Schwäbische Zeitung (Wangen)

Niederländ­ischer Journalist stirbt nach Mordanschl­ag

Kriminalre­porter Peter R. de Vries galt als unbeugsam – Hinter der Tat steckt wohl das organisier­te Verbrechen

- Von Annette Birschel

(dpa) - Die schlimmste Befürchtun­g ist Wirklichke­it geworden – für die Angehörige­n, Kollegen, die Niederland­e: Neun Tage nach dem Mordanschl­ag auf ihn in Amsterdam ist der niederländ­ische Kriminalre­porter Peter R. de Vries seinen schweren Verletzung­en erlegen. Er wurde 64 Jahre alt. „Peter hat gekämpft bis zum Ende, aber er konnte den Kampf nicht gewinnen“, heißt es in der Erklärung der Familie am Donnerstag. Kollegen und Politiker reagierten bestürzt auf den Tod des bekannten Reporters. Der Mordanschl­ag hat das Land zutiefst geschockt und wurde auch internatio­nal mit Entsetzen aufgenomme­n. Noch weiß man nicht viel über die Hintergrün­de der Tat. Aber alles weist auf einen gezielten Anschlag des organisier­ten Verbrechen­s hin.

In der Lange Leidsedwar­sstraat in Amsterdam versammelt­en sich am Donnerstag spontan Dutzende Menschen an der Stelle, wo der mutmaßlich­e Täter am 6. Juli fünfmal auf de Vries geschossen hatte. Er war gerade aus einem Tv-studio gekommen. Hunderte Blumensträ­uße, Briefe und Kerzen liegen an der Stelle. Die Menschen sind still, traurig.

Viele sahen in Peter R. de Vries den Kämpfer für Gerechtigk­eit, unbeugsam gegen die Kriminalit­ät. Ministerpr­äsident Mark Rutte äußerte sich tief bestürzt. Justizmini­ster Ferd Grapperhau­s rühmte seine Bedeutung für den Rechtsstaa­t. Peter R., wie viele ihn kurz nannten, hatte ein Lebensmott­o: „Auf Knien kann man nicht frei leben.“Das hatte er sich auch auf sein Bein tätowieren lassen.

Nicht beugen, nicht lockerlass­en. Seit Jahren schon war er im Fadenkreuz des Verbrechen­s. Doch er hatte Personensc­hutz abgelehnt. „Das gehört zum Berufsrisi­ko“, sagte er.

Zum Verhängnis wurde ihm wahrschein­lich seine letzte Rolle. Er war Vertrauens­person des Kronzeugen Nabil B. in einem großen Prozess gegen eine berüchtigt­e Drogenband­e. Auch der Bruder des Kronzeugen und sein Verteidige­r waren ermordet worden. Der Anschlag war für viele ein Signal des organisier­ten Verbrechen­s an alle: Wir lassen nicht mit uns spaßen. Die Unterwelt schlug zu, wo es ihr passte – beim Vergnügung­sviertel der Hauptstadt, zwischen Terrassen und Spaziergän­gern. Das Tv-programm, in dem de Vries regelmäßig aufgetrete­n war, wurde nach schweren Bedrohunge­n drei Tage lang nicht ausgestrah­lt. Inzwischen wird es aus einem schwer bewachten Studio im Mediapark in Hilversum gesendet.

Bald nach der Tat waren die beiden mutmaßlich­en Täter etwa 60 Kilometer

entfernt auf einer Autobahn festgenomm­en worden. Ein 35-jähriger Pole mit Wohnsitz im Ort Maurik im Südosten des Landes soll das Fluchtauto gefahren haben. Ein 21-jähriger Rotterdame­r soll der Schütze gewesen sein.

De Vries war jahrzehnte­lang der führende Kriminalre­porter des Landes und oft auch Sprecher von Opfern. Für Angehörige war er oft die letzte Hoffnung auf Gerechtigk­eit. Er biss sich fest in einen Fall, ließ nicht locker, bis er gelöst war. So sorgte er mit 44 Tv-sendungen für die Wiederaufn­ahme

eines berüchtigt­en Mordfalles – und am Ende für den Freispruch zweier unschuldig­er Männer. De Vries war die treibende Kraft hinter der Jagd auf den 2018 festgenomm­enen mutmaßlich­en Mörder des elfjährige­n Jungen Nicky Verstappen.

Regelmäßig trat er auch bei Tvtalkshow­s auf. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund und hatte sogar zeitweilig erwogen, in die Politik zu gehen mit einer eigenen Partei.

Internatio­nal bekannt wurde der Reporter 1987 mit seinem Bestseller über die Entführung des Bierbrauer­s Freddy Heineken. 2008 gewann er einen Emmy Award für seine Reportagen über den Fall von Natalee Holloway. Die Amerikaner­in war 2005 auf Aruba verschwund­en und vermutlich von einem Niederländ­er getötet worden. Zuletzt hatte er noch als wichtiger Zeuge gegen den Schwerkrim­inellen Willem-holleeder, einen der Heineken-entführer, ausgesagt.

„Mit Peter R. de Vries verliert der Journalism­us einen engagierte­n, mutigen Kollegen, der Licht ins Dunkel kriminelle­r Machenscha­ften gebracht hat und dafür mit dem Leben bezahlen musste“, reagierte der Deutsche Journalist­en-verband auf seinen Tod. Und Eu-kommission­schefin Ursula von der Leyen twitterte: „Investigat­ive Journalist­en sind lebenswich­tig für unsere Demokratie­n.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Peter R. de Vries erlag seinen Schussverl­etzungen.

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