die Krisen von heute sind die Folgen der Entscheidu­ngen von gestern“, warnt Gdv-hauptgesch­äftsführer Jörg Asmussen. Er hält eine Anpassung des Baurechts an die Folgen des Klimawande­ls für unabdingba­r. Die Versichere­r haben genaue Daten, welche Städte und weggerisse­n, Trümmer stapeln sich im schmutzige­n Wasser, Brücken sind zusammenge­stürzt.

Luftaufnah­men lassen das Ausmaß besonders erahnen: Das Eifelörtch­en Schuld ist völlig verwüstet, auch Altenburg, ein Ortsteil von Altenahr, versinkt regelrecht in den gefährlich­en Fluten.

An einigen Talsperren wird das Wasser kontrollie­rt abgelassen, einige anliegende Ortschafte­n werden evakuiert. Mehrere Tausend Einwohner sind betroffen. An der Steinbacht­alsperre in Rheinland-pfalz veranlasst das falsche Gerücht eines Dammbruchs Dutzende Bewohner von Heimershei­m zur Flucht auf höhergeleg­enes Terrain. „Wir haben gehört, die Flutwelle kommt“, rufen sie, Panikstimm­ung macht sich breit. Die Kreisverwa­ltung Ahrweiler stellt klar, dass von einem Dammbruch keine Rede sein könne. Ein Sachverstä­ndiger stuft die Talsperre aber als „sehr instabil“ein. Vielerorts bleiben zunächst die Sorge und die Ungewisshe­it.

Regionen durch Flusshochw­asser besonders gefährdet sind. Auf den ersten drei Plätzen liegen hier Wuppertal, Freiburg und Chemnitz.

Allein die Unwetterse­rie vom 18. bis 30. Juni mit Starkregen und Hagel hat die Versichere­r 1,7 Milliarden Euro gekostet. Davon entfielen 700 Millionen Euro auf Autos, der Rest auf Häuser, Hausrat, Gewerbeund Industrieb­etriebe.

Wie reagiert die Politik auf die Flut?

Politik und Hochwasser, dieses Begriffspa­ar steht in Deutschlan­d schon seit Jahrzehnte­n für legendäre Aufstiege und Niederlage­n. Der spätere Kanzler Helmut Schmidt erntete ersten Ruhm als Hamburger Innensenat­or bei der großen Elbeflut, und Gerhard Schröder drehte 2002 in Gummikleid­ung an der Elbe die beinahe schon verlorene Bundestags­wahl. Kein Wunder, dass sich auch Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet vor Ort um die Katastroph­enlage kümmerte. In weißem Hemd und Wachstuchj­acke besuchte er besonders betroffene Regionen, dankte den Helfern und stellte umgehend auch finanziell­e Unterstütz­ung in Aussicht. „Wir werden die Kommunen, die Betroffene­n nicht allein lassen“, versichert­e der Ministerpr­äsident.

Grünen-kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock weilt zwar im Urlaub, ließ über die Pressestel­le der Partei aber mitteilen, wie erschütter­t sie sei. „Die Rettungskr­äfte tun alles, was sie können, unter Einsatz ihres Lebens. Das ist eine unglaublic­he Leistung“, sagte sie. Bund und Länder müssten nun alle Kräfte mobilisier­en. Sie forderte deshalb, dass den Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben, schnell und unbürokrat­isch geholfen werde. Ein Sprecher der Partei sagte, dass Baerbock früher aus ihrem Urlaub zurückkehr­en werde. Ob sie in die vom Unwetter hart getroffene­n Gebiete reisen werde, sagte er nicht.

Bilder und eine Chronologi­e zur Hochwasser­tragödie unter

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